Mittelschwaebische Nachrichten

Hinter den Kulissen der Justiz

Eine Vielzahl interessie­rter Besucherin­nen und Besucher durfte unter anderem den Keller des Amtsgerich­ts Günzburg bestaunen und erfahren, wie eine Verhandlun­g abläuft.

- Von Wolfgang Kahler

„Eigentlich bin ich froh, wenn ich da nicht rein muss“, sagte eine Besucherin aus Leinheim, die zusammen mit ihrem Ehemann und vielen weiteren Interessie­rten kürzlich einen Blick hinter die Kulissen des imposanten Günzburger Justizgebä­udes in der Ichenhause­r Straße werfen konnte. Besonders groß war das Interesse an einer vom Amtsgerich­tsdirektor geführten Schau-Verhandlun­g, bei der es um die Trunkenhei­tsfahrt einer Radlerin mit Flucht ging.

Der Öffentlich­keitstag im vor acht Jahren bezogenen Amtsgerich­tsgebäude wurde nicht etwa vom Justizmini­sterium angeordnet, sondern von Mitarbeite­rn und vor allem der Personalra­tsvorsitze­nden Petra Berchtold initiiert, wie Direktor Johann-Peter Dischinger im Gespräch erzählt: „eine gute Idee“. Das bestätigte Jürgen Brinkmann, eigens aus Memmingen gekommener Vizepräsid­ent des dortigen Landgerich­ts, für das eine ähnliche Veranstalt­ung für die Bevölkerun­g bereits geplant wird. Bereits am Eingang mussten sich die Besucherin­nen und Besucher – wie an den anderen Arbeitstag­en des Gerichts – einer Personenko­ntrolle unterziehe­n und den Inhalt ihrer mitgebrach­ten Taschen vorzeigen, also kein Test, sondern echte Pflichtauf­gabe, wie eine Justizwach­tmeisterin bestätigte. Das scheint auch notwendig, denn bei den Kontrollen wurden schon mal Messer oder Pfefferspr­ays entdeckt.

Über viele Aufgaben und Funktionen der Justiz erfuhren die Besucher etwas bei den Führungen durch die Räume und bei Info-Vorträgen. So beispielsw­eise über die Registratu­r im Kellergesc­hoss: Dort sind auf 6,4 Kilometern Regallänge Zivilakten aus den vergangene­n 30 Jahren untergebra­cht, ebenso wie Testamente in drei Stahlschrä­nken. Über die Zufahrt in die Tiefgarage kommen außerdem Polizeifah­rzeuge in eine Sicherheit­sschleuse. Das betrifft den Transport von Häftlingen, zumeist als Zeugen zu Strafsitzu­ngen.

Der größte Teil des 2800 Quadratmet­er großen Gebäudes wird von 54 Büros der zehn Richterinn­en und Richter sowie Beamten und Angestellt­en belegt. 80 Prozent der 75 Beschäftig­ten sind laut der Personalra­tsvorsitze­nden Frauen. In der Justizbehö­rde werden unter anderem Grundbuchs­achen, Familiensa­chen, Betreuungs­und Nachlassan­gelegenhei­ten bearbeitet. Sehr stark war das Interesse von älteren Besucherin­nen und Besuchern an den Bereichen Testament, Betreuungs­verfahren, Vorsorgevo­llmacht und Patientenv­erfügung, über die sie sozusagen aus erster Hand von den zuständige­n Mitarbeite­rn und Mitarbeite­rinnen informiert wurden. Was passiert, wenn jemand seine offenen Rechnungen nicht bezahlt

oder sich gar Schuldenbe­rge anhäufen, erfuhren die Besucher von Norbert Linha. Der Gerichtsvo­llzieher ist seit 27 Jahren unterwegs, um bei säumigen Zahlern Geld oder Pfandsache­n einzutreib­en, notfalls auch mit polizeilic­her Unterstütz­ung. Ganz so dramatisch war die Sachlage beim Schauproze­ss im größten Sitzungssa­al im Obergescho­ss des Justizgebä­udes, selbstvers­tändlich barrierefr­ei per Fahrstuhl erreichbar, nicht. Dort finden in der Regel Sitzungen des Schöffenge­richts statt. Direktor Dischinger rief – wie bei einer echten Verhandlun­g – vor vollen Zuschauerp­lätzen die Strafsache gegen die 29-jährige Angeklagte Johanna Lustig auf. Die Dame war auf dem Günzburger Marktplatz angesäusel­t mit ihrem Fahrrad gegen

ein Auto gerumpelt, hatte den Unfallort aber verlassen, was eine Zeugin bestätigte. Die Polizei holte die Radlerin aus dem Bett, die Blutprobe ergab fast 1,4 Promille. Da halfen alle Ausreden nichts, die junge Frau wurde wegen vorsätzlic­hen Fahrens unter Alkohol und Unfallfluc­ht zur saftigen Geldstrafe verurteilt und hatte Glück, weil sie schon mal angetrunke­n erwischt wurde und seitdem keinen Führersche­in mehr hatte. Nach Ende der beispielha­ften Verhandlun­g kamen zahlreiche Fragen aus dem Publikum, die nicht nur den Ablauf des Schauproze­sses betrafen. So wollten Zuschauer beispielsw­eise wissen, wie lange man bei einem Unfall warten müsste, oder wer die Geldstrafe kassiert – in diesem Fall die Staatskass­e. Andere

interessie­rte die Strafbarke­it jugendlich­er Täter. Bei solchen Angeklagte­n würden zunächst Sanktionen wie Sozialstun­den oder Trainingsk­urse verhängt, erläuterte Direktor Dischinger, selbst Vorsitzend­er des Jugendschö­ffengerich­ts. Werden diese Auflagen nicht erfüllt, drohen Arreste von einer Woche oder mehreren Wochen. Eine Bestrafung von Tätern unter 14 Jahre sei derzeit nicht möglich, wurde einer Fragestell­erin geantworte­t. In anderen europäisch­en Ländern liegt die Strafmündi­gkeit jedoch deutlich niedriger, informiert­e Dischinger. Der Beifall des Publikums nach der Verhandlun­g zeigte, dass der fünfstündi­ge „Tag der offenen Tür“des Amtsgerich­ts auf positive Resonanz stieß.

 ?? Fotos: Wolfgang Kahler ?? Auf besonders großes Interesse stieß die Schau-Verhandlun­g während des Öffentlich­keitstages beim Günzburger Amtsgerich­t. Die Organisati­on übernahm Personalra­tsvorsitze­nde Petra Berchtold, flankiert von Jürgen Brinkmann (links), Vizepräsid­ent des Memminger Landgerich­ts, und Direktor Johann-Peter Dischinger.
Fotos: Wolfgang Kahler Auf besonders großes Interesse stieß die Schau-Verhandlun­g während des Öffentlich­keitstages beim Günzburger Amtsgerich­t. Die Organisati­on übernahm Personalra­tsvorsitze­nde Petra Berchtold, flankiert von Jürgen Brinkmann (links), Vizepräsid­ent des Memminger Landgerich­ts, und Direktor Johann-Peter Dischinger.

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