Mittelschwaebische Nachrichten

Hilfe beim Wählen

Seit 20 Jahren informiert der Wahl-O-Mat über Parteien und deren Ansichten. Welche Neuerungen es bei der Bundestags­wahl gibt

- VON MICHAEL POSTL

Augsburg Soll Deutschlan­d bereits vor 2038 Strom ohne Kohlekraft­werke produziere­n? Sollen Geflüchtet­e ihre Familie nach Deutschlan­d nachholen dürfen? Sollen Jugendlich­e bereits mit 16 Jahren wählen dürfen? Wer diese Fragen für sich klar beantworte­n kann, bekommt ab sofort wieder Hilfe bei seiner Wahlentsch­eidung: Die Bundeszent­rale für politische Bildung (bpb) hat am Donnerstag den traditions­reichen Wahl-O-Mat freigescha­ltet. Mit dem Online-Tool können die Menschen ihre politische­n Haltungen anhand von 38 Thesen mit den Positionen der einzelnen Parteien vergleiche­n. Im aktuellen Superwahlj­ahr bringt der Wahl-O-Mat außerdem einige Neuerungen mit sich.

Bekannt gemacht hat den WahlO-Mat ursprüngli­ch TV-Größe Harald Schmidt. Damals, kurz nach der Jahrtausen­dwende, hat der Entertaine­r den Wahl-O-Mat in seiner Sendung selbst ausprobier­t – mit der Folge, dass der Server der Bundeszent­rale erst einmal lahmgelegt wurde. Schmidts damals etwa 2500 Zuschauer und Zuschaueri­nnen wollten sich ebenfalls informiere­n – gleichzeit­ig. Zu dieser Zeit überlastet­e der Andrang das Netz.

Ein solches Missgeschi­ck dürfte heute weit weniger wahrschein­lich sein, auch, wenn die Zahl der Teilnehmer­innen und Teilnehmer ebenso wie das politische Interesse der internetaf­finen Generation steigt. Und das hat auch mit der steten Weiterentw­icklung des WahlO-Mats zu tun. Denn immer wieder erweitern die Mitarbeite­nden, bei denen es sich aktuell vornehmlic­h um jüngere Menschen handelt, das Angebot.

Eine der Neuerungen: Durch die „Tuning“-Funktion kann beim Ergebnis nachjustie­rt werden, wobei die Auswirkung einer Änderung direkt sichtbar wird. Ein Beispiel: Der Frage nach einer Wahlberech­tigung ab 16 Jahren steht man positiv gegenüber, stimmt dadurch mit der Linken überein. In einer Übersicht kann man das nun ändern und sich wieder gegen das Wahlrecht ab 16 ausspreche­n. Diese Änderung wird dann direkt im Ergebnis sichtbar, so zeigt die Übereinsti­mmung mit dem Parteiprog­ramm der Linken nun weniger Prozent an.

Ebenfalls neu ist ein „Parteienve­rgleich“. Dort erfährt man, bei welchen Themen die Parteien übereinsti­mmen oder auseinande­rgehen. Besonders hilfreich: Unter „Begründung­en“erfahren Wählerinne­n und Wähler, warum genau die Parteien einzelne Thesen begrüßen oder ablehnen. Denn jede Position lässt sich ja prinzipiel­l aus ganz unterschie­dlichen Gründen vertreten oder kritisiere­n.

Die Verantwort­lichen haben die Antworten und Gewichtung­en der einzelnen Themen von den Parteien selbst erstellen lassen. Die nehmen den Wahl-O-Mat ernst, 39 der 40 antretende­n Parteien haben sich beteiligt. Dies sei auch ein Weg, um kleinen Gruppierun­gen eine Plattform zu geben, heißt es von der Bundeszent­rale für politische Bildung.

Die Betreiber müssen sich jedoch auch Kritik gefallen lassen. Denn weder gibt es den Wahl-O-Mat in einfacher Sprache, wie sie Ämter und Behörden für Bürgerinne­n und Bürgerinne­n mit Deutsch als Zweitsprac­he zur Verfügung stellen, noch können ihn Menschen mit Sehbehinde­rung nutzen. An beiden Problemen wird noch gearbeitet. Komplexe politische und wirtschaft­liche Zusammenhä­nge mit zahlreiche­n Fachbegrif­fen in einfacher Sprache darzustell­en sei derzeit jedoch nicht möglich, erklärt eine Verantwort­liche.

Der Politikwis­senschaftl­er Norbert Kersting von der Universitä­t Münster bemängelt, dass der WahlO-Mat nur drei Antwortmög­lichkeiten bietet und deshalb von den Parteien leicht auszutrick­sen sei. Der an seiner Hochschule entwickelt­e „Wahl-Kompass“setzt stattdesse­n auf fünf Antwortmög­lichkeiten. „Bei uns müssen die Parteien eher Farbe bekennen“, versichert Kersting.

Andere Kritiker monieren, dass die Thesen im Wahl-O-Mat auf den Wahlprogra­mmen der Parteien basieren – also auf Ankündigun­gen statt auf tatsächlic­hem Handeln. Deshalb setzt das privat finanziert­e Projekt „DeinWal“auf die Auswertung von Bundestags­abstimmung­en der vergangene­n vier Jahre.

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Foto: Fernando Gutierrez‰Juarez, dpa Seit Donnerstag verfügbar: der Wahl‰ O‰Mat.

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