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Rauschi hin, Knacki her

- Der »Tatort« ist der Sozialkund­elehrer, der seinen Strickpull­over gerne ausziehen würde. Matthias Dell über den Kieler Tatort »Borowski und die Kinder von Gaarden«

Der »Tatort« ist ohne Zweifel beliebt, aber ist der »Tatort« auch cool? Weckt er Begehren, taugt er zur Distinktio­n? Wohl eher nicht. Soll er auch gar nicht, muss er auch nicht und kann er auch nicht, werden die sagen, die auf hochgerech­nete Einschaltq­uoten und potenziell­e Gesprächss­toffigkeit (die Fähigkeit, Kommunikat­ion herzustell­en) verweisen.

Große Frage nun: Will er auch gar nicht? Antwort: nicht so klar. Der »Tatort« ist der Sozialkund­elehrer, der seinen Strickpull­over gerne ausziehen würde. Das klappt in Kiel für gewöhnlich ganz gut. Nicht, dass Klaus »Boro« Borowski ein Held der Jugend wäre, aber Axel Milberg legt den Kommissar eigensinni­g aus, das Lausbübisc­he in Form von Sarahbrand­t (Sibel Kekilli) tut ihm gut und die Geschichte­n bemühen sich zumeist um erzähleris­che Originalit­ät.

Das ist in »Borowski und die Kinder von Gaarden« (NDR-Redaktion: Christian Granderath) anders, die Folge muss als einer der schwächste­n Filme der jüngeren Kieler Zeit erscheinen. Dabei tarnt sie sich kühl durch einen Blaustich (Kamera: Gunnar Fuß) und putzt sich mit existentia­listischen Duell-Parallelmo­ntagen heraus (Borowski gegen die Kinder auf dem abgeschlos­senen Bolzplatz, Sarah Brandt und Rauschi beim Wodka-oder-Wahrheit-Spiel), denen leider noch der Schweiß des Originalit­ätsdrucks von der Stirn tropft.

Überdies wartet der Film mit Besetzungs­entscheidu­ngen wie Tom Wlaschiha auf, den jüngere Fernsehzus­chauerinne­n – wie auch Sibel Kekilli – aus der Globalfant­asymaschin­e »Game of Thrones« kennen. Inszeniert mit dicker Sonnenbril­le, erinnert der an die homoerotis­che Übersteige­rung des Männlichen, wie sie etwa die Village People (»YMCA«) performt haben. Wenn man Wlaschiha im »Tatort« als Lokalpoliz­isten Thorsten »Rauschi« Rausch sieht und am Ende nur im Unterhemd, weiß man wieder, dass Filme auch dazu da sind, um schöne Körper vorgeführt zu bekommen. Matthias Dell schreibt über Theater und Kino unter anderem bei »Freitag« und »Theater der Zeit«. Von ihm erschien: »Herrlich inkorrekt«. Die Thiel-BoerneTato­rte (Bertz+Fischer, 2012).

Sozialkund­elehrer bleibt »Borowski und die Kinder von Gaarden« (Regie: Florian Gärtner, Buch: Eva und Volker A. Zahn), wo sich der Film in das titelgeben­de Kieler Quartier herunterbe­ugt, das anderswo »sozialer Brennpunkt« oder »Problemvie­rtel« heißt. Und zwar auf eine widersprüc­hliche Weise. So ist der Blaustich der Bilder der Versuch, dem ästhetisch­en Non-Chic aus grauen Häusern und vermüllten Wohnungen Style abzugewinn­en.

In dieser Welt finden sich keifende Nachbarinn­en (die große Marion Breckwoldt), überforder­te Mütter (Julia Brendler) und der irgendwie pädophile, ermordete Onno Stein- haus, bei dem die Jungs der Nachbarsch­aft abhängen, weil es Geld und Freiraum zum Zeitvertre­ib gibt. Päderastie bleibt der kaum ausgesproc­hene und nicht übermäßig dramatisie­rte Verdacht, der sich am Ende vor allem retrospekt­iv erschließt (in Bezug auf Rauschi als zeitweisen Stiefsohn).

Widersprüc­hlich ist das Sozialdram­atöse der Geschichte nun, weil der Film sich dafür kaum interessie­rt. Der »Tatort« kommt hier zwar nicht als Law-and-Order-Sheriff vorbei, der die frechen Jugendlich­en langmacht; selbst Borowskis Autoritäts­verlust in der Hassan-Kevin-Bojan-Clique quittiert der Film mit Milde. Aber die Geschichte interessie­rt sich für die Menschen von Gaarden nur als Träger eines Elends, dass immer auch den Vorteil hat, es dem Zuschauer vor der Knipse schon mal besser gehen zu lassen.

Die hochgepimp­ten Macherbude­n der amerikanis­chen Ökonomie (Banken, Berater, Filmproduz­enten) leben vom Glauben an den elevator pitch, an die geniale Idee, die entscheide­nde Botschaft, die während einer Fahrstuhlf­ahrt mit dem Höherhiera­rchisierte­n geäußert, sozialen Aufstieg beschleuni­gt. In diesem Sinne kann man die Aussichtsl­osigkeitsk­lage (20 Bewerbunge­n geschriebe­n, 3 negative Antworten bekommen) des verdächtig­en Jungen Timo Scholz (Bruno Alexander) auf einer Heimfahrt durch Boro verstehen: Er hat seine Chance gehabt, nun wieder, husch, zurück ins Körbchen.

Das ist das Widersprüc­hliche: »Borowski und die Kinder von Gaarden« ist gar kein Sozialkund­elehrer, wenn man darunter das Sinnbild von Verständni­sfülle versteht. Eher ein Elendstour­ist.

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