»Es geht nicht nur ums Röntgen«
Medizinische Betreuung von Flüchtlingen an Kapazitätsgrenze / Erstaufnahmestelle soll ausgebaut werden
Nach Brandenburg kommen immer mehr Flüchtlinge und Asylsuchende. Viele sind krank, leiden unter seelischen Traumata. Ihre medizinische Betreuung ist eine große Herausforderung.
Alle Flüchtlinge und Asylsuchenden in Brandenburg haben Anspruch auf gesundheitliche Betreuung. Doch in der Zentralen Aufnahmestelle in Eisenhüttenstadt stößt man mittlerweile an die Kapazitätsgrenze. Zu viele Betroffene, zu wenig Personal – so die derzeitige Lage.
Die Zahl der Erstuntersuchungen vervielfachte sich in den vergangenen drei Jahren. Waren es 2012 insgesamt knapp 1700 Personen, die einem Arzt vorgestellt wurden, mussten seit Anfang diesen Jahres bereits etwa 4900 Personen untersucht werden. Bislang ist für die Untersuchungen noch das Gesundheitsamt des Landkreises Oder-Spree zuständig. Mittlerweile ist es jedoch völlig mit dieser Aufgabe überlastet.
Das Gesundheitsministerium denkt nun über eine Entlastung nach und plant die Neuorganisation. »Eine medizinische Versorgung, die die individuellen Bedürfnisse der Menschen beachtet, ist für uns eine Selbstverständlichkeit«, sagt Gesundheitsministerin Anita Tack (Linkspartei).
Bei den Untersuchungen sollen zunächst ansteckende Krankheiten wie Lungentuberkulose, aber auch Krätze erkannt werden, erklärt Eleonore Baumann, Leiterin des Gesundheitsamtes Landkreis Oder-Spree. Es werde alles Mögliche getan, um frühzei- tig Ansteckungen zu erkennen. Genaue Statistiken werden nach Angaben Baumanns zwar nicht geführt. »Doch es müssen mehr Überweisungen für Behandlungen ausgestellt werden«, sagt sie. Auch gebe es mehr Hinweise auf seelische Traumata.
Die Menschen litten oft an mehreren Krankheiten, die auf ihrer beschwerlichen Reise nach Deutschland meist unversorgt geblieben seien, sagt der Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung, Frank Nürnberger. »Sie sind oft sehr verstört und brau- chen Hilfe.« In Eisenhüttenstadt sind derzeit rund 1450 Menschen untergebracht, seit September waren die Zahlen sprunghaft angestiegen. Die Flüchtlinge blieben durchschnittlich sechs Wochen, bevor sie auf die Landkreise und Kommunen verteilt werden.
Nach Angaben des Sozialministeriums lebten in der Erstaufnahmeeinrichtung von Januar bis Ende August rund 3110 Personen – erwartet werden bis zum Jahresende im Zuge weltweiter Konflikte mehr als 6000. 2013 waren es insgesamt etwa 3300 und 2012 knapp 1800 Flüchtlinge. Die Erstuntersuchungen kosteten nach Angaben des Gesundheitsministeriums in diesem Jahr bereits etwa 670 000 Euro. Angesichts der angespannten Personalsituation ist das Gesundheitsamt an der Grenze der Belastbarkeit angelangt, hieß es.
Mitte nächsten Jahres soll der Landkreis nach den Angaben von der Aufgabe entbunden werden. Künftig soll die medizinische Behandlung direkt in der Erstaufnahmeeinrichtung erfolgen. Dafür werden dann Untersuchungsräume mit erforderlichem technischen Geräten eingerichtet. Auch mit dem Krankenhaus Eisenhüttenstadt solle kooperiert werden.
Für die Sprecherin des Flüchtlingsrates, Gabriele Jaschke, gibt es großen Nachholbedarf bei der Entwicklung geeigneter Modelle der Erstuntersuchung. »Es geht nicht nur um das Röntgen der Betroffenen.«