Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Autozulief­erer erfindet sich elektrisch neu

Das bayerische Unternehme­n Webasto hat eine aufwühlend­e Zeit hinter sich. Schon Ende Januar 2020 war die Firma von Corona betroffen, als die Pandemie noch kaum einer kannte. Während der Krise investiert­e das Unternehme­n weiter massiv in neue Technologi­en

- VON STEFAN STAHL

Stockdorf Holger Engelmann war der erste Chef eines deutschen Unternehme­ns, der die Firmenzent­rale wegen Corona-Fällen auf eigene Initiative geschlosse­n hat. Er und sein Team handelten schnell. Denn eine aus China kommende Mitarbeite­rin des Autozulief­erers Webasto hatte den Erreger, ohne es zu wissen, am Konzernsit­z in Stockdorf bei München im Januar 2020 weiter verbreitet. Neun Beschäftig­te und fünf Angehörige infizierte­n sich. „Heute geht es allen Betroffene­n wieder gut. Auch ein Angestellt­er, der zunächst langfristi­ge Corona-Folgen zu haben schien, ist vollständi­g gesund“, sagt der Webasto-Vorstandsv­orsitzende im Gespräch mit unserer Redaktion. Für den 56-Jährigen waren die ersten Tage der Krise die härtesten in seinem Managerleb­en: „Wir sind schließlic­h nicht nur für den wirtschaft­lichen Erfolg, sondern auch das gesundheit­liche Wohlergehe­n unserer Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r verantwort­lich.“

Am Anfang wusste die Führungsma­nnschaft nicht, ob sich jemand aus dem Kreis selbst angesteckt hat. „Wir haben zusammenge­standen, haben offen kommunizie­rt und waren erleichter­t, als wir negativ getestet wurden“, erinnert sich Engelmann an die aufwühlend­en Tage Ende Januar 2020. Damals war der Webasto-Spitze nicht klar, dass sie für den transparen­ten Umgang mit den Corona-Infektione­n, der in der Bevölkerun­g zunächst zum Teil für Irritation­en sorgte, einmal mit dem „PR Report Award“ausgezeich­net werden. Damit wurde die Krisenkomm­unikation des Hauses gewürdigt. Für Webasto waren die Ereignisse eine Chance. „Das hat uns eher gefestigt und zusammenge­schweißt“, bilanziert Engelmann. Der Manager freut sich nun auf die Automobila­usstellung IAA Mobility in München, die am 7. September von Bundeskanz­lerin Angela Merkel eröffnet wird. Webasto ist dort groß vertreten. Der globale Marktführe­r für Standheizu­ngen und Autodachsy­steme, also etwa Panoramaun­d Schiebedäc­her, gehört zu den 100 größten Autozulief­erern der Welt. Im Zuge der Corona-Krise ging der Umsatz von 2019 auf 2020 von 3,7 auf 3,3 Milliarden Euro zurück, der Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) rutschte von plus 107 auf minus 69 Millionen Euro ab. Dennoch stieg die Beschäftig­tenzahl leicht auf gut 14100 an.

im Krisenjahr 2020 hat Webasto mit 268 Millionen Euro kräftig investiert. Für Engelmann gibt es dazu keine Alternativ­e: „Wir haben trotz Corona-Krise unseren Transforma­tionskurs konsequent fortgesetz­t und in Zukunftsfe­lder wie Elektromob­ilität und autonomes Fahren investiert.“Damit wird Webasto auf der IAA Mobility unter anderem ein Dachsystem für Autos, die autonom unterwegs sein werden, präsentier­en.

Doch was haben Panoramadä­cher mit selbstfahr­enden Fahrzeugen zu tun? „Mehr als es auf den ersten Blick scheint“, sagt der WebastoChe­f. Das Unternehme­n habe den Trend früh erkannt und sei direkt in die Entwicklun­g gegangen.

Für die Technik müssen in den Fahrzeugdä­chern reichlich Sensoren und Laser verbaut werden. Zunächst schien es, als wäre dies das Aus für Autodächer, die sich öffnen lassen. Für den Zulieferer wäre das problemati­sch, erwirtscha­ftet er doch 84 Prozent des Umsatzes mit Dachsystem­en, 14 Prozent steuert der Bereich „Heizen und Kühlen“bei und erst zwei Prozent gehen auf das Konto von Angeboten für die Elektromob­ilität. „Wir haben also frühzeitig begonnen, Dachsystem­e zu entwickeln, in die sich Radar-,

Antennen- und Lasertechn­ologie integriere­n lassen“, sagt Engelmann. Dabei ist der Kostendruc­k auf die Autozulief­erindustri­e immens. Webasto muss daher in neue Bereiche hineinwach­sen, um den Druck wirtschaft­lich abfangen zu können. Als Marktführe­r bei Dachsystem­en und Standheizu­ngen kann das Unternehme­n schließlic­h nicht mehr derart stark zulegen, um rückläufig­e Preise entspreche­nd auszugleic­hen. Deswegen hat sich das Familien-Unternehme­n schon 2015, als viele noch an der E-Mobilität zweifelten, entschiede­n, massiv in die neue Technologi­e, die im Mittelpunk­t der IAA steht, zu investiere­n.

Das Unternehme­n baut heute Batteriemo­dule und fügt sie zu kompletten Systemen zusammen. Auch in das Geschäft mit der Ladetechno­logie, also Kabeln mit entspreche­nden Steckern für FahrzeuAuc­h ge oder Wallboxen, mit denen sich Autos aufladen lassen, ist Webasto eingestieg­en. Zudem hat die Firma auch neuartige Heizsystem­e für Elektrofah­rzeuge entwickelt.

Inzwischen ist mehr als eine halbe Milliarde Euro an Investitio­nen für neue Geschäftsf­elder zusammenge­kommen. Engelmann glaubt: „Das wird sich auszahlen. In zehn Jahren ist die Messe gelesen, dann haben sich Elektroaut­os durchgeset­zt.“

Dabei scheint die Webasto-Strategie erste Erfolge zu zeigen: Es stammen bereits zwölf Prozent des Auftragsbe­stands von rund drei Milliarden Euro aus dem Bereich der E-Mobilität. Großaufträ­ge aus Südkorea von Hyundai/Kia und aus China von Great Wall bestätigen die Firmen-Spitze in der Strategie.

Engelmann besucht mit viel Optimismus die IAA: „Ich freue mich wahnsinnig, dass wir uns wieder alle treffen können und dass man Autos sieht, ja anfassen kann.“Dabei wird die Zuversicht des Managers erst einmal zu einem Stück weit durch steigende Materialko­sten etwa für Stahl oder Aluminium, aber vor allem auch durch den chronische­n Chipmangel gedämpft: „Das hatten wir uns nach einem noch guten ersten Quartal für dieses Jahr anders vorgestell­t. Nun leiden wir wegen der Rohstoffsi­tuation unter Mehrkosten und das bei sinkendem Umsatz.“Engelmann ist sich sicher: „Die Chip-Krise wird sich definitiv in das nächste Jahr hineinzieh­en.“Nach der vor der Automesse ernüchtern­den Einschätzu­ng sieht der Manager bessere Zeiten aufziehen, schließlic­h sei der Bedarf an Autos groß: „Wenn die Chipkrise überstande­n ist, warten sehr gute Jahre auf die Automobilb­ranche.“

Engelmann ist froh, dass die Firma zu 100 Prozent einer investitio­nsfreudige­n und langfristi­g orientiert­en Familie gehört, die seit 1901 hinter dem Unternehme­n steht. Der Name des Konzerns leitet sich vom Gründer und dem Ortsnamen des Firmensitz­es ab: Aus den Anfangsbuc­hstaben von Wilhelm Baier und Stockdorf wurde Webasto.

Das Unternehme­n ist erprobt in der Eroberung neuer Geschäftsf­elder. Zunächst fertigte Webasto Stanzteile, Drahtbügel und Haushaltsg­eräte. Später waren es Zubehörtei­le für Fahrräder wie Felgen, Schutzblec­he und Kettenschü­tzer. In den 1930er Jahren wurde die Firma mit ersten Fahrzeug-Faltdächer­n und einer Frischluft­heizung zum Autozulief­erer.

„In zehn Jahren ist die Messe gelesen, dann haben sich Elektroaut­os durchgeset­zt.“Holger Engelmann

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Die Messe IAA Mobility, die vom 7. bis 12. September in München stattfinde­t, soll keine PS‰Protzmesse mehr sein, sondern Mobilität umfassende­r präsentier­en. So werden neben vielen Elektroaut­os auch E‰Scooter und Fahrräder gezeigt.
Foto: Sven Hoppe, dpa Die Messe IAA Mobility, die vom 7. bis 12. September in München stattfinde­t, soll keine PS‰Protzmesse mehr sein, sondern Mobilität umfassende­r präsentier­en. So werden neben vielen Elektroaut­os auch E‰Scooter und Fahrräder gezeigt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany