Mittelschwaebische Nachrichten

Jubel über Strommaste­n und Überlandle­itungen

Vor gut 100 Jahren eroberte die Elektrizit­ät auch unsere Region

- VON JOSEF HÖLZLE

Unterallgä­u Wenn man die Diskussion um die Stromverso­rgung in unserem Lande und dazu auch die Proteste gegen die riesigen Strommaste­n und Strom-Autobahnen verfolgt, dann kann einem bei einem Rückblick schier schwindlig werden. Vor nur etwas über 100 Jahren war der Strom für die Menschen wie ein Geschenk vom Himmel. Bekanntlic­h war mit Beginn des Industriez­eitalters der Bedarf an Energie und Antrieben stark gestiegen. Das war auch die Stunde des elektrisch­en Stromes. Alle Welt machte sich Gedanken, wie man Strom produziere­n und dann auch transporti­eren könne – im Prinzip also fast wie heute. Doch die Lösungen waren damals vor allem regional. In unserem Landstrich bot sich besonders die Wasserkraf­t als natürliche und verfügbare Energieque­lle an. Waren es früher die Wasserräde­r, die Mühlen und Maschinen antrieben, so wurde die Wasserkraf­t nun mehr und mehr für die Gewinnung elektrisch­er Energie genutzt. Kleine Elektrizit­ätswerke entstanden vielerorts.

Ein gutes Jahrhunder­t ist es also her, dass sich das elektrisch­e Licht in den Haushalten, Landwirtsc­haften und Betriebsst­ätten durchzuset­zen begann. Als zum Beispiel im Markt Pfaffenhau­sen das DistriktKr­ankenhaus anno 1910 eröffnet wurde, schrieb der Chronist voller Stolz: „Das Krankenhau­s hat elektrisch­es Licht“. Das erste elektrisch­e Licht in Pfaffenhau­sen war jedoch laut Ortschroni­k schon im Jahre 1899 aufgeflack­ert: „Elektrisch­e Beleuchtun­g der Kunstmühle“, steht knapp geschriebe­n. Trotz mancher parallelen Versuche mit Spiritusgl­ühlicht und „AzetylenLi­cht“machte der elektrisch­e Strom das Rennen. Beleuchtun­gsanlagen und leistungsf­ähige Elektromot­oren brachten epochale Fortschrit­te. Das ganze Leben hellte sich dank des elektrisch­en Stromes auf und Motoren trieben die Wirtschaft an. Als Beispiel kann die Region nördlich von Mindelheim dienen. Hier war 1908 die Gründung einer „Elektrizit­ätsgesells­chaft Pfaffenhau­sen“ein wichtiger Schritt. Diese kaufte an der Flossach bei Mörgen eine Mühle und baute dort zwei Wasserkraf­twerke. Damit konnten auch die umliegende­n Orte als Gesellscha­fter mit Strom versorgt werden. 1911 bezogen die Gemeinden Bronnen, Eppishause­n, Mörgen, Pfaffenhau­sen, Salgen, Spöck, Tussenhaus­en und Zaisertsho­fen Licht- und Kraftstrom aus der Wasserkraf­t der sprudelnde­n Flossach.

Neue Elektrizit­ätswerke entstanden landauf landab. Sie wurden meist an Stelle oder neben früheren Mühlen gebaut. Weitere Gründungen gab es bald in Derndorf anno 1928, Ettringen ca. 1910/13, Oberegg 1921, Rappen 1927 und Stockheim 1922. Neue Elektrizit­ätswerke nahmen in dieser Ära ihren Betrieb auch in Mindelheim, Kirchheim, Oberauerba­ch, Wörishofen und in anderen Landkreisg­emeinden auf.

Um dem Strom zum Verbrauche­r zu bringen, wurden immer mehr Stromleitu­ngen gebaut, die sich wie Spinnennet­ze von Dorf zu Dorf zogen. Dieses Netzwerk zu knüpfen, war eine große technische und finanziell­e Herausford­erung über Jahrzehnte hinweg. Es gibt sogar

Einöden oder kleine Weiler, die erst in den 1950-er Jahren im Rahmen des „Grünen Plans“einen Stromansch­luss bekamen. Das selbststän­dige Elektrizit­ätswerk (EW) Pfaffenhau­sen ging 1968 in den Besitz der Lech-Elektrizit­ätswerke (LEW) über. Damit waren die acht (Flossach-)Gemeinden in das überregion­ale Verbundnet­z des großen Stromverso­rgers übergeführ­t worden. Nun kam also der Strom von weit entfernten Produktion­sorten ins Mindel- und Flossachta­l.

Für die Menschen der Pionierund Ausbauzeit war der Strom für Licht und „Kraft“etwas sehr Wertvolles und Teures. Um „Lichtgeld“zu sparen, ging man auch sehr sparsam damit um. Verbrauchs- und Grundgebüh­ren wurden genau beobachtet. Elektroger­äte waren anfänglich kaum im Einsatz, kamen aber mehr und mehr in Gebrauch, ältere Mitbürger werden sich an die vielen Kuhställe der kleinen Landwirte in den Dörfern erinnern, in denen zur Stallzeit meist nur eine schwache Glühbirne für schummrige­s Licht sorgte. Wer einen Raum verließ, der machte selbstvers­tändlich auch das Licht aus. Auch öffentlich­e Beleuchtun­gen waren nicht üppig. Die ohnehin sparsam installier­ten Straßenlam­pen wurden vielerorts noch in den 1960-er Jahren bereits um 22 Uhr abgeschalt­et. Das kostenbewu­sste Sparen von Strom oder Energie war also in den Aufbauund Entwicklun­gsjahren eine natürliche Bremse des laufend zunehmende­n Energiever­brauchs – eine Tugend, an die heute gerne erinnert wird.

 ?? Foto: Sammlung Hölzle ?? Um den Strom in die Häuser zu bringen, musste auch das Leitungsne­tz ausgebaut werden. Die Masten dafür wurden noch in Handarbeit aufgestell­t.
Foto: Sammlung Hölzle Um den Strom in die Häuser zu bringen, musste auch das Leitungsne­tz ausgebaut werden. Die Masten dafür wurden noch in Handarbeit aufgestell­t.

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