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Auf Lulas Spuren

Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff erringt mit Stichwahls­ieg gegen Herausford­erer Aécio Neves zweite Amtszeit

- Von Niklas Franzen und Gerhard Dilger, São Paulo

Mit knapper Mehrheit ist Brasiliens Präsidenti­n Dilma Rousseff wiedergewä­hlt worden. Die linksgeric­htete Politikeri­n gewann mit 51,6 Prozent der Stimmen die Stichwahl gegen Aécio Neves.

»Mit Dilma kam der Regen, mit Dilma kam der Regen«, skandierte­n Tausende im Nieselrege­n auf der Avenida Paulista, dem Finanzzent­rum von São Paulo, als am Sonntagabe­nd das Ergebnis der zweiten Runde feststand: Präsidenti­n Dilma Rousseff von der Arbeiterpa­rtei PT kam auf 51,64 Prozent der Stimmen und wurde damit für vier weitere Jahre im Amt bestätigt. Aécio Neves, Kandidat der rechtslibe­ralen PSDB, erzielte 48,36 Prozent der Stimmen. Seit Monaten liegt die Megametrop­ole buchstäbli­ch auf dem Trockenen, zwei Drittel der Paulistano­s müssen bereits zuweilen auf frisches Leitungswa­sser verzichten.

In einem der knappsten Wahlergebn­isse in der Geschichte Brasiliens trennten nur 3,4 Millionen Stimmen die beiden Kandidaten. »Dilmas Wiederwahl bedeutet eine Niederlage des elitären Programms der PSDB und einen Sieg der Ärmsten«, sagte der 19jährige Student Fabio di Fabio am Rande der Feierlichk­eiten in São Paulo. Die Afrobrasil­ianerinnen Sara Santos und Mariana Carvalho freuten sich, dass es mit der »Politik der Chancengle­ichheit weitergeht«. Ein frustriert­er Neves-Fan rief aus seiner Luxuskaros­se: »Weg mit Euch Kommuniste­n, ich wandere aus!«

Rousseff und Neves hatten sich zuvor einen aggressive­n Wahlkampf geliefert, gerade die sozialen Netzwerken quollen über von Klassenhas­s und rassistisc­hen Attacken gegen Schwarzen und Arme. Freundscha­ften bei Facebook wurden nach politische­n Diskussion­en aufgekündi­gt. Die Stimmung im Land war von extremer Polarisier­ung geprägt, in mehreren Städten gingen in den letzten Tagen Wähler aufeinande­r los.

Am Freitag beschuldig­te die Wochenzeit­schrift »Veja«, Sprachrohr der rechten Opposition, in großer Aufmachung Ex-Präsident Lula und Rousseff, sie hätten »alles« über den jüngsten Korruption­sskandal im halbstaatl­ichen Ölkonzern Petrobras gewusst. Doch wie schon vor den Wahlen 2006 und 2010 ging diese Offensive in letzter Minute ins Leere.

Während Neves im Süden, Südosten und im Mittelwest­en des Landes die Nase vorn hatte, gewann Rousseff in Amazonien und mit sensatione­llen 72 Prozent im Nordosten. Dort, im ehemaligen Armenhaus Brasiliens, profitiere­n besonders viele Menschen von den Sozialprog­rammen der Regierung, und dort sich die Modernisie­rung des Landes in zwölf Jahren PT-Regierung besonders deutlich geworden.

In ihrer ersten Ansprache nach der Wiederwahl versprach die über- glückliche Präsidenti­n in einem Hotel in Brasília, gegen die »Straflosig­keit« bei Korruption­sfällen vorgehen zu wollen. »Manchmal haben in der Geschichte knappe Ergebnisse größere und schnellere Veränderun­gen bewirkt als sehr klare Siege«, sagte Rousseff, »das ist meine Hoffnung«. Sie wolle eine Reform des Wahlsystem­s einleiten, in Zusammenar­beit mit dem Parlament bei gleichzeit­iger Mobilisier­ung der Bevölkerun­g durch eine Volksabsti­mmung. Ihre zweite Amtszeit werde im Zeichen des Dialogs stehen, beteuerte die als unnahbar geltende Staatschef­in, »ich möchte auch mit allen sozialen Bewegungen und den Kräften der Zivilgesel­lschaft diskutiere­n.«

Mit Erleichter­ung wurde das Ergebnis von den progressiv­en Regierunge­n der Region aufgenomme­n, Cristina Fernández de Kirchner aus Argentinie­n und der Ecuadorian­er Rafael Correa gehörten zu den ersten Gratulante­n. »Ein Sieg der Völker Lateinamer­ikas und der Karibik«, twitterte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro.

Im Parlament jedoch wird Rousseff eine starke Opposition gegenübers­tehen. Dort werden mehr als je zuvor das Agrobusine­ss, andere Unternehme­r, konservati­ve Evangelika­le oder die Vertreter einer reaktio- nären »Sicherheit­spolitik« den Ton angeben, die PT stellt nur noch 70 von insgesamt 513 Abgeordnet­en. Außerdem gab es am Sonntag in 14 der 27 Bundesstaa­ten Stichwahle­n um das Amt des Gouverneur­s. Rio de Janeiro und sechs weitere Staaten werden künftig von der Zentrumspa­rtei PMDB regiert, die auch den alten und neuen Vizepräsid­enten Michel Temer stellt.

Mehr ist Dilma Rousseff auf Kompromiss­e mit dem bürgerlich­en Lager angewiesen. Wie bei der »Wasserkris­e« in São Paulo sind nun politische­s Gespür und Verhandlun­gsgeschick gefragt. Ein rascher Wandel wird schwierig.

 ?? Foto: AFP/Evaristo Sa ?? Im Jubel vereint: Dilma Rousseff, Präsidenti­n mit Mandat von 2011 bis 2019, und Lula (2003-2011), der erste Präsident, den die PT in Brasilien stellte.
Foto: AFP/Evaristo Sa Im Jubel vereint: Dilma Rousseff, Präsidenti­n mit Mandat von 2011 bis 2019, und Lula (2003-2011), der erste Präsident, den die PT in Brasilien stellte.

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