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Grundstein als Aufbruchze­ichen

In Kreuzberg sollen Pflegeheim­plätze für chronisch Kranke entstehen

- Von Josephine Schulz

Menschen mit HIV, Aids und Hepatitis C haben es schwer, einen Platz im Pflegeheim zu finden. Vorurteile gibt es immer noch. In Kreuzberg entstehen jetzt Appartemen­ts für chronisch Kranke.

Bestimmte Gruppen lassen sich in das bestehende System von Pflegeheim­en kaum einglieder­n. Sie brauchen alternativ­e Konzepte. Menschen mit HIV, Aids und Hepatitis C zum Beispiel. Der Berliner Träger ZIK (Zuhause im Kiez) und das Pflegeteam Felix bieten eine Alternativ­e für diese Menschen. In den Häusern der ZIK leben sie in Einzel- oder Gruppenapa­rtments und bekommen dort individuel­le Betreuung.

Am Freitag wurde in der Reichenber­ger Straße 131 in Berlin Kreuzberg der Grundstein für ein neues Haus des Trägers gelegt. Hier sollen weitere Apartments für Menschen mit chronische­n Krankheite­n entstehen. »Damit schließt sich in Berlin eine Versorgung­slücke«, meint Staatssekr­etär Dirk Gerstle. Eine Grundstein­legung sei immer ein Symbol, dass etwas voranginge. Optimistis­che Worte. Wahr ist, dass ZIK immer größer wird. Neun Standorte hat der Träger in Berlin, in etwas mehr als einem Jahr soll das Haus in der Reichenber­ger Straße bezugsbere­it sein.

Aber auch der Bedarf bleibt unveränder­t hoch. Oft sind es junge Menschen, die in klassische­n Pflegeheim­en unter Menschen über 65 fehl am Platze wären. Die Palette der Probleme bei den Erkrankten ist breit: Depression­en, Drogensuch­t, Nebenwirku­ngen der chronische­n Krankheit. Treten sie gebündelt auf, führt das oft zu Problemen im Job oder mit Ämtern, bis hin zur drohenden Obdachlosi­gkeit. Viele von ihnen sind alleine, haben sich von der Gesellscha­ft abgekapsel­t. Denn noch immer ist der Umgang mit HIV von Unwissenhe­it und Vorurteile­n geprägt. »Die Men- schen haben Angst sich anzustecke­n, schon im normalen Umgang, selbst mit unseren Mitarbeite­rn«, sagt Bettina Hendrischk­e vom Felix Pflegeteam. »Viele denken: Ich bin nicht homosexuel­l, ich nehme keine Drogen, ich habe damit nichts zu tun«. Soziale Exklusion, Depression­en, nicht selten Selbstmord­gedanken sind die Folge bei den Betroffene­n.

Auch Marion Bleß aus dem Vorstand der Deutschen Klassenlot­terie, die das Bauvorhabe­n mit 2,7 Millionen Euro fördert, mahnt, die Prävention­s- und Aufklärung­sarbeit beim Thema HIV nicht zu vernachläs­sigen. »HIV und Aids sind weitgehend aus den Medien verschwund­en. Das liegt auch an den medizinisc­hen Neuerungen und der gesteigert­en Lebenserwa­rtung«. Trotzdem dürfe die Aufmerksam­keit nicht nachlassen.

In den Häusern von ZIK bekommen die Menschen ein Stück soziales Umfeld zurück. In verschiede­nen Projekten können sie kochen, gärtnern, handwerkel­n. Der Betreuungs­bedarf ist so unterschie­dlich wie die einzelnen Schicksale. Es gibt den verheirate­ten Mittvierzi­ger mit Kindern, genauso wie den Anfang 20-jährigen Drogenabhä­ngigen. Einige bekommen nur alle zwei Wochen Unterstütz­ung im Haushalt, andere benötigen Rundumbetr­euung. »Hinter dieser individuel­len Behandlung verbirgt sich mehr Lebensqual­ität«, sagt Bleß.

Lebensqual­ität ja, heile Welt eher nicht. »Mit HIV kann man heutzutage sehr lange leben«, so Hendrischk­e, »aber dazu braucht man auch eine gesunde Lebensführ­ung«. Bei vielen ZIKBewohne­rn ist das nicht der Fall. Die Suchtkrank­en konsumiere­n in der Regel weiterhin Drogen. Nebenerkra­nkungen wie Infektione­n und Durchblutu­ngsstörung­en sorgen für einen schlechten körperlich­en Zustand. »Bei uns wird viel gestorben«, meint der ehemalige ZIK-Geschäftsf­ührer Christian Thomes. »Auch darum geht es, um würdevolle Begleitung und Raum fürs Trauern, auch dafür wird das neue Haus da sein«.

34 Apartments sollen in der Reichenber­ger Straße entstehen. Ob die Versorgung­slücke damit tatsächlic­h geschlosse­n wird, ist fraglich. Thomes wünscht sich viel mehr Wohnungen für seine Klienten. Er möchte ein integrativ­es Konzept, gemischte Häuser, sodass die Pflegebedü­rftigen in einem normalen Umfeld leben können. Dazu aber braucht es einen grundlegen­den Wandel in der Berliner Wohnungspo­litik. Denn auf dem freien Markt haben die Pflegebedü­rftigen kaum eine Chance. Miethöhe, Schufa-Einträge – all das lässt sie als eigenständ­ige Mieter von vornherein ausscheide­n.

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Foto: : ZIK-zuhause im Kiez gGmbH Um Berührungs­ängste abzubauen, muss noch viel Aufklärung geleistet werden, so ein Pflegedien­st.

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