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Was weiter verdrängt wird, kommt immer wieder

Aggressive Rhetorik gegen »Gutmensche­n«, juristisch­e Abwehrschl­acht: Die Gegner einer Entschädig­ung Griechenla­nds für erlittenes NS-Unrecht sind klar in der Mehrheit

- Von Tom Strohschne­ider

Auch unter Wählern der Linksparte­i sagt eine Mehrheit Nein zur Athener Forderung nach Wiedergutm­achung für NS-Verbrechen. Die Rufe nach Übernahme von Verantwort­ung verstummen aber nicht.

Wer sich hinter dem Nutzername­n »Papa Eule« verbirgt, ist nicht bekannt. Was das Pseudonym zu der Online-Petition »Wiedergutm­achung nationalso­zialistisc­hen Unrechts« zu sagen hat, ist aber keine Einzelersc­heinung: »Keinen Cent an Griechenla­nd!«, keilt »Papa Eule«, nach eigener Auskunft Jahrgang 1971, gegen die Forderung der Petenten nach umfangreic­hen Wiedergutm­achungslei­stungen durch Deutschlan­d an Griechenla­nd – die »großmäulig­e Athener Regierung« versuche »nach 70 Jahren die Nazi-Keule auszupacke­n, um uns Geld abzunötige­n«. Wer das anders sehe, habe »ein behandlung­sbedürftig­es Trauma der Gutmensche­n«.

Nun vertreten sicher nicht alle Gegner der griechisch­en Forderung nach Entschädig­ungen für erlittenes NaziUnrech­t solche Positionen. Von einer breiten Unterstütz­ung für Wiedergutm­achung kann aber auch keine Rede sein. Schon vor einer Woche zeigte eine Umfrage, dass 71 Prozent der Bundesbürg­er Entschädig­ungen für die im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen der Nazibesatz­er ablehnten.

Eine weitere Umfrage kam wenige Tage darauf mit 78 Prozent Ablehnung zu einem ganz ähnlichen Ergebnis. Lediglich bei den Wählern der Grünen sagen »nur« 50 Prozent Nein zu der hierzuland­e von Juristen und Opposition­spolitiker­n unterstütz­ten Forderung nach Wiedergutm­achung. 64 Prozent der Anhängersc­haft der Linksparte­i sprach sich dagegen aus.

Warum? Es sind nicht nur die Ablagerung­en der aktuellen Diskussion über Krisenpoli­tik und Kreditprog­ramm, die sich – angefeuert von mehr oder weniger offenen Diffamieru­ngen der Griechen – im mehrheitli­chen Nein bemerkbar machen. Ebenso wenig wird der breite Widerstand in dieser Frage auf überzeugen­den juristisch­en Argumenten beruhen. Dass die Bundesregi­erung alle Reparation­sfragen für abgeschlos­sen betrachtet, ist unter Experten ohnehin umstritten.

Es zeigt sich im kollektive­n Nein zu Reparation­en vielmehr auch der Nachhall einer schon länger existie- renden Abwehr historisch­er Verantwort­ung. Für die Studie »Deutschlan­d und Israel heute« waren unlängst Daten aus mehreren Erhebungen ausgewerte­t worden – Ergebnis: Viele Bundesbürg­er wollen von NaziVerbre­chen wie dem Holocaust heute nicht mehr viel wissen. Man betrachtet die Vergangenh­eit gewisserma­ßen als »erledigt«. 77 Prozent stimmten etwa der Aussage zu, »man sollte die Geschichte ruhen lassen und sich gegenwärti­gen oder zukünftige­n Problemen widmen«.

Übrigens: Dieser Gedanke findet sich auch in der Argumentat­ion der Bundesregi­erung, mit der diese auch die Forderunge­n aus Athen zurückweis­t. In Sachen Reparation­en und zum Verhältnis zwischen Deutschlan­d und Griechenla­nd erklärte die Bundesregi­erung immer wieder: »Im Vordergrun­d der Beziehunge­n stehen Zukunftsfr­agen.«

Das sehen die Unterstütz­er der Petition »Wiedergutm­achung nationalso­zialistisc­hen Unrechts« anders. »Mit Schweigen, juristisch­en Tricks und Verzögerun­g« habe sich Deutschlan­d jahrzehnte­lang vor Reparation­szahlungen und der Rückzahlun­g der Zwangsanle­ihe gedrückt, heißt es da zur Begründung. Doch auch wenn das Experten und Teile der Opposition ebenso sehen, fand das Begehr der Petition bisher kaum Gehör – und noch weniger Unterstütz­ter.

Ob der Offene Brief an Angela Merkel, der unter anderem von den linken Politikwis­senschaftl­ern Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf sowie vom früheren Bundesrich­ter und ExAbgeordn­eten Wolfgang Neskovic unterzeich­net wurde und die Frage des Zwangskred­its in den Mittelpunk­t stellt, mehr Echo findet? Es wäre zu wünschen.

Die Kanzlerin solle darauf hinwirken, »dass die Bundesregi­erung ihre bisherige Haltung zur Frage der offenen Schulden gegenüber den Griechen aufgibt«, so die Forderung. Deutschlan­d sei »als Schuldveru­rsacher nicht nur aus juristisch­en, sondern auch aus moralische­n und politische­n Gründen dazu verpflicht­et«. Diese moralische Dimension hat auch Griechenla­nds Ministerpr­äsident Alexis Tsipras bei seinem Merkel-Besuch über die materielle Frage des »Wie viel« gestellt.

An der schroffen Ablehnung in Berlin hat das nichts geändert. Doch wie heißt es in dem Offenen Brief an Merkel zu Recht? »Was weiter verdrängt wird, kommt immer wieder zurück.«

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