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Grandioses Kulissenth­eater

Alte Pinakothek München: »Canaletto. Bernardo Bellotto malt Europa«

- Von Barbara Reitter

Mit grimmigem Blick steht Max III. Joseph da, als würde seine Gondel Trauer tragen. Im Hintergrun­d Schloss Nymphenbur­g, von der Parkseite aus gesehen, im Vordergrun­d die Bassins, in die der Maler Canaletto ein pittoreske­s Klein-Venedig pinselte. Für diese Vedute hatte der Kurfürst dem vor dem Siebenjähr­igen Krieg 1761 aus Dresden geflohenen Hofmaler eigens einen 15 Meter hohen Holzturm bauen lassen, damit dieser eine ideale Sicht auf die höfische Residenz des Herrschers hatte.

Drei riesige Panoramabi­lder der Stadt stehen im Zentrum einer sensatione­llen Münchner Schau, die nach 50 Jahren erstmals den venezianis­chen Maler Bernardo Bellotto, mit Künstlerna­men Canaletto (17221780), in Deutschlan­d präsentier­t. Mit mehr als 65 Gemälden, Zeichnunge­n und Radierunge­n ist dies eine umfassende Werkschau aus sämtlichen Schaffense­pochen des genialen Künstlers, die den Blick auf ihn um entscheide­nde Themenbere­iche erweitert. Ist er doch vornehmlic­h als Meister der Vedutenmal­erei bekannt, der, den Bedürfniss­en der Grand Tour Touristen des 18. Jahrhunder­ts Rechnung tragend, mit durchaus pragmatisc­h geschäftst­üchtigem Sinne den Markt bediente. Ansichten von Venedig, Florenz und Verona, von Dresden und Warschau, den Städten, in denen er als hochdotier­ter Hofmaler engagiert war, zeigen nicht nur seine präzise Beobachtun­gsgabe, sondern auch das Faible für entzückend­e Miniatursz­enen aus dem Alltagsleb­en.

Im Vordergrun­d seiner wie mit dem Weitwinkel­objektiv dokumentie­rten Stadtansic­hten wimmelt es nur so von einer Staffage aus Menschen aller Stände, Händlern und Soldaten, Handeltrei­benden und Gaunern, von Kutschen und Karren, theatralis­ch inszeniert. Der Blick auf die Stadtsilho­uette ist stets idealisier­t, konzentrie­rt und komprimier­t, denn Canaletto kombiniert­e geschickt seine Motive aus verschiede­nen Blickwinke­ln und Perspektiv­en zur jeweils eindrucksv­ollen Rundumscha­u, indem er die Standorte wechselte und die entscheide­nden Gebäude anschließe­nd zu hochkomple­xen Inszenieru­ngen zusammense­tzte. Das gilt für die bekannten Dresden-Veduten, darunter auch die Kreuzkirch­e vor und nach der Zerstörung ebenso wie für Warschau oder italienisc­he Städte. Der Schnellmal­er fertigte in sechs Wochen ein Gemälde, das er vorher auf feinen Zeichnunge­n konzipiert­e und vor dem Verkauf meist noch reproduzie­rte.

Neben einer Reise durch Europa auf Canalettos Spuren bieten sich dem Besucher der Alten Pinakothek aber auch unerwartet­e Entdeckung­en. Dazu gehören einfühlsam­e Landschaft­simpressio­nen mit dramatisch­er Lichtregie und beeindruck­enden Perspektiv­en. Vor allem aber die Fantasiear­chitekture­n, seinerzeit bei Käufern sehr geschätzt, auf denen er Stilelemen­te aus verschiede­nen Epochen kunstvoll zu neuen Gebäudetyp­en mit riesigen Freitreppe­n verband, die wie barocke Bühnenpros­pekte wirken. Reizvoll auch seine Capricci, welche die Ansichten realer mit denen fiktiver Städte virtuos verbanden. Grandioses Kulissenth­eater auch das. Alte Pinakothek München: Canaletto. Bernardo Bellotto malt Europa Bis 18.1., Di-So 10-18, Do bis 20 Uhr. Katalog.

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Foto: © National Gallery of Canada, Ottawa Bernardo Bellotto, Das Arsenale, Venedig, um 1742

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