Mittelschwaebische Nachrichten
Nervenkitzel über den Wolken
Luftfahrt Thomas Brenner ist Pilot bei Grob Aircraft. Dort testet er neue Systeme, bildet aber auch Luftwaffenpiloten aus. Welche Manöver er dafür beherrschen muss und wie sich ein Looping im Flugzeug anfühlt. Ein Bericht aus dem Cockpit
Mattsies Knöpfe, Schalter, Warnlampen, Displays, Messgeräte, dazu Steuerknüppel und Pedale: Im Cockpit der Grob G 120TP die Übersicht zu behalten ist schwierig. Für Pilot Thomas Brenner hingegen ist es Routine. Er legt einen Hebel um und erhöht die Geschwindigkeit. Der 41-Jährige lenkt das Flugzeug in eine enge Rechtskurve. Wie in einer Achterbahn werde ich in den Sitz gedrückt. Durch regelmäßige Übungsflüge ist Brenner es gewohnt, wenn große Kräfte auf seinen Körper einwirken. Und auch für Ungeübte wie mich ist es gut auszuhalten. Doch dann kommt der Moment der Wahrheit: Brenner zieht den Steuerknüppel zu sich. Das Flugzeug fliegt in einem steilen Bogen fast senkrecht nach oben. Sofort werde ich mit voller Wucht in den Sitz gepresst. So fühlt es sich also an, wenn das Fünffache des Körpergewichts auf den eigenen Körper wirkt.
Der Boden verschwindet aus dem Sichtfeld – nur noch blauer Himmel und Wolken sind zu sehen. Beine und Arme werden so schwer, dass man sie nicht mehr anheben kann. Das Gesicht wird nach unten gezogen,
Beim Looping versinkt man tief im Sitz
das Kinn oben zu halten ist fast unmöglich. Auf einmal wird alles wieder ganz leicht. Dort wo eben noch der Himmel war, ist nun aus dem Cockpit die Landschaft zu sehen. Wir fliegen kopfüber. Doch noch bevor ich den Ausblick über das Unterallgäu genießen kann, fliegt das Flugzeug in einem Bogen auch schon wieder abwärts. Erneut versinke ich im Sitz – bis der Looping fertig gedreht ist.
Für Thomas Brenner ist das Alltag. Der 41-Jährige leitet die Flugschule bei Grob Aircraft. Er bildet Piloten aus. Seine Schüler sind meist vom Militär und selbst auch Ausbilder. Sie geben ihr Wissen dann an andere Luftwaffenpiloten weiter. Diese lernen in den Grob-Maschinen Flugmanöver, die sie später in ihren Kampfjets brauchen werden. Wie zum Beispiel Loopings und Rollen – Brenner beherrscht diese und weitere Manöver praktisch im Schlaf.
Eine halbe Stunde zuvor: Thomas Brenner steht auf dem Flugplatz Mindelheim-Mattsies. Neben ihm ein weiß-oranger Flieger – die Grob G 120TP. Das kleine Flugzeug wurde als Trainingsflieger für die militärische Piloten-Ausbildung entwickelt. Ein Triebwerk von RollsRoyce treibt es mit etwa 380 PS an, für kurze Zeit können auch 450 PS abgerufen werden. Das Flugzeug kommt damit auf eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 400 Stundenkilometern. Grob Aircraft hat die Maschine schon an Luftwaffen in der ganzen Welt geliefert. Darunter Indonesien, Argentinien, Mexiko, Myanmar, Äthiopien, Bangladesch, Schweden, die USA und die Royal Air Force in Großbritannien. Brenner ist über die Jahre auch bereits bei fast allen Kunden vor Ort gewesen. „Es ist interessant, dass man die verschiedenen Nationen kennenlernen kann“, findet er. Besonders spannend seien auch die drei Atlantiküberquerungen in die USA gewesen. Denn wenn die Flugzeuge ausgeliefert werden, so kommen sie nicht immer per Containerschiff zum Kunden. Manchmal werden sie einfach direkt dorthin geflogen. Im Fall der Überführung in die USA dauerte das drei Tage, mit Zwischenstopps in Island und Kanada.
Auf dem Mattsieser Flugplatz wird mir schon vor dem Start klar, dass es auch gefährlich werden könnte. Zu den Sicherheitsvorkehrungen gehört, dass ich einen Fallschirm anlegen muss. Brenner erklärt, wie ich im Notfall auf die Tragfläche steigen, beim Absprung Abstand zum Propeller gewinnen und nach ein paar Sekunden den Fallschirm öffnen muss. Ein Szenario, das zu meiner Beruhigung fast nie vorkommt. Während mir trotzdem ein wenig mulmig ist, ist Brenner total entspannt. „Aus so einer Situation komme ich nicht raus“, habe er in mehr als 23 Jahren und 3000 Flugstunden nie gedacht.
Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Schließlich ist Brenner nicht nur Leiter der Flugschule. Sein Einsatzgebiet ist auch die Flugerprobung. Er testet also neue Flugzeuge und Systeme, muss darüber berichten und sie bewerten. Funktioniert ein System nicht, wie es soll, könnte es also gefährlich werden. Darüber macht sich Brenner aber keine großen Gedanken. „Für mich sind es immer der technische Anspruch, die dreidimensionale Bewegung des Flugzeugs, was mich fasziniert“, sagt er. Jeder Flug habe seine Besonderheiten. „Man muss auf das Unerwartete reagieren, das ist das Spannende.“
Mit Headset auf dem Kopf, Fallschirm auf dem Rücken und stramm festgegurtet geht es schließlich los. Brenner führt vor dem Start noch die Routinetests durch. Er drückt verschiedene Knöpfe. Systeme: gecheckt. Quer-, Höhen- und Seitenruder: gecheckt. Dazu notiert er sich Zahlen auf einem Block. Der 41-Jährige ist ursprünglich Maschinenbauund Wirtschaftsingenieur.
Bereits mit 17 hat der Neu-Ulmer erste Flugerfahrungen gesammelt, dann auch immer mehr Interesse an den technischen Hintergründen der Fliegerei entwickelt. Seit zehn Jahren arbeitet er bei Grob Aircraft.
Zurück im Flugzeug. Der erste Looping ist geschafft. Selbst für jemanden, der schon viele Achterbahnen gefahren ist, ist es überraschend, welch gewaltigen Kräfte auf den Körper wirken. Sie können bei manchen Manövern so gewaltig sein, dass Untrainierte Durchblutungsstörungen bekommen oder sogar bewusstlos werden, wenn sie zu lange dauern.
Brenner fliegt eine Rolle, die ziemlich genau das ist, was der Name sagt. Im Vergleich zum Looping werde ich hier lediglich ein wenig geschüttelt, während sich der Ausblick einmal im Kreis dreht. Die „aerobatischen Basisfiguren“, wie sie im Fachjargon heißen, gehören zum militärischen Standardrepertoire. Genau wie der „Immelmann“. Der Name geht auf einen deutschen Jagdpiloten im Ersten Weltkrieg zurück. Die Figur funktioniert ähnlich wie ein Looping: Es geht im steilen Bogen nach oben, nach der Hälfte folgt aber eine halbe Rolle und die Maschine fliegt höher als zuvor und in die entgegengesetzte Richtung. Ein sogenanntes „Split S“funktioniert genau so – nur andersherum, also von oben nach unten.
Brenner kann nicht alle Manöver vorführen – und darüber bin ich gar nicht unglücklich. Manche davon sind nichts für schwache Nerven. Beim „Hammerhead Turn“etwa wird das Flugzeug von der Horizontalen in die Vertikale gebracht und während es fast in der Luft stehen bleibt, um 180 Grad gedreht. Zur Ausbildung der Luftwaffenpiloten gehört auch, dass der Flieger absichtlich zum Trudeln gebracht wird, sich also in einer steilen Spirale Richtung Boden bewegt. Ein Zustand, den man normalerweise vermeiden will und der zu Unfällen führen kann. Genau deshalb müssen die Piloten aber lernen, das Flugzeug wieder abzufangen.
Zu viel Nervenkitzel für mich. Looping, Immelmann, Rollen – für mich ist es an diesem Tag genug. In den letzten zwei Minuten vor der Landung habe ich doch ein etwas flaueres Gefühl im Magen. Auch im Kopf dreht sich mehr als sonst. Für Brenner gehören Nervenkitzel und hohe Belastungen zur Berufsbeschreibung: „Es macht das Fliegen spannend, dass immer wieder andere Sachen aufkommen.“