Mittelschwaebische Nachrichten
Unbeschwert im Schein der Sonne
Ein sonniger Spätsommer und weniger Corona-Beschränkungen locken die Menschen in die Cafés, Bars und Geschäfte. An steigende Inzidenzwerte und mehr Corona-Patienten in Kliniken denkt da niemand. Oder doch?
Friedberg/Augsburg Die Mittagssonne spiegelt sich in den Sekt- und Orangensaftgläsern, die auf einem kleinen Tisch vor dem Friedberger Rathaus aufgereiht sind. Schon von der anderen Straßenseite hört man Lachen, Glückwünsche, Jazz-Musik aus einem Restaurant daneben, die die Szene perfekt untermalt. Ein Brautpaar wird umarmt. In der Luft liegt die pure Glückseligkeit. Vielleicht hat das Paar lange auf diesen Tag gewartet, den Termin auf dem Standesamt mehrmals verschieben müssen, Gäste ein- und wieder ausgeladen. Bis sie heute endlich die gemeinsame Zukunft feiern können.
Auf den ersten Blick ist in der Friedberger Altstadt an diesem Donnerstagmittag keine Spur von Sorgen oder Ängsten. Dann radelt eine ältere Dame mit FFP2-Maske im Gesicht den Friedberger Berg hinauf, an der Hochzeitsgesellschaft vorbei. Vorbei ist auch diese Pandemie noch nicht.
Die FFP2-Maske müsste die Frau auf dem Rad eigentlich gar nicht tragen – auch nicht, wenn sie in ein Geschäft geht. Seit Donnerstag fällt die FFP2-Maskenpflicht in Bayern. Das ist nicht die einzige Lockerung: Auch die Kontaktbeschränkung für private Treffen sowie die Kundenbeschränkung im Einzelhandel sind ab sofort hinfällig. Das hat das bayerische Kabinett am Dienstag beschlossen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach dabei von einer „neuen Form der Freiheit“, Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) von einem neuen Kapitel in der Pandemie.
Andreas, Basti und Michael feiern dieses neue Kapitel im Außenbereich einer Bar. Die drei Kollegen haben Mittagspause. Wobei, die ist eigentlich schon seit einer Stunde vorbei. Macht ja nichts, wenn der Chef dabeisitzt. Man habe diese Art von Mittagspausen vermisst, erzählt Andreas, 35 Jahre alt. „Als hier zu war, haben wir mittags eben nur gegessen“, sagt Chef Basti, lacht und zeigt auf sein leeres Weizenglas.
Jeden Donnerstag sitzen die drei hier. Und immer wieder gibt es neue Gespräche oder Diskussionen. Heute: Herdenimmunität und Impfungen. Einer der drei erzählt, er habe sich vor kurzem zum ersten Mal gegen Corona impfen lassen. Er habe nicht auf Dauer auf das Trainieren im Fitnessstudio verzichten wollen – jedes Mal testen wolle er auch nicht. „Ja, so haben ’se mich jetzt gekriegt“, sagt der 39-Jährige und zuckt mit den Schultern.
23 von 24 Corona-Patientinnen und Patienten in der Augsburger Uniklinik, die diese Woche stationär behandelt wurden, sind ungeimpft. Das Durchschnittsalter: unter 50. Das teilt die Stadt Augsburg mit.
Für sie war es gar keine Frage, sich nicht impfen zu lassen, erzählt Lea Dick aus Aichach beim Mittagessen in einem vietnamesischen Restaurant in der Augsburger Jakoberstraße. Sie und ihr Freund Marcus genießen die neue Freiheit in der Sonne. Essen gehen, mittags auch mal einen Cocktail trinken, wenn man Urlaub hat. Freunde treffen. Und vielleicht bald wieder in Clubs gehen. Das haben beide vermisst – vor allem, da sie sich im M-Eins, einer Disko in Aichach, kennengelernt haben.
„Die Sorge, die Zahlen könnten weiter steigen, ist trotzdem im Hinterkopf“, sagt die 21-Jährige. Ihr Freund nickt. „Aber trotzdem muss das Leben ja wieder weitergehen“, findet er. „Wenn sich jetzt keiner mehr impfen lassen will, ist es aber schwierig“, sagt Dick wiederum. In ihrer Familie habe es einen CoronaFall gegeben.
Die Inzidenz liegt in Bayern am Donnerstag bei 64,4. Zwar höher als noch vor ein paar Wochen, dennoch gehen die Zahlen zuletzt wieder etwas nach unten. Als Ärztin und Psychiaterin würde sie für den Mittelweg plädieren, sagt eine 44-Jährige
Mutter aus Landsberg. Sie verbringt den Nachmittag mit ihren Kindern und ihrem Neffen auf dem Spielplatz am Augsburger Kuhsee. Im Hintergrund sonnen sich gerade ein paar ältere Damen, Kinder springen in T-Shirt und mit Schildmütze den Enten hinterher. „Man muss neben den Corona-Zahlen auch die mentale Gesundheit im Blick behalten. Bei allen Unternehmungen habe ich dennoch im Kopf, dass Leute weiter schwer an Corona erkranken“, sagt die Ärztin.
Auch Christopher Chaves, Studienreferendar aus Augsburg, traut dem Gefühl von Freiheit noch nicht ganz. Er und seine Freunde wollen gleich Beachvolleyball spielen. „Jeder freut sich, dass wir jetzt noch ein paar Tage Sonne haben. Ein bisschen Angst schwingt trotzdem mit. Ich will nicht, dass die Schulen noch einmal schließen müssen“, sagt der 26-Jährige.
Etwa 24 Stunden zuvor meldet die Stadt: Seit vergangener Woche sind die Zahlen der Covid-19-Patienten deutlich gestiegen. Bedenklich sei die Zahl der Erkrankten, die auf der Intensivstation der Uniklinik in Augsburg behandelt werden müssen. Am Mittwoch sind das 16 Personen, wieder eine mehr als am Vortag.