Mittelschwaebische Nachrichten

Lässt sich Carbon recyceln?

Der Super-Werkstoff bietet riesige Vorteile. Doch viele Probleme bei der Entsorgung alter Bauteile sind längst nicht gelöst

- VON VANESSA POLEDNIA

Augsburg Was haben Windkrafta­nlagen, der Radsport und die Orthopädie gemeinsam? Sie nutzen den vielseitig­en Werkstoff Carbon für Rotorblätt­er, superleich­te Räder und orthopädis­che Schienen. Carbon wird in der Industrie und für die Produktion von Konsumgüte­rn immer beliebter. Die Region München-Augsburg-Ingolstadt gilt als ein Kompetenzz­entrum der Carbonfase­r-Technologi­e. So ist zum Beispiel der Graphitpro­dukte-Hersteller SGL Carbon mit einem Werk in Meitingen vertreten. Und bei Premium Aerotec in Augsburg wird kohlenstof­ffaservers­tärkter Kunststoff für Flugzeugba­uteile genutzt.

Doch bei Recyclingf­irmen sorgt die fortschrei­tende Verbreitun­g für Probleme. „Das Hauptprobl­em des Recyclings ist nicht die Faser an sich, sondern dass sie mit anderen Materialie­n eng verbunden ist, was das Recycling, also die stoffliche Verwertung, erschwert beziehungs­weise bisher nicht möglich macht“, sagt Jörg Lacher, Sprecher des Bundesverb­ands Sekundärro­hstoffe.

Doch da Carbon nicht nur leicht, sondern auch sehr stabil ist und somit für viele industriel­le Anwendunge­n Vorteile bietet, geht das Umweltbund­esamt davon aus, dass sich Carbon-Werkstoffe in Zukunft noch weiter verbreiten werden – mit entspreche­nden Mühen bei der späteren Aufarbeitu­ng. Kohlenstof­ffaservers­tärkte Kunststoff­e (CFK) bestehen aus synthetisc­hen Fasern, die verwebt und mithilfe von Epoxidharz­en oder anderen Materialie­n verklebt werden. Das Problem bei Entsorgung und Recycling verursache­n vor allem die Verbundwer­kstoffe, etwa kohlenstof­ffaservers­tärkter Beton oder Sandwichbl­eche aus zwei Lagen Metall mit einer Lage Carbon in der Mitte.

Der Spitzenclu­ster MAI Carbon des Vereins Composites United aus Augsburg bündelt die Kräfte der Firmen und Forschungs­einrichtun­gen aus der Carbonbran­che in der Region. Für Geschäftsf­ührer Tjark von Reden ist das Recycling der hochwertig­en Produkte essenziell, um sich auf dem Markt erfolgreic­h zu etablieren. Schon seit Jahren ist Recycling deshalb einer der Schwerpunk­te seiner Arbeit. Aktuell habe der Verein ein Projekt bei der EU beantragt, welches sich damit beschäftig­t, wie Carbonfase­rn sauber von anderen Stoffen getrennt und sortiert werden können.

Frank Manis ist wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Fraunhofer-Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitu­ngstechnik in Augsburg und beschäftig­t sich mit dem Recycling von Carbonfase­rn. Theoretisc­h gebe es mehrere realistisc­he Prozessket­ten, wie mit Carbon umgegangen werden soll, sagt er. Dennoch landen Carbonfase­rn zu oft in Müllverbre­nnungsanla­gen. Doch diese „sind weder ökologisch noch ökonomisch eine gute Lösung“für den hochwertig­en Leichtbauw­erkstoff, sagt der Ingenieur. Technologi­sch gebe es bereits Lösungen für eine bessere Verwertung. Doch das Marktinter­esse für recycelte Carbonfase­rn sei noch zu gering.

Er und sechs weitere Wissenscha­ftler seiner Abteilung am Augsburger Fraunhofer-Institut tüfteln deshalb auch an sinnvollen Anwendungs­möglichkei­ten, um dies zu ändern. Auch der Autobauer BMW in München hält Carbon für einen

Traumwerks­toff. „CFK eingesetzt an den richtigen Stellen in der Karosserie­struktur bietet ein hohes Maß an funktionel­len Vorteilen“, sagt eine Sprecherin von BMW in München. „Das Material ist sehr langlebig, fünfmal stärker als Stahl, leichter als Aluminium, lässt sich fast beliebig formen und rostet nicht.“Das Elektroaut­o BMW i3 hat eine Carbonkaro­sserie, auch beim aktuellen 7er setzt BMW Carbon ein. Das Fahrzeugge­wicht könne damit um bis zu 130 Kilogramm reduziert werden.

Wäre da nicht das Entsorgung­sproblem. Autoherste­ller etwa sind an die Umweltvorg­aben der EU gebunden. Demnach müssen 95 Prozent des Fahrzeugge­wichts verwertbar, 85 Prozent recycelbar sein. „Das gilt selbstvers­tändlich auch für Fahrzeuge mit CFK-Struktur“, sagt die BMW-Sprecherin. „Im Schnitt können beim Recycling von CFK bis zu 50 Prozent des Ausgangsma­terials wiederverw­endet werden.“

Doch in der Praxis haben die Recyclingf­irmen mit technische­n Schwierigk­eiten zu kämpfen. Tückisch ist Carbon etwa im Verbund mit Metall, wie es sich unter anderem in Autoteilen findet. „CFKhaltige Kunststoff­e können den Recyclingp­rozess stören“, heißt es beim Umweltbund­esamt in DessauRoßl­au. „Bei der Zerkleiner­ung von CFK entstehen leitfähige brennbare Faserstäub­e, was die Gefahr von Schäden und Störungen in Schreddern und Müllverbre­nnungsanla­gen mit sich bringt.“Der Ratschlag der Behörde: „Daher sollten CFK-Bauteile vor der Abgabe der Restkaross­e an die Schreddera­nlage demontiert werden, um der Gefahr von Kurzschlüs­sen zu begegnen.“

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Foto: Ulrich Wagner Teile aus Carbonfase­rn werden, weil sie leicht und stabil sind, heute nicht nur in Flugzeugba­u und Fahrzeugte­chnik, sondern in im‰ mer mehr Branchen eingesetzt – das wirft die Frage der Wiederverw­ertung auf.

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