Was weiter verdrängt wird, kommt immer wieder
Aggressive Rhetorik gegen »Gutmenschen«, juristische Abwehrschlacht: Die Gegner einer Entschädigung Griechenlands für erlittenes NS-Unrecht sind klar in der Mehrheit
Auch unter Wählern der Linkspartei sagt eine Mehrheit Nein zur Athener Forderung nach Wiedergutmachung für NS-Verbrechen. Die Rufe nach Übernahme von Verantwortung verstummen aber nicht.
Wer sich hinter dem Nutzernamen »Papa Eule« verbirgt, ist nicht bekannt. Was das Pseudonym zu der Online-Petition »Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts« zu sagen hat, ist aber keine Einzelerscheinung: »Keinen Cent an Griechenland!«, keilt »Papa Eule«, nach eigener Auskunft Jahrgang 1971, gegen die Forderung der Petenten nach umfangreichen Wiedergutmachungsleistungen durch Deutschland an Griechenland – die »großmäulige Athener Regierung« versuche »nach 70 Jahren die Nazi-Keule auszupacken, um uns Geld abzunötigen«. Wer das anders sehe, habe »ein behandlungsbedürftiges Trauma der Gutmenschen«.
Nun vertreten sicher nicht alle Gegner der griechischen Forderung nach Entschädigungen für erlittenes NaziUnrecht solche Positionen. Von einer breiten Unterstützung für Wiedergutmachung kann aber auch keine Rede sein. Schon vor einer Woche zeigte eine Umfrage, dass 71 Prozent der Bundesbürger Entschädigungen für die im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen der Nazibesatzer ablehnten.
Eine weitere Umfrage kam wenige Tage darauf mit 78 Prozent Ablehnung zu einem ganz ähnlichen Ergebnis. Lediglich bei den Wählern der Grünen sagen »nur« 50 Prozent Nein zu der hierzulande von Juristen und Oppositionspolitikern unterstützten Forderung nach Wiedergutmachung. 64 Prozent der Anhängerschaft der Linkspartei sprach sich dagegen aus.
Warum? Es sind nicht nur die Ablagerungen der aktuellen Diskussion über Krisenpolitik und Kreditprogramm, die sich – angefeuert von mehr oder weniger offenen Diffamierungen der Griechen – im mehrheitlichen Nein bemerkbar machen. Ebenso wenig wird der breite Widerstand in dieser Frage auf überzeugenden juristischen Argumenten beruhen. Dass die Bundesregierung alle Reparationsfragen für abgeschlossen betrachtet, ist unter Experten ohnehin umstritten.
Es zeigt sich im kollektiven Nein zu Reparationen vielmehr auch der Nachhall einer schon länger existie- renden Abwehr historischer Verantwortung. Für die Studie »Deutschland und Israel heute« waren unlängst Daten aus mehreren Erhebungen ausgewertet worden – Ergebnis: Viele Bundesbürger wollen von NaziVerbrechen wie dem Holocaust heute nicht mehr viel wissen. Man betrachtet die Vergangenheit gewissermaßen als »erledigt«. 77 Prozent stimmten etwa der Aussage zu, »man sollte die Geschichte ruhen lassen und sich gegenwärtigen oder zukünftigen Problemen widmen«.
Übrigens: Dieser Gedanke findet sich auch in der Argumentation der Bundesregierung, mit der diese auch die Forderungen aus Athen zurückweist. In Sachen Reparationen und zum Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland erklärte die Bundesregierung immer wieder: »Im Vordergrund der Beziehungen stehen Zukunftsfragen.«
Das sehen die Unterstützer der Petition »Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts« anders. »Mit Schweigen, juristischen Tricks und Verzögerung« habe sich Deutschland jahrzehntelang vor Reparationszahlungen und der Rückzahlung der Zwangsanleihe gedrückt, heißt es da zur Begründung. Doch auch wenn das Experten und Teile der Opposition ebenso sehen, fand das Begehr der Petition bisher kaum Gehör – und noch weniger Unterstützter.
Ob der Offene Brief an Angela Merkel, der unter anderem von den linken Politikwissenschaftlern Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf sowie vom früheren Bundesrichter und ExAbgeordneten Wolfgang Neskovic unterzeichnet wurde und die Frage des Zwangskredits in den Mittelpunkt stellt, mehr Echo findet? Es wäre zu wünschen.
Die Kanzlerin solle darauf hinwirken, »dass die Bundesregierung ihre bisherige Haltung zur Frage der offenen Schulden gegenüber den Griechen aufgibt«, so die Forderung. Deutschland sei »als Schuldverursacher nicht nur aus juristischen, sondern auch aus moralischen und politischen Gründen dazu verpflichtet«. Diese moralische Dimension hat auch Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras bei seinem Merkel-Besuch über die materielle Frage des »Wie viel« gestellt.
An der schroffen Ablehnung in Berlin hat das nichts geändert. Doch wie heißt es in dem Offenen Brief an Merkel zu Recht? »Was weiter verdrängt wird, kommt immer wieder zurück.«