Mittelschwaebische Nachrichten
Hinter den Kulissen der Justiz
Eine Vielzahl interessierter Besucherinnen und Besucher durfte unter anderem den Keller des Amtsgerichts Günzburg bestaunen und erfahren, wie eine Verhandlung abläuft.
„Eigentlich bin ich froh, wenn ich da nicht rein muss“, sagte eine Besucherin aus Leinheim, die zusammen mit ihrem Ehemann und vielen weiteren Interessierten kürzlich einen Blick hinter die Kulissen des imposanten Günzburger Justizgebäudes in der Ichenhauser Straße werfen konnte. Besonders groß war das Interesse an einer vom Amtsgerichtsdirektor geführten Schau-Verhandlung, bei der es um die Trunkenheitsfahrt einer Radlerin mit Flucht ging.
Der Öffentlichkeitstag im vor acht Jahren bezogenen Amtsgerichtsgebäude wurde nicht etwa vom Justizministerium angeordnet, sondern von Mitarbeitern und vor allem der Personalratsvorsitzenden Petra Berchtold initiiert, wie Direktor Johann-Peter Dischinger im Gespräch erzählt: „eine gute Idee“. Das bestätigte Jürgen Brinkmann, eigens aus Memmingen gekommener Vizepräsident des dortigen Landgerichts, für das eine ähnliche Veranstaltung für die Bevölkerung bereits geplant wird. Bereits am Eingang mussten sich die Besucherinnen und Besucher – wie an den anderen Arbeitstagen des Gerichts – einer Personenkontrolle unterziehen und den Inhalt ihrer mitgebrachten Taschen vorzeigen, also kein Test, sondern echte Pflichtaufgabe, wie eine Justizwachtmeisterin bestätigte. Das scheint auch notwendig, denn bei den Kontrollen wurden schon mal Messer oder Pfeffersprays entdeckt.
Über viele Aufgaben und Funktionen der Justiz erfuhren die Besucher etwas bei den Führungen durch die Räume und bei Info-Vorträgen. So beispielsweise über die Registratur im Kellergeschoss: Dort sind auf 6,4 Kilometern Regallänge Zivilakten aus den vergangenen 30 Jahren untergebracht, ebenso wie Testamente in drei Stahlschränken. Über die Zufahrt in die Tiefgarage kommen außerdem Polizeifahrzeuge in eine Sicherheitsschleuse. Das betrifft den Transport von Häftlingen, zumeist als Zeugen zu Strafsitzungen.
Der größte Teil des 2800 Quadratmeter großen Gebäudes wird von 54 Büros der zehn Richterinnen und Richter sowie Beamten und Angestellten belegt. 80 Prozent der 75 Beschäftigten sind laut der Personalratsvorsitzenden Frauen. In der Justizbehörde werden unter anderem Grundbuchsachen, Familiensachen, Betreuungsund Nachlassangelegenheiten bearbeitet. Sehr stark war das Interesse von älteren Besucherinnen und Besuchern an den Bereichen Testament, Betreuungsverfahren, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung, über die sie sozusagen aus erster Hand von den zuständigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen informiert wurden. Was passiert, wenn jemand seine offenen Rechnungen nicht bezahlt
oder sich gar Schuldenberge anhäufen, erfuhren die Besucher von Norbert Linha. Der Gerichtsvollzieher ist seit 27 Jahren unterwegs, um bei säumigen Zahlern Geld oder Pfandsachen einzutreiben, notfalls auch mit polizeilicher Unterstützung. Ganz so dramatisch war die Sachlage beim Schauprozess im größten Sitzungssaal im Obergeschoss des Justizgebäudes, selbstverständlich barrierefrei per Fahrstuhl erreichbar, nicht. Dort finden in der Regel Sitzungen des Schöffengerichts statt. Direktor Dischinger rief – wie bei einer echten Verhandlung – vor vollen Zuschauerplätzen die Strafsache gegen die 29-jährige Angeklagte Johanna Lustig auf. Die Dame war auf dem Günzburger Marktplatz angesäuselt mit ihrem Fahrrad gegen
ein Auto gerumpelt, hatte den Unfallort aber verlassen, was eine Zeugin bestätigte. Die Polizei holte die Radlerin aus dem Bett, die Blutprobe ergab fast 1,4 Promille. Da halfen alle Ausreden nichts, die junge Frau wurde wegen vorsätzlichen Fahrens unter Alkohol und Unfallflucht zur saftigen Geldstrafe verurteilt und hatte Glück, weil sie schon mal angetrunken erwischt wurde und seitdem keinen Führerschein mehr hatte. Nach Ende der beispielhaften Verhandlung kamen zahlreiche Fragen aus dem Publikum, die nicht nur den Ablauf des Schauprozesses betrafen. So wollten Zuschauer beispielsweise wissen, wie lange man bei einem Unfall warten müsste, oder wer die Geldstrafe kassiert – in diesem Fall die Staatskasse. Andere
interessierte die Strafbarkeit jugendlicher Täter. Bei solchen Angeklagten würden zunächst Sanktionen wie Sozialstunden oder Trainingskurse verhängt, erläuterte Direktor Dischinger, selbst Vorsitzender des Jugendschöffengerichts. Werden diese Auflagen nicht erfüllt, drohen Arreste von einer Woche oder mehreren Wochen. Eine Bestrafung von Tätern unter 14 Jahre sei derzeit nicht möglich, wurde einer Fragestellerin geantwortet. In anderen europäischen Ländern liegt die Strafmündigkeit jedoch deutlich niedriger, informierte Dischinger. Der Beifall des Publikums nach der Verhandlung zeigte, dass der fünfstündige „Tag der offenen Tür“des Amtsgerichts auf positive Resonanz stieß.