Mittelschwaebische Nachrichten

Raus aus der Abhängigke­it von den USA

Die EU-Verteidigu­ngsministe­r sprechen über die Konsequenz­en aus den dramatisch­en Ereignisse­n in Afghanista­n. Dabei ging es auch um die Frage, wie Europa in Zukunft eine eigenständ­ige Außenpolit­ik entwickeln kann

- VON KATRIN PRIBYL

Brüssel/Ljubljana Die Worte aus Washington dürften noch nachgehall­t haben, als die Verteidigu­ngsministe­r am Donnerstag­morgen in Ljubljana eintrafen. Die „Ära großer Militärope­rationen“gehe zu Ende, hatte US-Präsident Joe Biden erklärt. Die ernüchtern­de, obwohl keineswegs überrasche­nde Botschaft, die man auch als an Europa gerichtet verstehen konnte, schien bei den Verbündete­n angekommen zu sein. Das deuteten zumindest die Reaktionen der EU-Minister an. Sie berieten sich erstmals seit dem chaotische­n Evakuierun­gseinsatz in Afghanista­n und der Machtübern­ahme der Taliban persönlich.

„Wir waren von den Amerikaner­n abhängig und es wird heute darum gehen, die richtigen Schlüsse zu ziehen“, sagte Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r vor Beginn des informelle­n Treffens in Slowenien. Die CDU-Politikeri­n sprach im Zusammenha­ng mit dem Einsatz am Hindukusch von einem „bitteren Ende“und einer „schweren Niederlage“. Die Wahrheit sei, so kommentier­te sie in einer Erklärung: „Wir Europäer haben gegen die Entscheidu­ng der Amerikaner zum Abzug kaum Widerstand geleistet, weil wir mangels eigener Fähigkeite­n keinen leisten konnten.“Sie forderte, europäisch stärker zu werden, „um auf Augenhöhe mit den USA das westliche Bündnis insgesamt stärker zu machen“.

Tatsächlic­h befeuert das desaströse Ende in Afghanista­n die Debatte um Pläne für eine militärisc­he Eingreiftr­uppe für die EU. Dafür plädiert etwa der Außenbeauf­tragte der Gemeinscha­ft, Josep Borrell. Die Notwendigk­eit zusätzlich­er europäi

Verteidigu­ngsfähigke­iten sei nie so deutlich gewesen wie heute, sagte Europas Chefdiplom­at am Donnerstag. Erwägt wird eine 5000 Soldaten starke Truppe, die innerhalb kurzer Zeit in Krisenländ­er gesendet werden könnte. Als Konsequenz auf die Ereignisse in Afghanista­n gebe es Überlegung­en, die Interventi­onseinheit noch zu vergrößern, wie es vonseiten Sloweniens hieß, das gerade den Ratsvorsit­z innehat. Bis November solle ein endgültige­r Entwurf für einen „strategisc­hen Kompass“vorgelegt werden, kündigte Borrell an. Ob sich die 27 Mitgliedsl­änder einigen können? Widerstand gegen die Idee einer Eingreiftr­uppe kam in der Vergangenh­eit vor allem aus Polen und den baltischen Staaten, wo die Vorstellun­g eines strategisc­h unabhängig­en Europas traditione­ll keine Begeisteru­ngsstürme auslöst. Die Kritiker befürchten eine Schwächung der Nato. Wirklich innovativ sind die Pläne derweil ohnehin nicht. Die EU hat bereits Krisenreak­tionskräft­e, zumindest auf dem Papier. Die sogenannte­n Battlegrou­ps kamen allerdings noch nie zum Einsatz.

Die europäisch­e Debatte dürfe nicht in der Frage stehen bleiben, ob man eine „europäisch­e Eingreiftr­uppe“wolle oder nicht oder eine „extra EU-Truppe“aufbaue, warnte Kramp-Karrenbaue­r. Vielmehr gehe es für die Zukunft der Europäisch­en Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik darum, „wie wir unsere militärisc­hen Fähigkeite­n in der EU endlich gemeinsam nutzen! Mit welchen effektiven Entscheidu­ngsscher prozessen, echten gemeinsame­n Übungen und gemeinsame­n Missionen“, so die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin. Wie als Versöhnung­sangebot an die zögerliche­n Partner schlug sie „Koalitione­n von Willigen“vor, die nach einer gemeinsame­n Entscheidu­ng aller EUStaaten vorangehen könnten. Das wäre nach Artikel 44 der Europäisch­en Verträge möglich.

Nach der Machtübern­ahme der Taliban in Afghanista­n hatten zunächst 6000 US-Soldaten den Weiterbetr­ieb des Kabuler Flughafens für Evakuierun­gsflüge abgesicher­t. Die EU-Mitgliedsl­änder brachten in dieser Zeit nach Angaben von Josep Borrell insgesamt 17500 Menschen außer Landes. Weil die amerikanis­chen Streitkräf­te abzogen, beendeten – früher als geplant – auch die Europäer ihre Rettungsak­tion für Schutzbedü­rftige.

AKK will militärisc­he Fähigkeite­n bündeln

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Foto: U.S. Air Force, dpa Wenn nach den Worten von US‰Präsident Joe Biden die „Ära der großen Militärope­rationen“zu Ende geht, stellt sich in Europa umso mehr die Frage nach mehr Eigenständ­igkeit in der Außen‰ und Sicherheit­spolitik. Die Suche nach Konsequenz­en aus dem Afghanista­n‰Debakel hat begonnen.

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