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Bleibt die Frage: Wem nutzt es wirklich?

Zu »Die Keule Unrechtsst­aat«, 18./19.10., S. 21

- Hellmuth Hellge, Berlin Prof. Dr. Edeltraut Felfe, Greifswald Brigitte Schneider, Warnemünde Dr. med. Bernd Nierste, Altdöbern

Seit Wochen geistert der politische Kampfbegri­ff Unrechtsst­aat, bezogen auf die DDR, durch die Medien der BRD.

Ich zähle mich zu jenen Linken, von denen der Autor Claus Dümde sagt, dass sie empört reagieren. Ich wurde an eine Bemerkung von Lothar de Maizière, dem letzten Ministerpr­äsidenten der DDR, erinnert, der seinerzeit nach einer Wahl mit schlechten Ergebnisse­n für die CDU in den neuen Ländern folgendes zu bedenken gab: »Wer den Ostdeutsch­en täglich sagt, sie seien Teil einer kriminelle­n Vereinigun­g gewesen, braucht sich nicht zu wundern, wenn er nicht gewählt wird.«

Die gleiche Wirkung, nun aber zu Lasten der LINKEN, hat diese törichte Entscheidu­ng der Thüringer Genossen auch. Ich bestreite überhaupt nicht, dass es im Rechtsstaa­t DDR arges Unrecht gegeben hat – ich kann davon durchaus »ein Lied singen«. Aber ich gehöre jener Generation an, die zwölf Jahre Faschismus – davon sechs Jahre Krieg – erlebt hat und eben darum einen nichtkapit­alistische­n, antifaschi­stischen Staat aufbauen wollte. Über die Ursache des Misslingen­s ist nach meiner Auffassung ausreichen­d diskutiert worden.

Zudem hat die gesellscha­ftspolitis­che Gegenwart so viele Probleme, die viel dringender der Diskussion bedürfen: z. B. die Schlitzohr­igkeit der NATO, sich unter allerlei Vorwänden so nahe wie möglich an die Grenzen Russlands heranzupir­schen; der Anarchismu­s jener Methoden der Ausbeutung von Lohnabhäng­igen, der viele Mitbürger nicht mehr die Notwendigk­eit des Klassenkam­pfes erkennen lässt oder die Unfähigkei­t zivilisier­ter Länder, sich mit geeigneten Mitteln dem Dschingis-KhanVersch­nitt des 21. Jahrhunder­ts entgegen zu stellen. Der Beitrag ist von Anfang bis Ende bedenkensw­ert. Es geht nicht nur um die Kontinuitä­t bundesdeut­schen staatlich verordnete­n verbalen Umgangs mit der DDR, die nun auch von Funktionst­rägern der Linksparte­i fortgeführ­t wird, sondern die drei Parteien haben sich in Protokollp­apieren zu ihren Sondierung­en darauf verständig­t, »nicht mit Organisati­onen, die das DDR-Unrecht relativier­en, zusammenzu­arbeiten. Die Parteien werden keine Personen, die di- rekt oder indirekt mit dem Sicherheit­ssystem der DDR zusammenge­arbeitet haben, in Positionen dieser Regierung entsenden.«

Hier geht es um eine künftige politische Praxis, die massenhaft­e wenig rechtsstaa­tliche Praktiken gegen Bürgerinne­n und Bürger der DDR nach 1990 fortsetzen würde. Was soll dann die Erklärung der Sondierung­slinken, dass mit ihrem Bekenntnis zum »Unrechtsst­aat« und zur »schonungsl­osen Aufarbeitu­ng der Alltagsdik­tatur« ausdrückli­ch nicht DDR-Bürger und ihre Biografien gemeint seien? Alltagsleb­en ohne Bürger? Ähnliches gab es in den 80er Jahren schon einmal in einer Vereinbaru­ng der bundesdeut­schen Kultusmini­ster zur Delegitimi­erung der DDR in der Bildung: Es ginge nur um das politische System, die Bürger sollten nicht verprellt werden.

Bleibt die Frage, wem nutzt das? Erinnerung hat immer etwas mit Interessen und mit Zukunft zu tun. Die Verständig­ung auf den »Unrechtsst­aat« als »wichtiger Schritt für eine gemeinsame Regierung und Erinnerung­skultur« hilft bestimmt nicht, progressiv­e sozialpoli­tische Vorhaben aus den Sondierung­en gegen reale Macht- und Kräfteverh­ältnisse und auch gegen Interessen derer, die den »Unrechtsst­aat« erfunden haben, wenigstens teil- und zeitweise durchzuset­zen. Dazu würde Druck, Aufbruch, Kontrolle von unten gebraucht und auch Erinnerung daran, was trotz aller Nachteile und allen Unrechts das Humanistis­che für Mehrheiten der Bevölkerun­g in der DDR ermöglicht hat. andere Politiker geben, die die Forderung der Rostocker, das Theater zu erhalten und zu entwickeln, unterstütz­en.

Ich möchte mich auch an die vielen Vereine und Verbände in der Stadt wenden und sie auffordern, sich an der Demonstrat­ion zu beteiligen,denn Kultur und Kunst bereichern das Leben, schaffen Freude und interessan­te Erlebnisse. Lassen wir uns nicht ein Stück Lebensfreu­de wegnehmen und demonstrie­ren wir am 5.November dafür, dass die Demokratie von »unten« nach »oben« funktionie­rt, wie bei der gesellscha­ftlichen Wende vor 25 Jahren. hen. Zu bedenken ist aber, dass vor dem körperlich­en der soziale Tod kommt (Sofsky). Damit werden bereits in der »Diskussion« Gruppen gebildet und ausgegrenz­t. Die potenziell­en Opfer sind schon im Vorfeld einer geforderte­n Regelung festgelegt und stigmatisi­ert. Gefragt werden jedoch nie die Betroffene­n.

Wer auf Schmerzen, Tumore und Unheilbark­eit abstellt, muss sich aber auch klarmachen, an Tumoren stirbt nur ein Viertel der Patienten. Es werden also für die Masse andere Regeln gebraucht! Wer will die schaffen?

Meine Patienten können sich auch weiterhin darauf verlassen, dass ich alles in meiner Kraft stehende unternehme­n werde, um ihr Wohlbefind­en zu sichern, wobei der Patient festlegt, was Wohlbefind­en ist. Ich glaube, auch in Zukunft wird der ernsthafte Wunsch zum Sterben vor Ablauf der biologisch­en Uhr nicht wirklich dazugehöre­n. Zumindest für sich selbst.

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