Mittelschwaebische Nachrichten
Wenn eine Basstrompete und ein Bombardon den Krumbacher Takt angeben
Beim Krumbacher Nostalgieball wird heuer zu Blasmusik anno 1924 getanzt. Die musikalische Rarität war vor einem Jahrhundert nicht nur in Berlin beliebt.
Prickelnder Alkohol in rauen Mengen, elegant gekleidete Damen und ausufernde Feste – das Nachtleben der Goldenen Zwanziger ist immer noch legendär. Nicht nur in Berlin, sondern auch im Landkreis Günzburg wurde ordentlich gefeiert. Den besonderen Flair der Zeit holt Christoph Lambertz, Leiter der Volksmusikberatungsstelle, ein Jahrhundert später in den Krumbacher Stadtsaal zurück. Doch die Tanzmusik, wie sie in Bayern vor 100 Jahren typisch war, hat wenig mit dem Berliner Jazz und Charleston zu tun.
Die musikalische Reise, aufgeführt beim Krumbacher Nostalgieball, wird sozusagen als ein „nachträgliches Geburtstagsständchen“für den Stadtsaal (1923) gespielt. Aus diesem besonderen Anlass heraus tat sich Christoph Lambertz mit Dagmar Held, der Leiterin des Archivs für Volksmusik, zusammen, um die haufenweise angesammelten Materialkisten nach originalen Blechmusiksätzen zu durchsuchen. Nicht so einfach, wie das volle Archiv zunächst vermuten lässt: Einzelne Lieder sind viele vorhanden, aber kaum ganze Sätze. War das Programm herausgesucht, musste Lambertz die Notenhandschriften noch transkribieren: „Von den handschriftlichen Blättern kann heutzutage keiner mehr spielen. Daher musste ich alle sieben Stücke auf dem Computer umschreiben.“
Lambertz sagt absichtlich „umschreiben“statt „abschreiben“. Denn bei der damals typischen siebenstimmigen Blechbesetzung gaben zwei Basstrompeten und eine Es-Trompete ausschließlich den Blech-Nachschlag, also den Rhythmus, an: „Nachdem heute Es- und Basstrompeten in den Blaskapellen nicht mehr üblich sind, werden sie bei uns durch ein F-Horn, einen Bariton und eine Posaune als Begleitinstrumente ersetzt.“Genau diese Eigenart, dass drei Instrumente lediglich für den Rhythmus zuständig sind, macht die Blasmusik anno 1924 aus. Lambertz erklärt den kleinen,
aber feinen Unterschied: „Heutzutage wird der Blech-Nachschlag oft etwas gering geschätzt, da er ja sozusagen nur den Takt gibt. Er macht aber einen gewaltigen Klang.“
Die Tanzmusik, wie sie in Bayern in der Zeit zwischen 1870 und dem Zweiten Weltkrieg typisch war, klingt heutzutage laut Lambertz generell ein bisschen rustikaler: „Das liegt eben an dem Orchester, das sich lediglich aus Blechinstrumenten zusammensetzt.“Das klassische Ensemble vor 100 Jahren bestand aus einem Flügelhorn und einer Trompete, die sich in der Melodie abwechseln. Ein Tenorhorn (Althorn) verdoppelt die Melodie in Oktavlage oder spielt eine zweite Stimme. Hinzu kommen die drei Trompeten für den Blech-Nachschlag und eine Tuba, damals Bombardon bezeichnet, die in der Bassfunktion
nicht fehlen darf. Dazu noch oftmals lustige Liedtexte – so klingt Blasmusik anno 1924.
Dass die Notenhandschriften aus dem Umkreis stammen,
spiegelt laut Lambertz auch das hiesige Freizeitverhalten vor einem Jahrhundert wider: „Die Musikstücke wurden mühsam per Hand aufgeschrieben. Allein das zeigt, dass die Notenhandschriften wirklich gebraucht wurden und eben auch oft in Gebrauch waren.“
Die Tanzmusik erfreute sich großer Beliebtheit, so gut wie jede Wirtschaft besaß damals einen kleinen Festsaal. Freizeitmusikanten einer Blaskapelle kamen ab 1880 auf, spätestens ab 1920 bereiteten die Blechorchester überall Vergnügen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die großen Militärorchester aufgelöst, woraufhin viele Städte und Gemeinden die Musikanten anheuerten. So kam es zu einer großen Gründungswelle von Blaskapellen und Freizeitmusikanten.
Mit dem breiten Aufkommen der Blechmusik ging auch ein eigener Tanzstil einher: die Française. Bei dieser Quadrille (Gruppentanz im Sechs-AchtelTakt) bildeten sich über die Zeit regionale Eigenheiten heraus. In Krumbach wurde die Française anders getanzt als etwa in Ichenhausen. Dabei habe es die Krumbacher Française in sich, sagt Lambertz: „Es ist nicht die einfachste. Ich biete daher vor dem Nostalgieball im Stadtsaal immer einen Tanzkurs an.“Dass diese Vorbereitung auch nötig ist, musste Lambertz schon einmal vor einigen Jahren erfahren. Er berichtet lachend: „Bei einem Kurs waren mehrere Neulinge dabei. Nach der ersten Runde des Tanzes, die Krumbacher Française besteht aus fünf, gaben einige Pärchen auf. Der Tanz kann sehr kompliziert sein, wenn man nicht so ein gewisses Raumgefühl besitzt.“Seien viele ungeübte Tänzerinnen und Tänzer dabei, könne es beim Nostalgieball durchaus chaotisch hergehen.
Doch mittlerweile kennen wieder viele Krumbacherinnen und Krumbacher ihre Française. Der Modetanz hielt sich hier bis zu den 50er-Jahren, dann wurde er von moderneren Arten abgelöst. Umso mehr freut es Lambertz, dass er solche Raritäten, wie die Krumbacher Française und die siebenstimmige Blechmusik, wieder auf dem Nostalgieball aufleben lassen kann.