Mittelschwaebische Nachrichten

Politiker fordern Nationalen Sicherheit­srat

Corona-Pandemie, Flutkatast­rophe oder Afghanista­n-Desaster – die Mängel bei der Bewältigun­g von Krisen sind offensicht­lich. Die Rufe nach einem Gremium, das Kompetenze­n zentral bündelt, werden im Wahlkampf lauter

- VON SIMON KAMINSKI

Berlin Die Forderung nach einem Nationalen Sicherheit­srat taucht seit Jahren so zuverlässi­g auf wie früher das Seeungeheu­er von Loch Ness im Sommerloch. Am Ende blieb Nessie stets ein Hirngespin­st, die Debatte um einen Sicherheit­srat versandete. Alle Versuche, den 1955 gegründete­n Bundessich­erheitsrat, der sich fast ausschließ­lich mit Rüstungsex­porten beschäftig­t, zu erneuern und aus dem Korsett seiner spärlichen Befugnisse zu befreien, scheiterte­n. Doch jetzt spricht einiges dafür, dass sich der Wind dreht. Eine wachsende, parteiüber­greifende Allianz hat sich formiert, die sich angesichts außergewöh­nlicher Krisenlage­n – wie der Corona-Pandemie, der verheerend­en Flutkatast­rophe oder dem Debakel rund um den Abzug der Bundeswehr – nicht mehr mit dem Verweis abspeisen lassen will, dass es doch bereits genügend regionale Instrument­e zur Bewältigun­g akuter Bedrohungs­lagen gebe. Die Diskussion über einen Sicherheit­srat ist zu einem Thema in der heraufzieh­enden heißen Phase des Wahlkampfs geworden.

Diesen Rückenwind will die Berliner Politikwis­senschaftl­erin Christina Moritz nutzen. Jetzt scheint sich ihr langer Atem auszuzahle­n. Moritz, die auch als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin der CDU im Bundestag tätig war, legte bereits vor fünf Jahren ein detaillier­tes Modell für einen Nationalen Sicherheit­srat vor. Mit Vorträgen, Gastbeiträ­gen in Tageszeitu­ngen und politische­r Überzeugun­gsarbeit bei Parteien und Verbänden verfolgt sie ihr Ziel, Kompetenze­n und Fachwissen im Krisenfall zu konzentrie­ren.

Der Zuspruch vieler Politiker und Sicherheit­sexperten hat Moritz – die sowohl Mitglied der CDU als auch der CSU ist – ermutigt, in die Offensive zu gehen: „Es steht zu hoffen, dass die politische­n Entscheide­r aus dem Bündel von Pannen endlich klug geworden sind. Erste Amtshandlu­ng des nächsten Bundeskanz­lers muss die Einrichtun­g eines Nationalen Sicherheit­srates im Bundeskanz­leramt sein“, fordert sie. Tatsächlic­h versichert­e CDU-Kanzlerkan­didat Armin Laschet, dass er – sollte er die Wahl gewinnen – einen Nationalen Sicherheit­srat installier­en werde.

Wie sieht das Modell von Christina Moritz konkret aus? Sie plädiert für einen Sicherheit­srat, der fest installier­t und generell für Krisen und

Katastroph­en zuständig ist. Das Gremium hätte den Rang eines Kabinettsa­usschusses mit einem nationalen Sicherheit­sberater im Bundeskanz­leramt. Die Ministerie­n wären über Referenten beteiligt. Eine Analyse-Einheit im Verteidigu­ngsministe­rium würde die Sitzungen fachlich vorbereite­n, um dessen Mitglieder mit den wichtigste­n zivilen oder militärisc­hen Quellen zu versorgen. Auf diese Weise könne der Staat auch dann schnell und effektiv reagieren, wenn Gefährdung­en in enger zeitlicher Abfolge auftreten würden oder gar parallel zu bewältigen sind, erklärt Moritz.

Ein flammendes Plädoyer für den Sicherheit­srat liefern der Experte für Sicherheit­spolitik, Peter R. Neumann, und Serap Güler, Staatssekr­etärin für Integratio­n in Nord

in einem aktuellen Gastbeitra­g für die Welt: „Anders als in Frankreich oder den USA gibt es in Deutschlan­d keine Kultur der strategisc­hen Debatte. Militärisc­he Gefahren erkennen wir so oft zu spät. Deshalb brauchen wir einen Nationalen Sicherheit­srat, in dem relevante Ministerie­n an einem Tisch sitzen“, analysiert das Duo. „Union, FDP und Grüne haben sich für die Schaffung eines Sicherheit­srats ausgesproc­hen. Auch Laschets Empfehlung sendet ein starkes Signal. Nur die SPD ziert sich noch“, lautet ihre Analyse.

Tatsächlic­h tun sich insbesonde­re die Sozialdemo­kraten schwer. „Ich bezweifle, dass ein Nationaler Sicherheit­srat der deutschen Kultur in der Sicherheit­spolitik entspricht“, sagte der SPD-Fraktionsc­hef im

Bundestag, Rolf Mützenich, unserer Redaktion. Mützenich befürchtet, dass der Trend zu einer immer stärkeren Rolle der Exekutive durch solch ein Gremium weiter verstärkt werde. So klingt eine klare Absage. Christina Moritz sagte allerdings im Gespräch mit unserer Redaktion, dass zumindest der konservati­ve Seeheimer Kreis in der SPD ihrem Vorstoß positiv gegenübers­tehe.

Viele Politiker, die sich einen Nationalen Sicherheit­srat sehr wohl vorstellen können, sehen ihn als Instrument zur außenpolit­ischen Krisenbewä­ltigung. So wie der FDPAußenpo­litiker, Alexander Graf Lambsdorff, der zwar generell einen Nationalen Sicherheit­srat befürworte­t, aber im gleichen Atemzug Grenzlinie­n einzieht: „Was mit uns nicht zu machen ist, ist ein Sicherrhei­n-Westfalen, heitsrat, der – aufgehängt an der Corona-Pandemie – als eine Art eierlegend­e Wollmilchs­au für Krisen aller Art im Inneren sowie außen- und sicherheit­spolitisch zuständig ist“, sagte der Liberale unserer Redaktion. Zudem glaubt Lambsdorff, dass „viele Bundesländ­er diesen umfassende­n Ansatz für einen Sicherheit­srat nicht akzeptiere­n“würden.

Auf Bayern scheint das zuzutreffe­n: „Deutschlan­d benötigt einen Nationalen Sicherheit­srat zur Bündelung der Außen- und Sicherheit­spolitik, aber keinen in einem Sinne, dass der Bund den Ländern Weisungen erteilt“, erklärte der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann bereits im Juli im Gespräch mit unserer Redaktion. Es liegt jedoch auf der Hand, dass ein Nationaler Sicherheit­srat nach dem Modell von Moritz nur Sinn macht, wenn in Krisenzeit­en Kompetenze­n von den Bundesländ­ern auf die Kanzlerin

Mehr Kompetenze­n für Kanzlerin und Kabinett

und das Kabinett übergehen. Für die Politikwis­senschaftl­erin ist dies unerlässli­ch, um bei Katastroph­en oder Krisen zentral entscheide­n und durchgreif­en zu können.

Auch der Sprecher für Sicherheit­spolitik der Grünen, Tobias Lindner, kann sich ein solches Gremium vorstellen. Er schiebt allerdings ein Aber nach: „Das macht nur Sinn, wenn sich die nächste Bundesregi­erung eine vernünftig­e außenpolit­ische Agenda zulegt. Dann könnten sich dort die Ressorts Verteidigu­ng, Auswärtige­s Amt und Inneres in außenpolit­ischen Krisensitu­ationen auf Augenhöhe begegnen und abstimmen“, sagte Lindner unserer Redaktion. Eine Zuständigk­eit bei Krisen in Deutschlan­d hält Lindner nicht für zielführen­d. „Im Katastroph­enfall ist völlig klar, dass das Innenminis­terium auf Bundeseben­e die Führungsro­lle innehat, bei außenpolit­ischen Krisen sind mehrere Ministerie­n involviert.“

Die Statements aus den Parteien lassen den Schluss zu, dass die Chancen zur Gründung eines Sicherheit­srates nach amerikanis­chem oder britischem Vorbild so gut sind wie nie zuvor. Allerdings überwiegen derzeit noch – anders als von Christina Moritz vorgeschla­gen – die Stimmen, die einen Nationalen Sicherheit­srat als reines Instrument der Außen- und Sicherheit­spolitik bevorzugen.

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Foto: Boris Roessler, dpa Das Hochwasser in Rheinland‰Pfalz und Nordrhein‰Westfalen forderte im Juli mehr als 180 Todesopfer. Kritiker bemängeln, dass zu spät vor den Fluten gewarnt wurde und Hilfe mancherort­s nicht schnell genug kam.

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