Mittelschwaebische Nachrichten
Dogan Bilmez soll bleiben dürfen
Dogan Bilmez ist von der Türkei nach Deutschland geflüchtet – und soll nun wieder abgeschoben werden. In Kirchheim kämpft man für den jungen Mann.
Kirchheim Kirchheims Bürgermeisterin Susanne Fischer kann ihren Ärger nicht verhehlen: „Wir suchen händeringend nach Arbeitskräften und jetzt hätten wir hier jemanden, der arbeiten kann und will, der sogar einen Ausbildungsplatz hätte, und der soll abgeschoben werden, bloß, weil er auf dem falschen Weg nach Deutschland gekommen ist.“Zusammen mit Jürgen Mendheim, der sich in Kirchheim um Geflüchtete kümmert, hat sie einen Pressetermin anberaumt, um auf den Fall von Dogan Bilmez aufmerksam zu machen.
Der heute 22-Jährige kam vor zwei Jahren nach Deutschland. Er ist Kurde, stammt aus Viranehir im Südosten der Türkei, nahe der syrischen Grenze. Die extremistische PKK habe dort Druck auf ihn gemacht, berichtet er. „Entweder seid ihr für uns oder ihr werdet sterben“, habe es geheißen. Also verließ Bilmez sein Zuhause und machte sich mit dem Bus auf den Weg ins rund 1400 Kilometer entfernte Istanbul. Doch auch dort habe ihn die PKK nicht in Ruhe gelassen. „Hier hast du keine Chance, wenn du nach Europa gehst, hast du vielleicht eine Chance“, sagten ihm die Mitbewohner in seiner Unterkunft. Er hörte auf sie.
8000 Euro zahlte er an seine Schlepper, berichtet Bilmez: Von Istanbul gelangte er per Flugzeug nach Serbien, dann ging es im Lastwagen versteckt weiter nach Dresden. Am dortigen Bahnhof habe man sie abgesetzt. Dogan Bilmez machte sich auf den Weg nach Nürnberg, wo seine Tante lebte, und stellte dann in Franken seinen Asylantrag. Von dort kam er nach Augsburg, über Neu-Ulm nach Mindelheim und von dort aus nach Kirchheim, wo er bis heute lebt.
„Kein Mensch verlässt gern seine Eltern, seine Geschwister, sein Land – aber wenn man muss, dann muss man“, sagt Dogan Bilmez. Warum hat er keinen Ausreiseantrag
gestellt, sondern ist als Asylbewerber nach Deutschland gekommen, will Bürgermeisterin Susanne Fischer von ihm wissen. Er habe keine Zeit mehr gehabt, antwortet er ihr, weil ihn die PKK so bedroht habe.
In Kirchheim angekommen, fand er über einen Bekannten einen Job ganz in der Nähe, hätte dort auch eine Lehre zum Betonfertigteilbauer anfangen können. Doch nach drei Monaten kam die Mitteilung über die Abschiebung – und damit auch ein Arbeitsverbot. Auch das Engagement des Arbeitgebers hat in dieser Hinsicht nichts verändert. „Der Asylantrag wurde abgelehnt, wir haben Einspruch eingelegt, jetzt läuft das Hauptverfahren“, erklärt Jürgen Mendheim. Einiges an Schriftverkehr ist inzwischen hin- und hergegangen im Fall Dogan Bilmez. Den Ton der Briefe hält Mendheim für „ziemlich barsch, um es mal vorsichtig auszudrücken“. Er und Bürgermeisterin Susanne Fischer wollen sich für den 22-jährigen
Kurden einsetzen, haben sich deshalb an die Landtagsabgeordneten Bernhard Pohl (Freie Wähler) und Peter Wachler (CSU) gewandt.
Pohl antwortet auf eine Anfrage unserer Redaktion, dass er dabei sei, diesen „aus gerichtlicher Sicht ziemlich komplexen Fall“zu prüfen. „Ich bin in den letzten Jahren sehr häufig um Unterstützung von Asylbewerbern gebeten worden. In der Vergangenheit habe ich mehrfach Fälle im direkten Austausch mit dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann klären können. Hier konnte ich insbesondere wegen beruflicher Bleibeperspektiven eine Aufenthaltsgenehmigung schaffen“, antwortet Pohl. „Des Öfteren werden die Falschen abgeschoben, gerade wenn die Integration geglückt und eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt gelungen ist. Es gibt aber auch genügend Fälle, die ganz anders gelagert sind. Deshalb müssen wir die Hintergründe abklären.“Sollte er zu einem positiven Ergebnis kommen, sei er gern bereit, die bereits im Landtag eingereichte Petition zu unterstützen, so Pohl.
Theoretisch könnte Dogan Bilmez jederzeit in die Türkei abgeschoben werden, weil er ausreisepflichtig ist, erklären Mendheim und Fischer – und dann könnte es sein, dass er dort wegen Fahnenflucht erst einmal ins Gefängnis müsse.
Seit Dogan Bilmez seine Arbeit verloren hat, kämpft er nicht nur gegen die Langeweile, sondern auch gegen die Verzweiflung. „Weder Deutschland noch die Türkei nehmen mich auf. Ich stecke mittendrin“, schreibt er in einer Whatsapp-Nachricht. „Ich lebe, als wäre ich tot.“Als er Suizidgedanken äußert, bekommt er ein Schreiben aus dem Landratsamt mit einer Infobroschüre des Krisendiensts. Zweimal kommt die Polizei vorbei, offenbar um zu schauen, ob alles in Ordnung ist – Dogan Bilmez versteckt sich, als er die Streife sieht. Zu groß ist seine Angst, dass die Beamten ihn mitnehmen.