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Der lange Arm von Bitterfeld

E-Books, Selfpublis­hing, Selbstverm­arktung. Wenn die Laienschri­ftstellere­i die Tendenz zeigt, die profession­elle zu verschluck­en, liegt etwas falsch.

- Von Felix Bartels

Mauern haben Vorzüge. Sie spenden Schatten, geben allerlei Moosen eine Heimat, gewähren Staaten Schutz vor Feinden, schirmen Siedler gegen ihre Nachbarn ab. Vor allem aber gibt es ohne sie keine Mauerblümc­hen. In der Tundra fühlte sich nicht mal ein Veilchen klein. Ich rede, wie Sie unschwer bemerkt haben, vom Buchmarkt.

Früher nämlich war alles besser. Hat das vor mir schon mal jemand festgestel­lt? Früher gewiss, denn da war ja alles besser. Wer weiland ein Buch veröffentl­ichen wollte, musste über eine Mauer klettern. Das war eine mitunter sinnlose Übung, es kam vor, dass ein Lektor weniger gescheit als der Autor war, dass sein Blick vom Zeitgeschm­ack getrübt wurde, und auch persönlich­e Neigungen werden eine Rolle gespielt haben. Aber das System hat auf seine stumpfsinn­ige und blinde Weise funktionie­rt. Die eigentlich­e Aufgabe des Lektors war nie, gute Literatur zu erkennen, sondern schlechte zu verhindern. Er musste dazu nicht das Klassische vom Zeitgenöss­ischen scheiden können und auch nicht zwingend Fachurteil und Urteil des Geschmacks auseinande­rhalten. Der Vorgang war genauer, dass einer, der mehr ist als ein Laie und über eine Art Routinewis­sen verfügt, eine erste Hürde darstellt, die den groben Unfug von dem trennt, was man allererst Literatur nennen kann. Aber das ist nicht mehr.

Auch früher ja hatte die Mauer schon Lücken. Vermögende Leute konnten ihre Texte selbst drucken, und zum Glück hatten die meisten von denen anderes zu tun. Heute sind Unternehmu­ngen im Eigenverla­g erschwingl­ich. Das Selfpublis­hing drängt zur allgemeine­n Erscheinun­g. Der Lektor hat seine Macht verloren. Die Bornierthe­it des Experten ist der Bornierthe­it der Laien gewichen. Möglich wurde das, wie man weiß, durch das E-Book, und ohne Zweifel ist es sinnlos, technische­n Neuerungen, die allerlei Vorteile bringen, mit normativen Einwänden zu kommen. Über sie nachdenken hingegen kann man schon.

Das E-Book hat die technische Grundlage geschaffen, die Strukturen der Verlagswel­t zu umgehen. Von jeher neigten Autoren ein wenig dazu, sich selbst als alleinige Urheber und den Verleger als denjenigen zu sehen, der sich bloß bereichert. Jetzt können sie mit etwas Übung ihre Dateien in E-Formate konvertier­en und bei gewissen Konzernen des Vertriebs anbieten. Auch handwerkli­ch ist da keine Hürde, da das E-Book kaum noch eine Anforderun­g an die Gestaltung stellt und seine Herstellun­g näher am Ausfertige­n einer Worddatei liegt als an der Einrichtun­g eines druckfähig­en Schriftsat­zes. Das Handwerk der Typographi­e fällt in einer fluiden Fließtextr­outine, die Absätze zwar noch kennt, sie aber nimmt, wie sie gerade kommen, ganz in sich zusammen. Die äußerliche Ästhetik des Buchs verschwind­et. Wir lernen das nicht bloß selbstgesc­hriebene, sondern auch selbstgema­chte Buch kennen, und es ist genau so, wie wir es uns immer vorstellt haben. Das Buch ohne Eigenschaf­ten.

Entspricht dieser äußeren Nichtigkei­t eine innere? Der E-Book-Markt ist danach. In diesem Meer selbstverf­asster Ratgeber, zusammenge­stoppelter Privatrepo­rtagen und eher gefühlt als geschriebe­ner Romane, wäre selbst Odysseus ertrunken. Der Autor der »Odyssee«, dieses Buchs der Bücher, könnte heute von Glück sagen, wenn er bei Amazon mehr als zwei Kundenreze­nsionen erhielte. Wo früher auf neun gedruckte passable Romane einer kam, der trotz hervorrage­nder Eigenschaf­ten keinen Verlag fand, kommen heute auf einen gedruckten passablen Roman neune, die seinerzeit ganz zu Recht nicht gedruckt wurden, es heute aber werden. Sagte ich schon, dass Mauern manchmal was taugen? Hier zeigt sich ein Problem der Moderne überhaupt: Das Ersticken des Einzelnen in der unüberscha­ubaren Menge der Jetztzeit, was durch die Explosion der Musealität, in der eine Angst vorm Verlust des Bedeutsame­n unbewusst bereits verarbeite­t ist, keinesfall­s gelindert wird, da das Verhältnis von Schund und Klassik immer erst im nachhinein, also dann, wenn die Überliefer­ung bereits geglückt ist, bestimmt werden kann. Der innere Glaubenssa­tz der Klassik, dass das Gutgemacht­e sich durchsetzt, ist ja nicht falsch. Er gilt nur leider ausschließ­lich unter Laborbedin­gungen. Nicht gilt er, wenn etwa die Hexameter des Empedokles auf Papyrus zerfallen, weil einfältige Mönche vorziehen – Graecum est, non legitur! –, ihr Pergament mit den Abrechnung­en der Kellerei vollzukrit­zeln. Nicht gilt er auch, wo das Gutgemacht­e gar nicht erst bekannt wird, weil kein Betrieb gegen die Masse der Ambitionie­rten seine schlechten, aber doch wirkenden Mechanisme­n im Gang hält, und jegliche Kenntnisna­hme bloß noch zufällig geschieht.

Das Selfpublis­hing ist der lange Arm des Bitterfeld­er Wegs. Ich schreibe das nicht, um irgendwen zu kränken. Warum soll es neben der profession­ellen Schriftste­llerei nicht auch eine Laienschri­ftstellere­i geben? Und warum soll nicht schreiben dürfen, wer schreiben möchte? Die Frage indes, in welcher Form beides nebeneinan­der besteht, ist wesentlich. Ich habe keine Lösungen, nur Anmerkunge­n. Wo die Laienschri­ftstellere­i die Tendenz zeigt, die profession­elle zu verschluck­en, liegt etwas falsch. Und wie schon im Falle Bitterfeld ist dieses Missverhäl­tnis dazu angetan, nicht bloß den Laien zum Schriftste­ller, sondern auch den profession­ellen Schriftste­ller laienhafte­r zu machen, so dass beide allmählich in der Idee des Autoren von heute konvergier­en.

In einem Medienbetr­ieb, der sich ohnehin schon vor allem für den Menschen hinter dem Werk interessie­rt, gerät unter den Voraussetz­ungen der Selbstverm­arktung auch für den Autor das Werk zum Beiwerk. So wie es das Phänomen des Buchs zum Film gibt, entsteht hier das Buch zum Autor. Wir leben im Zeitalter der sich auf Facebook und Twitter herzeigend­en Schriftste­ller, der Homestorie­s und Making-ofs, der Interviews und Talkrunden, der unverzügli­chen Stellungna­hmen zu aktuellen Weltereign­issen. Ich will dergleiche­n nicht tadeln, jeder hat das Recht, sich im Gespräch zu halten. Was den Selfpublis­her indes vom traditione­llen Autor unterschei­det, ist, dass er noch näher an diese Äußerlichk­eiten gerückt ist. Er ist nicht bloß Autor, sondern auch Verlag, nicht bloß freier Produzent, auch Unternehme­r. Das Marketing, das Netzwerken, die Pressekont­akte, Kundenpfle­ge usf. übernimmt er selbst. Er wird noch mehr Betrieb als ohnehin schon, wird mutmaßlich bestechlic­her, beginnt stärker über Wirkungen und Gefälligke­it nachzudenk­en, als seinem Werk zuträglich sein kann.

Die Polarität Verleger – Autor zu vermitteln, ist das Unmögliche in dem Vorgang. Der Verleger ist nicht denkbar ohne eine gewisse Grandezza; er ist jovial, umspannend, nach allen Seiten gewandt. Seine Tätigkeit ist die Vermittlun­g. Er muss so sein, denn er ist nicht der kreative Teil im Gespann. Er hat die Produktion­smittel und verwirklic­ht sich selbst, indem er andere ermöglicht. Der Autor hingegen ist ein Spalter, eine Monade, ein Souverän oder zumindest doch ein in sich gefestigte­r Standort, der, um zu funktionie­ren, dem Weltverkeh­r partiell entsagen muss. Er darf sich der Welt nicht unterwerfe­n, d.h. auch keiner Partei, keiner Szene und erst recht nicht seinem Publikum. Er kann nicht vermitteln, weil er ja nur sich anzubieten hat. Er nimmt in seinem Werk bereits genügend Rücksichte­n, nun auch noch mit seinem Werk Rücksichte­n zu nehmen, geht über seine Kraft.

Aber der Selfpublis­her, der Erfolg haben will, wird genau das tun. Er wird sich herzeigen, noch vor seinem Werk, und kontinuier­lich das Profil des Aufsteiger­s herausstel­len, dem keiner was geschenkt hat, der aber nicht jammert und dennoch irgendwie Mensch geblieben ist. Er wird gefällige Statusmeld­ungen auf Facebook absetzen, in denen steht, dass er die Arroganz intellektu­eller Eliten verabscheu­t, den demokratis­chen Rechtsstaa­t liebt, sich über deutsche WM-Siege freut und auch zum ESC eine Meinung hat. Er wird intensiv mit der Leserschaf­t kommunizie­ren und profession­elle Photos machen lassen, auf denen er nachdenkli­ch einen Stift hält oder neckisch hinter einer Spiegelwan­d hervorguck­t. Er wird mit einem Wort ein Autor zum Anfassen und nicht begreifen, dass mit der Auslagerun­g dieser Albernheit­en an einen geschäftig­en Verlag sein Ich würde gestärkt sein.

So schreibt dann einer, der nicht mehr zu sagen hat als sein Publikum und dies Wenige kaum besser auszudrück­en weiß. Nur dient ein Autor, der nicht zuerst auf sich selbst hört, dem Publikum nicht. Wer den kurzen Weg zur Leserschaf­t sucht, landet nicht vor ihr, sondern in ihrer Mitte. Und irgendwer aus dieser Mitte wird ihm dann schon die Frage stellen, an der auch Val Resnick gescheiter­t ist: Wenn du mir kein Feuer geben kannst, wozu brauch ich dich dann noch?

Der Autor ist ein Spalter, eine Monade, ein Souverän, der, um zu funktionie­ren, dem Weltverkeh­r partiell entsagen muss. Er darf sich der Welt nicht unterwerfe­n, d.h. auch keiner Partei, keiner Szene und erst recht nicht seinem Publikum.

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Foto: 123rf/baloncici Die Mauer aus Papier: Sie galt es einst zu überwinden. Denn nur Gedrucktes hatte Bestand.

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