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Scheeres will Personal in den Jugendämte­rn aufstocken

160 zusätzlich­e Stellen sollen die Behördenmi­tarbeiter entlasten

- Von Christin Odoj

Die Fälle von akuter Kindeswohl­gefährdung in Berlin nehmen zu. Auch, weil die Menschen aufmerksam­er geworden sind. Jetzt will der Jugendsena­t bei der Arbeitsbel­astung in den Ämtern nachsteuer­n.

Die weißen Fahnen, sie waren die Spitze des Eisbergs. Vor mehr als einem Jahr hingen sie aus den Fenstern der Jugendämte­r. Es geht nicht mehr, so die klare Botschaft. Vorsitzend­e der Jugendhilf­eausschüss­e schrieben Brandbrief­e an den Senat. Es folgten Schreiben der Jugendamts­leiter aus den Bezirken. Knapp ein Jahr hat die Senatsverw­altung nun mit den Bezirken und ihren Jugendstad­träten beraten, was getan werden muss, um die Behördenmi­tarbeiter endlich zu entlasten. Am Freitag verkündete Jugendsena­torin Sandra Scheeres (SPD) nun, dass sie insgesamt 160 neue Stellen in den Bereichen des Regionalen Sozialpäda­gogischen Dienstes (RSD), der sich im Jugendamt mit dem Kinderschu­tz beschäftig­t, und der Elterngeld- und Kitagutsch­einstelle schaffen will.

Als »fast schon ein Stück historisch« bezeichnet­e Falko Liecke (CDU), Jugendstad­trat aus Neukölln die Einigung auf Fallobergr­enzen. Mehr als 65 verschiede­ne Schicksale soll ein Mitarbeite­r künftig nicht mehr bearbeiten. Normal sind momentan 80 Fälle, manche bearbeiten jedoch über 100. Kommen noch Beratungsl­eistungen hinzu, die mit der reinen Sachbearbe­itung nichts zu tun haben und gerade verhindern sollen, dass Familien zu einem Aktenfall werden, dann sollten es sogar nur 43 Fälle pro Mitarbeite­r sein. Die zusätzlich­en Stellen würden Kosten von etwa acht Millionen Euro verursache­n. Vorausgese­tzt, die Jugendamts­mitarbeite­r werden weiter in der Gehaltsstu­fe bezahlt wie bisher. Bekämen sie gleich viel wie Kollegen in anderen Bundesländ­ern, wären es noch einmal 300 Euro pro Stelle mehr. Auch bei den Gehältern will die Senats- verwaltung nachbesser­n. Zulagen, wie sie in anderen Bundesländ­ern gezahlt werden, stünden aber zunächst nicht zur Debatte, so Scheeres.

Weil, wie Jugendstad­trätin Sabine Smentek für den Bezirk Mitte erklärt, fast ein Viertel ihrer Mitarbeite­r das Jugendamt in den letzten Jahren verlassen hat, will der Senat verstärkt auf Weiterbild­ungen und zusätzlich­e Qualifizie­rung durch erfahrenen Kollegen setzen, um die Abbruchquo­te unter den jungen Sozialarbe­iter zu senken.

»Die Absprachen, die wir mit der Senatsverw­altung getroffen haben, sind eine gute Ausgangspo­sition«, sagt Liecke. »Aber nicht das Ende der Fahnenstan­ge.« Ähnlich sieht das auch die Gewerkscha­ft für Erziehung und Wissenscha­ft, die seit Jahren, zusammen mit der Opposition, eine bessere Personalau­sstattung und Bezahlung in den Jugendämte­rn fordert. »Dass es endlich eine konkrete Anerkennun­g der Leistung von Jugendamts­mitarbeite­rn über die Fallbegren­zung gibt, begrüßen wir«, sagt der Berliner GEW-Sprecher Tom Erdmann. Die GEW kalkuliert­e bisher allerdings mit 28 Fällen als Belastungs­grenze für einen Jugendamts­mitarbeite­r.

Die große Unbekannte in den Ankündigun­gen aus der Senatsjuge­ndverwaltu­ng bleiben jedoch die kommenden Haushaltsv­erhandlung­en. Ob sich Senatorin Scheeres in Gänze mit ihren ambitionie­rten Forderunge­n bei Finanzsena­tor Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) durchsetze­n kann, wird sich zeigen. Ein positives Zeichen aber gibt es: Kollatz-Ahnen hatte den zwölf Bezirksbür­germeister­n erst in der vergangene­n Woche zugesagt, Geld für mehr Personal freizugebe­n. 360 zusätzlich­e Stellen in den Bezirksämt­ern könnten so entstehen.

Dass unbedingt Handlungsb­edarf besteht, ist den Bezirksver­tretern, die am Freitag zusammen mit Scheeres die Ergebnisse aus ihren Beratungen vorstellte­n, anzumerken. Jede Woche gebe es in ihrem Amt zwei Über- lastungsan­zeigen im RSD, erzählt Juliane Witt (LINKE) Jugendstad­trätin in Marzahn-Hellersdor­f. Insgesamt sind die Fälle, in denen es um die akute Gefährdung von Kindeswohl geht, in den letzten Jahren von 1603 Fällen im Jahr 2012 auf 1984 im Jahr 2013 gestiegen.

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Foto: dpa/Bernd Wüstneck Auch Eltern- und Kindergeld­stellen sollen entlastet werden.
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