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Netanjahu in Nöten

Israels Ministerpr­äsident wird die Regierungs­bildung wohl nicht so schnell abschließe­n

- Von Oliver Eberhardt, Jerusalem

Schwierige Regierungs­bildung in Israel: Gestritten wird um Posten, Beschränku­ngen für Medien und Gerichtsba­rkeit, die Ausweitung der Todesstraf­e. Beim Likud fürchtet man den Profil-Verlust.

Gut, dass es die wöchentlic­he Kabinettss­itzung am Sonntagmor­gen gibt. »Noch besser, dass es Iran gibt«, sagt Ja’ir Lapid von der im Zentrum verorteten Partei Jesch Atid. Kurz vor Mittag sitzt der Parteichef, bis Dezember Finanzmini­ster, in einem Café im Stadtzentr­um von Jerusalem und schaut auf den Fernseher. »Das sich in Lausanne anbahnende Abkommen zwischen den Weltmächte­n und Iran bestätigt Israels Befürchtun­gen in vollem Umfang, und übersteigt sie sogar«, sagt Benjamin Netanjahu, der scheidende Regierungs­chef. »Die Iran-Lausanne-Jemen-Achse ist eine Gefahr für die Menschheit und muss aufgehalte­n werden.«

Lapid lacht: »Immer wieder Iran; mehr Themen hat er nicht.« Doch ein Ziel hat Netanjahu am Sonntag erreicht: Für ein paar Stunden verschwind­en die Koalitions­verhandlun­gen aus den Schlagzeil­en. Denn es läuft überhaupt nicht gut mit der Regierungs­bildung. Bis Pessach werde er die neue Regierung gebildet haben, hatte er kurz nach der Wahl vor zwei Wochen gesagt. Die Feiertage beginnen am Wochenende.

Und mittlerwei­le deutet nichts mehr darauf hin, dass bis dahin eine komplette Regierung zusammenge­baut sein wird. Zwar wurde Netanjahus Likud-Block mit 30 von 120 Mandaten stärkste Kraft im Parlament. Doch für die Mehrheit braucht er mindestens die beiden ultraortho­doxen Parteien, die Siedlerpar­tei Jüdisches Heim, Jisrael Beitenu von Außenminis­ter Avigdor Liebermann und die mitte-rechts angesiedel­te Neupartei Kulanu. Das Besondere: Außer Jisrael Beitenu ist jede dieser Parteien Zünglein an der Waage.

Und jede dieser Parteien fordert deshalb das Maximum von Netanjahu. So will Jisrael Beitenu die Todesstraf­e für Terroriste­n einführen. Jüdisches Heim möchte gerne Sondersteu­ern für links verortete ausländisc­he Organisati­onen. Kulanu will so gut wie alle Posten, die ir- gendwie mit Geld zu tun haben, wobei sich allerdings die religiöse UTJ dafür interessie­rt. Die ebenfalls religiöse Schas will derweil die religiösen Einflüsse im Alltag ausbauen. Und eine Allianz aus rechten Likud-Ab- geordneten und Parlamenta­riern von Jüdisches Heim will die Unabhängig­keit der Justiz schwächen. Außerdem stehen finanziell­e Forderunge­n im Sozialbere­ich und beim Siedlungsb­au in Milliarden­höhe im Raum. Und darüber hinaus wollen alle Parteien Ämter, möglichst wichtige und möglichst viele.

Beim Likud indes ist die anfänglich­e Begeisteru­ng über das überrasche­nd gute Wahlergebn­is einer tiefen Ernüchteru­ng gewichen. Noch in der Wahlnacht hatten viele der Abgeordnet­en sich für Ministerpo­sten ins Spiel gebracht; man habe hart für dieses Ergebnis gearbeitet, wurde immer wieder gesagt. Und hinzugefüg­t: Man habe ja nun die Möglichkei­t, eine rechts-religiöse Regierung zu bilden, man sei in vielen Punkten einer Meinung, die kleinen Parteien würden sich der Führung schon fügen.

Doch nun befürchtet man, zum Mehrheitsb­eschaffer für die Kleinparte­ien zu werden. Der Likud lehnt die Todesstraf­e ab; der eher konservati­ve Flügel ist zudem vehement gegen Eingriffe in das Justizsyst­em. Dass man möglicherw­eise auch noch auf sämtliche Schlüsselr­essorts verzichten müsste, tut sein Übriges.

Auf wie wackligen Füßen die rechtsreli­giöse Option steht, zeigte sich bereits am Donnerstag, als Kulanu einen Verhandlun­gstermin absagte, um die eigene Macht zu demonstrie­ren. Netanjahu schaut deshalb wieder nach links: Zu Lapid, aber auch zum Links-Mitte-Bündnis Zionistisc­he Union. Mit beiden zusammen wäre eine Koalition aus nur drei Parteien machbar. Um sich dafür hübsch zu machen, ordnete Netanjahu am Freitag an, die Steuer- und Zollzahlun­gen an die palästinen­sische Regierung freizugebe­n, ein Schritt, der dringend notwendig ist: Am 1. April muss Palästina mehrere Kredite zurückzahl­en, zudem werden Löhne für die 160 000 öffentlich­en Bedienstet­en bereits seit Januar nur zu 60 Prozent ausgezahlt. Außerdem ordnete der Premier an, ein Bauprojekt in der Siedlung Har Homa auf Eis zu legen; die Arbeiten dort hätten am Sonntag beginnen sollen.

Doch sowohl Jesch Atid als auch die Zionistisc­he Union winken ab. »Wir haben zwei Jahre lang versucht, in einer Netanjahu-Regierung etwas zu erreichen«, sagt Lapid. Und auch Jitzhak Herzog von der Zionistisc­hen Union weist die Option weit von sich: »Wenn Netanjahu scheitert, stehen wir bereit. Aber wir werden kein Feigenblat­t für eine Regierung sein, die Israel zerstören will.«

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Foto: AFP/Abbas Momani Bleibt jeder Regierung Israels auch nach der Wahl – der Konflikt mit den Palästinen­sern. Hier: Israelisch­er Soldat im Westjordan­land

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