Mittelschwaebische Nachrichten
Jubel über Strommasten und Überlandleitungen
Vor gut 100 Jahren eroberte die Elektrizität auch unsere Region
Unterallgäu Wenn man die Diskussion um die Stromversorgung in unserem Lande und dazu auch die Proteste gegen die riesigen Strommasten und Strom-Autobahnen verfolgt, dann kann einem bei einem Rückblick schier schwindlig werden. Vor nur etwas über 100 Jahren war der Strom für die Menschen wie ein Geschenk vom Himmel. Bekanntlich war mit Beginn des Industriezeitalters der Bedarf an Energie und Antrieben stark gestiegen. Das war auch die Stunde des elektrischen Stromes. Alle Welt machte sich Gedanken, wie man Strom produzieren und dann auch transportieren könne – im Prinzip also fast wie heute. Doch die Lösungen waren damals vor allem regional. In unserem Landstrich bot sich besonders die Wasserkraft als natürliche und verfügbare Energiequelle an. Waren es früher die Wasserräder, die Mühlen und Maschinen antrieben, so wurde die Wasserkraft nun mehr und mehr für die Gewinnung elektrischer Energie genutzt. Kleine Elektrizitätswerke entstanden vielerorts.
Ein gutes Jahrhundert ist es also her, dass sich das elektrische Licht in den Haushalten, Landwirtschaften und Betriebsstätten durchzusetzen begann. Als zum Beispiel im Markt Pfaffenhausen das DistriktKrankenhaus anno 1910 eröffnet wurde, schrieb der Chronist voller Stolz: „Das Krankenhaus hat elektrisches Licht“. Das erste elektrische Licht in Pfaffenhausen war jedoch laut Ortschronik schon im Jahre 1899 aufgeflackert: „Elektrische Beleuchtung der Kunstmühle“, steht knapp geschrieben. Trotz mancher parallelen Versuche mit Spiritusglühlicht und „AzetylenLicht“machte der elektrische Strom das Rennen. Beleuchtungsanlagen und leistungsfähige Elektromotoren brachten epochale Fortschritte. Das ganze Leben hellte sich dank des elektrischen Stromes auf und Motoren trieben die Wirtschaft an. Als Beispiel kann die Region nördlich von Mindelheim dienen. Hier war 1908 die Gründung einer „Elektrizitätsgesellschaft Pfaffenhausen“ein wichtiger Schritt. Diese kaufte an der Flossach bei Mörgen eine Mühle und baute dort zwei Wasserkraftwerke. Damit konnten auch die umliegenden Orte als Gesellschafter mit Strom versorgt werden. 1911 bezogen die Gemeinden Bronnen, Eppishausen, Mörgen, Pfaffenhausen, Salgen, Spöck, Tussenhausen und Zaisertshofen Licht- und Kraftstrom aus der Wasserkraft der sprudelnden Flossach.
Neue Elektrizitätswerke entstanden landauf landab. Sie wurden meist an Stelle oder neben früheren Mühlen gebaut. Weitere Gründungen gab es bald in Derndorf anno 1928, Ettringen ca. 1910/13, Oberegg 1921, Rappen 1927 und Stockheim 1922. Neue Elektrizitätswerke nahmen in dieser Ära ihren Betrieb auch in Mindelheim, Kirchheim, Oberauerbach, Wörishofen und in anderen Landkreisgemeinden auf.
Um dem Strom zum Verbraucher zu bringen, wurden immer mehr Stromleitungen gebaut, die sich wie Spinnennetze von Dorf zu Dorf zogen. Dieses Netzwerk zu knüpfen, war eine große technische und finanzielle Herausforderung über Jahrzehnte hinweg. Es gibt sogar
Einöden oder kleine Weiler, die erst in den 1950-er Jahren im Rahmen des „Grünen Plans“einen Stromanschluss bekamen. Das selbstständige Elektrizitätswerk (EW) Pfaffenhausen ging 1968 in den Besitz der Lech-Elektrizitätswerke (LEW) über. Damit waren die acht (Flossach-)Gemeinden in das überregionale Verbundnetz des großen Stromversorgers übergeführt worden. Nun kam also der Strom von weit entfernten Produktionsorten ins Mindel- und Flossachtal.
Für die Menschen der Pionierund Ausbauzeit war der Strom für Licht und „Kraft“etwas sehr Wertvolles und Teures. Um „Lichtgeld“zu sparen, ging man auch sehr sparsam damit um. Verbrauchs- und Grundgebühren wurden genau beobachtet. Elektrogeräte waren anfänglich kaum im Einsatz, kamen aber mehr und mehr in Gebrauch, ältere Mitbürger werden sich an die vielen Kuhställe der kleinen Landwirte in den Dörfern erinnern, in denen zur Stallzeit meist nur eine schwache Glühbirne für schummriges Licht sorgte. Wer einen Raum verließ, der machte selbstverständlich auch das Licht aus. Auch öffentliche Beleuchtungen waren nicht üppig. Die ohnehin sparsam installierten Straßenlampen wurden vielerorts noch in den 1960-er Jahren bereits um 22 Uhr abgeschaltet. Das kostenbewusste Sparen von Strom oder Energie war also in den Aufbauund Entwicklungsjahren eine natürliche Bremse des laufend zunehmenden Energieverbrauchs – eine Tugend, an die heute gerne erinnert wird.