Mittelschwaebische Nachrichten

Das neue Klostermus­eum in Wettenhaus­en: „Ein Hightech‰Museum hätte nicht gepasst“

Nach vier Jahren Vorplanung öffnet das Kloster die Einrichtun­g für Besucher. Kunsthisto­rikerin Claudia Madel-Böhringer hat sie konzipiert und gewährt einen Einblick

- VON HEIKE SCHREIBER

Das Konzept für das neue Klostermus­eum war eigentlich fertig. Alles bis ins kleinste Detail ausgefeilt, wo welches Ausstellun­gsstück platziert wird. Doch dann kam da vor wenigen Tagen ein überrasche­nder Anruf. Ob eventuell Interesse bestehe an einer alten Fahne des Schützenve­reins, einst wunderschö­n gestickt von Klostersch­western. Wie hätte Claudia Madel-Böhringer zu so einem kleinen Schatz Nein sagen können? Kurzerhand plante die Museumskur­atorin um. An diesem Morgen, nur wenige Tage vor der Eröffnung des Museums am Samstagabe­nd, steht Madel-Böhringer an dem großen, schweren Holztisch im dritten Stock, wo früher die Schwestern ihre Stickarbei­ten erledigt haben, und heftet die Fahne auf eine Leinenbahn, um sie daran aufhängen zu können. Es ist nur eine Aufgabe von vielen, die sie noch bis Samstag abarbeiten muss - dabei lässt sie sich trotz Zeitdruck nicht aus der Ruhe bringen und sich ausnahmswe­ise auch über die Schulter schauen.

Über Jahre und Jahrzehnte haben die Schwestern des Klosters Wettenhaus­en den gewaltigen Fundus an Schriftstü­cken, Handarbeit­en und Gemälden verwahrt, bewahrt und weiter aufgestock­t. Immerhin wurde in den 80er Jahren ein kleiner Raum eingericht­et, in dem sie ihre eigenen Klosterarb­eiten wie Stickereie­n aufbauten. Sie nannten es „Museumle“. Wer wollte, durfte schon einen Blick hineinwerf­en, aber als öffentlich­es Museum war es nicht gedacht. Eigentlich kein Dauerzusta­nd, fand Hubert Hafner, Geschäftsf­ührer der

Kloster Wettenhaus­en Entwicklun­gs gGmbH.

„Zu einem großen

Kloster wie unserem gehört einfach ein Museum dazu.“Vor einigen Jahren ging er deshalb auf Ichenhause­ns Stadtarchi­varin Claudia Madel-Böhringer zu, die schon mehrere Ausstellun­gen konzipiert hat, und fragte sie, ob sie sich vorstellen könne, ein Konzept für Wettenhaus­en zu erstellen. Sie war sofort Feuer und Flamme.

Für sie ist es quasi eine Rückkehr zu ihren Wurzeln. In Wettenhaus­en ist die Kunsthisto­rikerin zur Schule gegangen, hat hier 1977 ihr Abitur gemacht, am Ende des Studiums die Magisterar­beit über Freskenmal­erei in der Klosterkir­che geschriebe­n. Ein „Neuling“sei sie nicht.

Ihre neue Aufgabe in Wettenhaus­en war es, die kleinen und großen, materielle­n und immateriel­len Schätze des Klosters zu sichten und auszuwähle­n, was sich wie in einem neuen Klostermus­eum präsentier­en lässt.

„Die Schwestern haben sich Sorgen gemacht, dass dafür nicht genügend Material da ist“, erzählt Madel-Böhringer, während sie mit weißen Stoffhands­chuhen die Fahne des Schützenve­reins drapiert.

Sie und Hubert Hafner, der ihr als „Sparringsp­artner“zur Seite stand, haben aber schnell gemerkt: „In unglaublic­h vielen Schränken lagen unglaublic­h viele und auch kuriose Dinge“, sagt Hafner.

All das konnte unmöglich auf 300 Quadratmet­ern und in fünf Räumen im dritten Stockwerk Platz finden. Madel-Böhringer sortierte aus, was sie nicht brauchen konnte, landete in Zeiten des Klosterumb­aus in einem neu angelegten Archiv beziehungs­weise Depot.

Den großen Arbeitstis­ch der Schwestern, auf denen sie ihre Stoffbahne­n gelegt hatten, wollte sie unbedingt in der Ausstellun­g zeigen.

Doch der stand sozusagen im Wohnzimmer von Schwester Inviolata, die bis 2019 selbst noch daran genäht hat. „Wir sind sehr dankbar, dass sie uns Tisch und Raum für das Museum überlassen hat“, sagt Hafner.

Der Tisch ist ein Hingucker, der größte unter vielen einmaligen Stücken im neuen Museum. Für Madel-Böhringer war das Wichtigste an ihrem Konzept, „keine Ausstellun­g am grünen Tisch“zu entwerfen. Sie wollte so viele authentisc­he

Dinge wie möglich übernehmen, die zeitlichen Epochen mit den Räumen und ihrer Aura in Einklang bringen.

Um die Aura vergangene­r Zeiten wiederherz­ustellen, haben Stuckateur­e in etwa 1000 Arbeitsstu­nden die alten Stuckdecke­n gefestigt, saniert und repariert. „Ein Hightech-Museum hätte in das ehrwürdige Gemäuer nicht gepasst“, auf übertriebe­nen Einsatz digitaler Medien hat Madel-Böhringer deshalb und auch aus Kostengrün­den verzichtet.

Nur wer möchte, kann gleich zu Beginn der Ausstellun­g, vor dem Gemälde der Sage der Klostergrü­ndung stehend, sein Smartphone zücken, einen von drei QR-Codes scannen und sich mit einem Gedicht, eingesproc­hen von Priorin Schwester Amanda, akustisch und optisch in die Vergangenh­eit entführen lassen. Wer weiß schon, dass die Gründung des Klosters auf einer Sage beruht? Derzufolge hat sich Gräfin von Roggenstei­n Gedanken gemacht, wie sie in den Himmel kommen könnte. Eine Klostergrü­ndung erschien ihr dafür perfekt geeignet. Um an entspreche­ndes Land zu kommen, das ihren zwei Söhnen gehörte, wandte sie eine List an. Sie bekam die Zusage, dass ihr so viel Land zugesproch­en werde, wie sie an einem

Tag mit einem Pflug umfahren könne. Die Gräfin steckte sich ein Schmuckstü­ck in Form eines goldenen Pflugs in die Tasche, setzte sich in eine Kutsche und ließ sich darin einen Tag umherfahre­n.

Der Chronik nach datiert die Klostergrü­ndung auf das Jahr 982.

Augustiner-Chorherren ist das Kloster, so wie es heute dasteht, zu verdanken. Bis 1802 haben sie in Wettenhaus­en gewirkt, ein ganzer Raum ist ihnen gewidmet. Auf ehemaligen Schultisch­en aus Holz sind ihre Leistungen nachzulese­n, wer im wahrsten Sinne des Wortes tiefer in die Geschichte einsteigen möchte, kann die Tische aufklappen und sich durch weitere Details durchblätt­ern. Ins Auge fällt die gewaltige Replik eines Flügelalta­rs an der Wand. Auf dieses wertvolle gemalte und geschnitzt­e Werk aus dem 16. Jahrhunder­t sind auch schon andere in der Welt aufmerksam geworden. 1972 diente dieser Altar als Briefmarke­nmotiv - in den

Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Hubert Hafner stieß im Internet auf die Marken und ersteigert­e sie für ein paar Euro. Sie hängen jetzt eingerahmt neben der Nachbildun­g des Altars. Manches habe sich bei der Konzeption des Museums rein zufällig ergeben, manches hatte Claudia Madel-Böhringer ganz anders geplant.

Kurios wirkt zum Beispiel die Vitrine mit den alten Löscheimer­n, die direkt am Ausund Eingang zum neuen Fahrstuhl aus Glas steht. Eigentlich sollte hier eine Erklärtafe­l hängen, doch genau an dieser Stelle befindet sich an der Wand der Zugang zur Löschwasse­rentnahme für die Feuerwehr. Also packte die Stadtarchi­varin die Löscheimer von 1726 und eine alte Feuerwehrs­pritze aus und stellt sie genau hier zur Schau. Ob sie noch zum Einsatz kamen, bevor das Kloster 1802 in die Versenkung geriet? Zu diesem Zeitpunkt fand die Säkularisa­tion statt, die Augustiner-Herren mussten Platz machen, der bayerische Staat übernahm und verkaufte alles, was es zu verkaufen gab. Was da so alles versteiger­t wurde, hängt in Auszügen im nächsten Raum auf großen Plakaten an der Wand. Bis auf diese und eine mit Schlagzeil­en beklebte Litfaßsäul­e in der Mitte ist der Raum leer, er wirkt düster. „Es war ein gewaltiger Umbruch in dieser Zeit, von der Pracht in die Düsternis, das Kloster wurde seines Inhalts beraubt“, erklärt Hafner. Bis 1865 wurde das Kloster zwar vom Staat für ein paar Ämter genutzt, ansonsten verfiel es zusehends, im Kaisersaal lagerte Getreide, das Refektoriu­m diente als Schweinest­all.

Zurück ins Helle oder in die Zukunft, wie ein Wegweiser am Boden anzeigt, führt der dritte Raum. Das Kloster wurde wiederbele­bt, die Dominikane­rinnen hielten Einzug, aus dem Männer- wurde ein Frauenklos­ter. Schwester Aquinata Lauter war die erste Priorin, ihre Brille und ihr persönlich­er Rosenkranz sind genauso zu bewundern wie ein Tagebuch einer Novizin, goldene und silberne Professkrä­nze oder eine Schwestern­tracht. Wer es sehen will, muss hinter eine verschloss­ene Schranktür schauen.

Durch eine ganz spezielle Türe geht es in den vierten Ausstellun­gsraum. Diese Türe stammt vom Schulneuba­u aus dem Jahr 1955, durch diese ging bis zu seinem Abitur 2001 auch noch Hubert Hafner täglich hindurch. Irgendwann war die Tür am Haupteinga­ng abmontiert und auf dem Dachboden gelagert worden. Jetzt wird sie neu belebt.

Genau wie die Uhr, die jahrzehnte­lang im Speisesaal der Schule hing. Hafner selbst schraubte sie ab, um sie im Museum wieder aufzuhänge­n. Auf fünf Minuten vor acht ist sie eingestell­t, kurz vor Schulbegin­n. Sie steht symbolisch für den Aufbruch in eine neue Zeit, eine Zeit, in der sich die Mädchensch­ule wandelte und 1976 erstmals Buben zugelassen wurden. „Die ersten vier Buben mussten ganz nach vorne und wurden uns vorgestell­t. Und ich habe es selbst miterlebt“, erzählt Madel-Böhringer von einem historisch­en Augenblick. An den riesigen Wandteppic­h, den einst Schwestern in mühevoller Handarbeit gestickt haben und der jetzt das Museum ziert, kann sich auch noch Hubert Hafner erinnern. Jahrzehnte­lang hing das Kunstwerk in der Schulaula, viele Buben hätten sich dahinter versteckt und den ein oder anderen Faden herausgezo­gen.

Passend dazu im Raum der gewaltige Arbeitstis­ch, an dem der Teppich einst gestickt wurde. Die Stickarbei­ten, Stoffe und andere Handarbeit­en zeigt der fünfte und letzte Raum, das einstige „Museumle“. Madel-Böhringer blieb nichts anderes übrig, als auszudünne­n, „es hätte den Besucher sonst überfracht­et“.

Geblieben sind immer noch genügend Vitrinen mit selbst gefertigte­n Rosenkränz­en, ein eine Wandseite füllender Holzschran­k mit Schubladen zum Herauszieh­en mit Stickereie­n, Wachsmedai­llons und kunstvoll mit Goldfaden, Glassteine­n oder Kunstperle­n gefassten Reliquien. Und was ist mit der großen leeren Schautafel? Dort soll die neu zum Fundus hinzugekom­mene Fahne des Schützenve­reins drapiert werden. Bis zur Eröffnung am Samstag hängt sie. Ganz sicher.

Das Klostermus­eum Wettenhaus­en wird am Samstag, 11. September, für geladene Gäste um 18 Uhr eröffnet. Zuvor findet um 17 Uhr ein Festgottes­dienst mit Bischof Bertram Mei‰ er statt. Um 20 Uhr beginnt im Kaiser‰ saal das Festkonzer­t der Orchesterw­erk‰ statt Burgau. Dafür stehen noch Tickets zur Verfügung, die online unter https://www.klosterwet­tenhausen.de/ tickets erworben werden können. An‰ schließend können Besucher des Kon‰ zerts das Museum besichtige­n. Am Sonn‰ tag, 12. September, steht das Museum im Rahmen des Tags des offenen Denk‰ mals allen Interessie­rten zwischen 11 und 17 Uhr offen. Stündlich finden dann auch Führungen statt.

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Foto: B. Weizenegge­r Priorin Schwester Amanda im „Museumle“: In der Vitrine ausgestell­t sind Wachsabgüs­se eines Gnadenbild­s.
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Claudia Madel‰Böhringer, die das Museumskon­zept entwickelt hat, hat in diesen Tagen noch eine Spende des Schützen‰ vereins bekommen. Diese Fahne muss sie auf die Schnelle noch in die Ausstellun­g integriere­n.
 ?? Fotos (3): Heike Schreiber ?? Kurios: Es gibt sogar eine Briefmarke der Vereinigte­n Arabischen Emirate aus dem Jahr 1972, auf der ein Flügelalta­r aus Wettenhaus­en abgebildet ist.
Fotos (3): Heike Schreiber Kurios: Es gibt sogar eine Briefmarke der Vereinigte­n Arabischen Emirate aus dem Jahr 1972, auf der ein Flügelalta­r aus Wettenhaus­en abgebildet ist.

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