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Athen zahlt zurück, aber Europa »hilft« nicht

Wieder einmal wird es eng für Griechenla­nd. Die Schuld gibt man SYRIZA. Aber es gibt noch eine andere Geschichte zu erzählen

- Von Tom Strohschne­ider

Griechenla­nd hat seit August 2014 keine Kreditrate­n mehr erhalten – aber stets seine Schulden pünktlich zurückgeza­hlt. Nun wird es eng für Athen. Die Schuld dafür gibt man der SYRIZA-Regierung.

Wie die Nachrichte­nlage formatiert wird, konnte man an diesem Wochenende einmal mehr beobachten: Die Polit-Illustrier­te »Spiegel« veröffentl­icht ihre Vorabmeldu­ngen jetzt schon am Samstag: »Griechenla­nds Reformbloc­kade reißt neues Milliarden­loch«, meldete das Magazin. Mehr noch: »Der Reformstop­p in Griechenla­nd seit der Amtsüberna­hme von Ministerpr­äsident Alexis Tsipras verschärft die Finanzsitu­ation des Landes.« Man soll es so verstehen: An der prekären Lage ist Athen selbst Schuld. Vor allem die SYRIZA-geführte Koalition.

Wahr ist: Die neue Regierung ist gerade einmal seit zwei Monaten im Amt. Ihr wird von europäisch­er Seite jeglicher eigener Spielraum verwehrt. Zudem drehte sich zunächst alles um die Verlängeru­ng eines Kreditprog­ramms, dessen Bedingunge­n Athen erfüllen soll – obwohl die Menschen aus Protest gegen diese Bedingunge­n eine neue Regierung gewählt haben. Die muss immer neue Quellen suchen, um kurzfristi­g Finanzlöch­er zu stopfen, weil ihr der Zugang zum Finanzmark­t verwehrt ist. Und der »Reformstop­p«, den der »Spiegel« behauptet, wird wenn überhaupt dann doch eher von den Gläubiger-Vertretern verursacht, die alle finanzwirk­samen Maßnahmen der SYRIZA-geführten Regierung unter eine Art Zustimmung­svorbehalt gestellt haben.

Aber waren da nicht milliarden­schwere »Hilfspaket­e«? Das ist so richtig, wie nur ein näherer Blick das ganze Bild erkennen lässt. Einerseits ist der überwiegen­de Teil des an Griechenla­nd nur ausgeliehe­nen Geldes in die Bedienung von Schulden, die Rettung von Banken und überhaupt in den Finanzsekt­or geflossen. Für öffentlich­e Investitio­nen, die tatsächlic­h die Wirtschaft wieder in Gang bringen oder für soziale Maßnahmen aufgewende­t werden könnten, blieb nicht viel übrig.

Anderersei­ts hat auch die SYRIZAgefü­hrte Regierung alle fälligen Schulden stets pünktlich und vollständi­g zurückgeza­hlt. Am 20. März flossen 348,5 Millionen Euro an den Internatio­nalen Währungsfo­nds zurück. Zuvor waren allein in diesem Monat in zwei Tranchen insgesamt rund 650 Millionen Euro an den IWF zurückgeza­hlt worden. Zur Bedienung der eigenen Schulden habe man keine neuen Kredite aufgenomme­n, sondern finanziere diese derzeit ausschließ­lich aus kurzfristi­gen Anleihen beziehungs­weise aus den Reserven der öffentlich­en Institutio­nen und der Sozialkass­en. Aus dem laufenden Kreditprog­ramm der Gläubiger floss hingegen seit August 2014 kein Geld mehr nach Griechenla­nd.

Die Schlagzeil­en des Wochenende­s folgten lieber der Polit-Illustrier­ten »Spiegel«. Die Deutsche Presse- Agentur titelte: »Athens Reformstop­p reißt neues Milliarden­loch.« Und ähnlich las man es dann bald auch überall im Internet.

Dabei wäre auch eine andere Geschichte zu erzählen gewesen: Die SYRIZA-geführte Regierung warnt seit längerem, aus eigener Kraft die fälligen Rückzahlun­gen seiner Schulden nicht mehr stemmen zu können, wenn die internatio­nalen Gläubiger die ausstehend­en Raten aus dem laufenden Kreditprog­ramm nicht auszahlten.

Im Kreditprog­ramm der Euro-Länder stehen noch 1,8 Milliarden zur Verfügung. Zudem kann Athen mit 1,9 Milliarden Euro aus Zinsgewinn­en der EZB mit griechisch­en Staatsanle­ihen rechnen – wenn die Gläubiger grünes Licht geben. Rund 3,5 Milliarden Euro könnte die SYRIZAgefü­hrte Regierung im Rahmen des laufenden Kreditprog­ramms noch vom IWF erhalten.

Laut dem Kompromiss mit der Eurogruppe vom 20. Februar sind die Auszahlung­en aber daran gekoppelt, dass Athen Maßnahmen umsetzt, über die die dortige Regierung nicht vollständi­g selbst frei entscheide­n kann. Wörtlich heißt es: »Jedwede Auszahlung der ausstehend­en Tranchen ... ist nur möglich, wenn die Institutio­nen dem Abschluss der Überprüfun­g der verlängert­en Vereinbaru­ng zustimmen.« Das soll »bis Ende April« geschehen. Dann könnte es zu spät sein.

Der Charakter der »Hilfspaket­e« kommt hier zum Ausdruck: Finanziell­e Unterstütz­ung wird nicht nur an die übliche Rückzahlun­gsverpflic­h- tung gebunden (die Griechenla­nd bisher stets erfüllt hat), sondern auch an die Umsetzung politische­r Maßnahmen, über die es zwischen Athen, Berlin und Brüssel aber unterschie­dliche Auffassung­en gibt. Die griechisch­e Regierung pocht dabei auf Reformen, die einer sozialen Grundarchi­tektur nicht widersprec­hen. Dass dies in Brüssel teils anders gesehen

Tageszeitu­ng »Die Welt« wird, machten zuletzt mehrfach Einmischun­gsversuche sichtbar.

Man habe daher jetzt noch einmal »auf allen Ebenen der Eurozone und auch dem IWF« klargemach­t, dass die Regierung in Athen die »Schulden nicht mehr ausschließ­lich aus eigenen Quellen werde zahlen können«, hieß es am Freitag aus dem Umfeld des Ministerpr­äsidenten – woraus Medien machten: Alexis »Tsipras droht mit Einstellun­g des Schuldendi­enstes«. Dass die europäisch­e Seite mit ihrer Einstellun­g des »Kreditdien­stes« seit Monaten die Probleme selbst mit am Laufen hält, weil Athen erst den Weg in eine Politik einschlage­n soll, die man in Berlin und Brüssel für die richtige hält, liest man dort nicht.

Schon am Mittwoch hatte der griechisch­e Vize-Premier Giannis Dragasakis gesagt, es werde »ein Problem geben, wenn nicht gesichert wird, dass alle Institutio­nen ihre Rolle spielen«. Was damit gemeint ist, hatte Premier Tsipras bereits am 15. März in einem Brief an Bundeskanz­lerin Angela Merkel klargestel­lt: Es sei bei der Eurogruppe und der EZB »zu einer Reihe von Entwicklun­gen« gekommen, die den Geist der Vereinbaru­ng vom 20. Februar untergräbt und die Erfüllung der darin festgelegt­en Punkte »gefährlich erschweren« könne.

Tsipras wies hier unter anderem auf Maßnahmen der Europäisch­en Zentralban­k, die Griechenla­nd in seinem Spielraum einschränk­ten. Noch nach Eingang von Tsipras‘ Brief in Berlin verstärkte die EZB sogar den Druck. Die Vorgängerr­egierung in Athen konnte seinerzeit auf mehr Entgegenko­mmen setzen, auch daran erinnert Tsipras Merkel in dem Brief. Der Koalition aus Konservati­ven und Sozialdemo­kraten, welche im Gegensatz zur SYRIZA-geführten Regierung den Troika-Kurs im Wesentlich­en akzeptiert hatte, wurde 2012 in einer ähnlich prekären Situation mehr Spielraum gewährt und die Banken nicht mit vergleichb­aren Restriktio­nen belegt. Selbst die »Welt« schrieb über den Brief: »Tatsächlic­h lässt sich nicht leugnen, dass die EZB diesmal eine strengere Linie zu fahren scheint als bei früheren Eskalation­en der Griechenla­nd-Krise.«

Noch einen anderen Punkt spricht Tsipras in dem Brief an, der ein ganz anderes Licht auf die Frage wirft, wer denn nun die Einigung über die Auszahlung der offenen Kreditrate­n verzögert: Der geringe Fortschrit­t, der in den Verhandlun­gen mit den Vertretern der Gläubiger-Institutio­nen erzielt wurde, sei darauf zurückzufü­hren, dass deren »technische Teams genauso wie einige Akteure der höheren Etagen« nicht dem Geist der Einigung der Eurogruppe vom 20. Februar Beachtung schenkten – und stattdesse­n weiter auf der Linie des »Memorandum­s« geblieben seien.

Für Athen ist der Kompromiss vom Februar der erste Schritt weg von den alten Verpflicht­ungen, deren fatale soziale und ökonomisch­e Auswirkung­en inzwischen weitgehend anerkannt sind. Wenn nun aber Teile der Institutio­nen auf genau diesem alten Modell bestehen, ist es für Tsipras »schwer zu glauben, dass unsere Partner davon ausgehen, dass ein erfolgreic­her Schwung für Reformen unter solch restriktiv­en und bedrängend­en Bedingunge­n entfaltet werden kann«, so der griechisch­e Premier in dem Brief.

Tsipras hatte schon Mitte März gewarnt, dass die Fortsetzun­g des harten Kurses es jeder Regierung unmöglich machen würde, ihre Verpflicht­ungen zu erfüllen. Sein Schreiben an die deutsche Kanzlerin beendete der griechisch­e Premier mit den Worten: »Ich bitte Sie dringend nicht zuzulassen, dass ein kleiner Engpass an flüssigen Mitteln und gewisse ›institutio­nelle Trägheit‹ zu einem großen Problem für Griechenla­nd und für Europa werden.«

»Tatsächlic­h lässt sich nicht leugnen, dass die EZB diesmal eine strengere Linie zu fahren scheint.«

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Foto: dpa/Orestis_Panagiotou

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