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Antrag auf Todesstraf­e soll Stimmung beruhigen

Südkoreane­r wollen Antworten nach der Katastroph­e der Fähre »Sewol«

- Von Dirk Godder, Seoul dpa

Wie kein anderes Unglück in der jüngsten Zeit beschäftig­t der Untergang der Fähre »Sewol« noch immer die Südkoreane­r. Wie konnte es am 16. April 2014 zu dem Unglück mit über 300 Toten kommen?

»Wir wollen die Wahrheit hinter der Sewol-Katastroph­e!« Auch ein halbes Jahr nach einem der verheerend­sten Schiffsunf­älle in der Geschichte Südkoreas fordern die Familien der Opfer Antworten auf die Frage, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Mit dem Antrag auf Todesstraf­e für den 69-jährigen Kapitän Lee Jung Seok will die Justiz die aufgeheizt­e Stimmung beruhigen. Schon wenige Tage nach der Havarie hatte Staatspräs­identin Park Geun Hye betont, dass Verhalten des Kapitäns komme ihrer Meinung nach einem Mord gleich.

Doch getan hat sich bisher nicht viel. Noch immer campieren Angehörige und Unterstütz­er auf dem Kwanghwamu­n-Platz in Seoul, um ihren Forderunge­n Nachdruck zu verleihen. Die Katastroph­e hat ihr Vertrauen in die Regierung tief erschütter­t. Zum einen werfen sie den Behörden vor, nicht genug für die Rettung der Insassen auf der »Sewol« getan zu haben. Zum anderen verlangen sie restlose Aufklärung darüber, wie eine Fähre mit so gravierend­en Sicherheit­smängeln überhaupt in See stechen konnte.

Mehr als 300 der 476 Menschen an Bord waren beim Unglück am 16. April vor der Südwestküs­te des Landes umgekommen – die meisten Schüler, unterwegs zur Ferieninse­l Cheju. Als die Fähre »Sewol« am Vorabend des Unglücks von Inchon abfuhr, war sie deutlich überladen, wie Ermittler herausfand­en. Auch sei klar geworden, dass durch frühere Umbauten das Schiff nicht mehr stabil gewesen sei. Dann änderte die »Sewol« ihrem Kurs und kippte plötzlich zur Seite – vermutlich war die Ladung schlecht gesichert und verrutscht. Das Schiff lief schnell mit Wasser voll. Viele Insassen wurden eingeschlo­ssen.

Eine dramatisch­e Rettungsak­tion begann. An den Fernsehern erlebten die Südkoreane­r mit, wie die Küsten- wache mit Helikopter­n und Booten versuchte, Insassen zu retten, bevor das Schiff nach wenigen Stunden komplett sank. Doch schon erste Untersuchu­ngen ergaben, dass kostbare Zeit nach der Havarie verging.

Überlebend­e berichtete­n später beim Prozess gegen den angeklagte­n Kapitän Lee und die übrige Mannschaft, dass viel mehr Passagiere hät- ten gerettet werden können. Die Besatzung habe sie angewiesen, in den Kabinen zu bleiben, und sei dann selber vom Schiff geflohen.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem Kapitän und drei weiteren Crewmitgli­edern vorsätzlic­he Tötung vor. Lee sagte, dass er eine harte Bestrafung verdiene. Den Vorwurf des Totschlags oder gar Mordes wies er zurück. Doch die Wut der Menschen richtet sich nicht nur gegen die Besatzung. Der Küstenwach­e wird vorgeworfe­n, nicht schnell genug auf Notrufe reagiert, Rettungsbo­ote nicht früh genug an den Ort der Havarie geschickt und nicht alles getan zu haben, um eingeschlo­ssene Passagiere zu befreien.

Bei einer Simulation während des Prozesses gegen die Crew sagte ein von den Anklagever­tretern bestellter Experte, ein früher Evakuierun­gsbefehl hätte viel mehr, wenn nicht alle Menschen an Bord retten können. Die Anordnung hätte jedoch schon innerhalb von fünf Minuten erteilt werden müssen, sagte Park Hyung Joo von der Gachon-Universitä­t der Zeitung »JonngAng Ilbo« zufolge.

Doch auch nach dem Prozess gegen die Besatzung und Verfahren gegen Reedereima­nager werden viele offene Fragen bleiben. Die Parteien des Landes einigten sich auf ein Sondergese­tz, das eine unabhängig­e Untersuchu­ng vorsieht. Am Montag forderten die Unterstütz­er der Familien, das Gesetz so rasch wie möglich zu verabschie­den.

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Foto: dpa/Kimimasa Mayama Verzweifel­te Angehörige beoachten die Rettungsak­tionen an der Stelle des Untergangs.

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