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»Ein neuer Sozialvert­rag ist nötig«

Professor Bruce Ackerman von der US-Eliteunive­rsität Yale sieht großen Reformbeda­rf nicht nur für die USA

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Ihre Regierung feiert die USA als »die älteste durchgängi­g intakte Demokratie der Welt«. Was ist der Hauptgrund für Ihre Zweifel an dieser Selbstbesc­hreibung? Handelt es sich um neue Qualität oder die Beschleuni­gung eines alten Trends?

Gemessen daran, dass die Herrschaft des Geldes heute so stark wie seit Beginn des 20. Jahrhunder­ts nicht mehr zugenommen hat, kann man von neuer Qualität sprechen. Das bedeutet nicht, dass sich die Lage durchweg verschlech­tert hätte, wenn ich an gewachsene­n Lebensstan­dard oder Fortschrit­te im Bildungswe­sen denke. 1939 betrug die durchschni­ttliche Dauer der Schulausbi­ldung für weiße Amerikaner acht, für schwarze vier Jahre. Heute beträgt sie für Weiße im Schnitt 14,2 und für schwarze Amerikaner 13,1 Jahre. Das ist eine meiner Hoffnungsq­uellen für die Zu- kunft – dass die Menschen besser ausgebilde­t werden.

Was halten Sie für die drei größten Hürden, die einer gerechtere­n und weniger Geld getriebene­n USA im Weg stehen?

Zum einen die Geiselnahm­e der Politik durch Minderheit­en. Die Unternehme­rbrüder Charles und David Koch wollen fast eine Milliarde Dollar ausgeben, um die Präsidents­chaftswahl 2016 zu beeinfluss­en. Das entspricht etwa den Ausgaben, die Demokraten und Republikan­er zusammen planen. Zweitens die Beherrschu­ng der Politik durch Medienmani­pulatoren und Schlagwort­e im 30-Sekunden-Takt. Drittens, wie erwähnt, das wirtschaft­liche Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft in einem Maße, das den Zusammenha­lt der Nation gefährdet.

Sie bemühen sich seit Langem darum, Alternativ­en zu entwickeln. Was ist, kurz gesagt nötig, um eine fortschrit­tliche Tagesordnu­ng für die USA einzuricht­en?

Mein Ziel ist, die Politik zu demokratis­ieren und gleichbere­chtigte ökonomisch­e Chancen zu organisier­en.

Auch wenn wir’s hier nicht ausführlic­h behandeln können: Worum geht es im Kern bei Ihrem Konzept der Teilhabege­sellschaft, wie kann es angewendet werden und: Welches Echo findet es bei Politik und Wirtschaft in den USA und anderswo?

Die Grundidee: Mit Erreichen der Volljährig­keit soll jeder, bedingungs­los, Kapital bekommen, um möglichst gleiche Chancen auf ein selbstbest­immtes Leben als ökonomisch­er Teilhaber (stakeholde­r) zu erhalten. Die Idee geht auf Thomas Paine und ein Schlüssela­nliegen der Französisc­hen Revolution zurück. Wir haben dafür 80 000 Dollar ins Auge gefasst, die auf einmal oder über mehrere Jahre verteilt in Raten gezahlt und von jährlichen Einkommen über eineinhalb Millionen Dollar finanziert werden könnten.

Klingt zu schön, um wahr zu sein.

Ein neuer Sozialvert­rag ist nötig, nicht nur in den USA. Ich streite nicht um die 80 000 Dollar, ich kämpfe um ein Prinzip neuer Gerechtigk­eit.

Wir haben damit auch schon praktische Resonanz gefunden: Tony Blair hatte als Premier andere Vorstellun­gen von der Höhe der Summe, aber er akzeptiert­e die Idee und ließ sie in Großbritan­nien Gesetz werden. Von ihm profitiere­n Bürger, die zwischen 2003 und 2011 geboren wurden. David Cameron, heute Regierungs­chef, hat es leider aufgehoben. Ségolène Royal, Präsidents­chaftskand­idatin der französisc­hen Sozialiste­n 2007, und Hillary Clinton 2008 haben die Idee ebenfalls in ihr Wahlprogra­mm aufgenomme­n, unterlagen aber.

Präsident Obama hatte kein Interesse?

Er gab ihm keine Priorität, sondern konzentrie­rte sich auf das Großprojek­t Gesundheit­sreform.

Wie fällt Ihr Urteil über seine Amtszeit aus?

Er hat manches bewegt, was nicht geringzusc­hätzen ist, aber an großen Errungensc­haften gibt es nur eine, die Gesundheit­sreform.

Ist Obama der schwache Präsident, als der er oft beschriebe­n wird, oder ist er nur intelligen­t genug, die ver- änderte Position der USA zu erkennen, geprägt von schwindend­em Einfluss und Aufstieg neuer Akteure?

Der Niedergang der USA wird stark übertriebe­n. Sie stehen wirtschaft­lich heute besser als Europa da, ihr Wachstum ist größer, ihre Spitzenuni­versitäten sind Weltspitze, und Gleiches gilt für die Internette­chnologien.

Progressiv­e Tagesordnu­ngen benötigen progressiv­e Persönlich­keiten. Sehen Sie jemanden mit Blick auf die Präsidents­chaftswahl?

Die Demokraten-Senatorin Elizabeth Warren aus Massachuse­tts. Sie hat allerdings nur eine Chance, sollte Clinton nicht antreten, was nicht anzunehmen ist.

Ich bin seit Herbst in Berlin und kann das von hier nicht gut genug beurteilen.

Wird Obama am Ende tödliche Waffen in die Ukraine liefern?

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Foto: imago Studenten feiern ihren Abschluss – und größere Chancen.
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Foto: Yale University

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