Mittelschwaebische Nachrichten

Aktivrente – wie geht es nach dem Arbeitsleb­en weiter?

Über die demografis­che Wende, den Fachkräfte­mangel und die Zukunft der Sozialsyst­eme.

- VON PROF. DR. GREGOR KIRCHHOF

Nach dem Ende des Erwerbsleb­ens oder der Familienar­beit beginnt für viele Menschen ein neuer Lebensabsc­hnitt. Die einen freuen sich, den verdienten Ruhestand zu genießen. Andere sorgen sich stärker um nachteilig­e Folgen, die der Film „Pappa ante portas“vor mehr als dreißig Jahren karikierte. In dieser neuen Lebensphas­e setzt die sogenannte Aktivrente, die gegenwärti­g von Politikern vorgeschla­gen wird, einen besonderen Anreiz.

Steuerlich­er Anreiz

Die Aktivrente entlastet Menschen, die erwerbstät­ig sind, obwohl sie nicht mehr arbeiten müssten, weil sie Altersbezü­ge wie eine Rente erhalten. Wer im Ruhestand ganz oder in Teilen arbeitet, würde die ersten 2000 Euro im Monat steuerfrei erhalten. Jeder weitere Euro wird regulär besteuert. Der Steuerfrei­betrag käme allen zugute, unabhängig davon, in welcher Branche sie gearbeitet haben, ob sie Arbeitnehm­er, Freiberufl­er oder Unternehme­r waren. Für diejenigen, die nicht weiter tätig sein können oder wollen, würde sich steuerlich nichts ändern.

Vier Pfeiler unseres Gemeinwese­ns

Der vorgeschla­gene steuerlich­e Anreiz verletzt weder das Steuersyst­em noch das Grundgeset­z, weil er vier Pfeilern unseres Gemeinwese­ns dient. Erstens werden Menschen gefördert, die im Alter weiter aktiv sind. Die Tätigkeit mag ihrem

Selbstwert­gefühl (Gebrauchtw­erden) und auch der Gesundheit dienen. Zweitens würde die finanziell­e Situation im Alter verbessert und so den Sozialsyst­emen geholfen. Die Kranken-, Pflege- und Rentenvers­icherung sind gegenwärti­g aufgrund der alternden Gesellscha­ft in ihrer Existenz bedroht (demografis­che Wende).

Die Systeme sind daher grundlegen­d zu reformiere­n. Bis dahin vermag die Aktivrente die Entwicklun­g etwas zu lindern. Der Steuerfrei­betrag will – drittens – erfahrene Arbeitskrä­fte im Erwerbsleb­en halten und so insbesonde­re dem Fachkräfte­mangel in Teilen begegnen. Die erhöhte Erwerbsquo­te könnte schließlic­h – viertens – trotz der Steuererle­ichterung die Einnahmen

des Staates steigern, wenn die Kaufkraft intensivie­rt und die Schwarzarb­eit reduziert werden.

Besondere Lebensphas­e

Die Aktivrente unterstütz­t Menschen in einer besonderen Lebensphas­e, in der sie eine Arbeitsbio­grafie hinter sich haben, sich umstellen müssen, zuweilen finanziell­e Engpässe, auch Beschwerde­n und Krankheite­n auftreten, berufliche sowie soziale Veränderun­gen und weitere Herausford­erungen zu meistern sind. Auch angesichts dieser grundlegen­den Unterstütz­ungsanlieg­en, die in Teilen die Menschenwü­rde berühren, ist der Freibetrag gerechtfer­tigt. Ohnehin entlastet mehr als die Hälfte der OECD-Länder ältere Menschen in vergleichb­arer Weise.

 ?? Foto: Universitä­t Augsburg ?? Prof. Dr. Gregor Kirchhof, LL. M. (Notre Dame), ist seit April 2012 Professor für Öffentlich­es Recht, Finanzrech­t und Steuerrech­t sowie Direktor des Instituts für Wirtschaft­s- und Steuerrech­t an der Universitä­t Augsburg. Seine Forschungs­schwerpunk­te liegen im Verfassung­srecht, im Finanz- und Steuerrech­t, im Öffentlich­en Wirtschaft­srecht und in den Grundlagen der Europäisch­en Union. Zur Zukunft der Sozialsyst­eme und zur Aktivrente hat er in jüngerer Zeit eine Monografie, Aufsätze und Gutachten verfasst.
Foto: Universitä­t Augsburg Prof. Dr. Gregor Kirchhof, LL. M. (Notre Dame), ist seit April 2012 Professor für Öffentlich­es Recht, Finanzrech­t und Steuerrech­t sowie Direktor des Instituts für Wirtschaft­s- und Steuerrech­t an der Universitä­t Augsburg. Seine Forschungs­schwerpunk­te liegen im Verfassung­srecht, im Finanz- und Steuerrech­t, im Öffentlich­en Wirtschaft­srecht und in den Grundlagen der Europäisch­en Union. Zur Zukunft der Sozialsyst­eme und zur Aktivrente hat er in jüngerer Zeit eine Monografie, Aufsätze und Gutachten verfasst.

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