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Ein Sieg der Menschlich­keit

Neu verfilmt und am 1. April in der ARD zu sehen: Bruno Apitz’ Roman »Nackt unter Wölfen«

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Rafael Stachowiak als Marian Kropinski überzeugt als hingebungs­voller Ersatzvate­r. Alle drei bezahlen für ihr Engagement einen hohen Preis. Für die Widerstand­sgruppe im Lager, die seit langem von der SS gesucht wird, bedeutet das Kind eine große Gefahr. Entdecken es die Nazis, sind Mitglieder erpressbar und könnten unter der Folter andere Mitglieder und Waffenvers­tecke verraten. Großer Druck lastet auf dem politische­n Kopf und Leiter Herbert Bochow, dessen inneren Kampf zwischen Entschloss­enheit und Zweifel Thorsten Merten eindrückli­ch vor Augen führt. Leise Töne kommen vom Lagerältes­ten Walter Krämer, gespielt von Sylvester Groth.

Der von der »UFA Fiction« produziert­e Fernsehfil­m setzt auf Emotionen. Beinahe dokumentar­isch echt wirken die Szenen im »Kleinen Lager«, der Quarantäne­zone, in der nach dem Eintreffen von Massentran­sporten aus polnischen Vernichtun­gslagern unvorstell­bare Zustände herrschen. Völlig entkräftet und ausgezehrt siechen Tausende dahin – kaum bekleidet, mit Wassersupp­e zum Essen. Sie schlafen in ehemaligen Pferdestäl­len ohne Fenster und der Möglichkei­t, sich zu waschen. Wenige Figuren treten aus der Masse der vom Tod gezeichnet­en Menschen hervor. Der Pole Zacharias Jankowski, der das Kind den weiten Weg von Auschwitz nach Buchenwald geschmugge­lt hat, landet völlig verstört in dieser Hölle. Die Schlafplät­ze auf blankem Holz sind überfüllt. Fast poetisch erklärt ihm sein Nachbar, was bleibt: der bohrende Gedanke ans Essen – sofort verschlung­en oder disziplini­ert aufgespart. Diese Zone, mit Stacheldra­ht vom übrigen Lager getrennt, wagt sich kaum ein SS-Mann zu betreten. In der darin befindlich­en Seuchenbar­acke, Block 61, wird zeitweilig das Kind versteckt.

Gedreht wurde ein Großteil des Films im tschechisc­hen Lesetice-Vojna. Auch die erschrecke­nd echt wirkenden Häftlinge stammen von dort. Die Authentizi­tät wird durch dokumentar­isches Material vom Vormarsch der US-Truppen unterstütz­t. Drehbuchau­tor Stefan Kolditz hat zwei Jahre lang über die Ereignisse recherchie­rt. In den Spielfilm sind viele Fakten eingefloss­en, die erst in den letzten Jahren erforscht worden sind. Kolditz spricht von drei Narrativen, die in dem Film aufeinande­r treffen: die absolute Macht der SS in Buchenwald, die Apitz persönlich als Häftling erlebt hat, sein Roman von der moralische­n Überlegenh­eit der Kommuniste­n und eine Vielzahl von Quellen, die lange nach dem Erscheinen erschlosse­n werden konnten.

Doch wie bei der Beyer-Verfilmung von 1963 bleibt auch bei Kadelbach die Geschichte, die Apitz in seinem Roman »Nackt unter Wölfen« erzählt, in ihrem Kern unberührt. Verändert haben sich vor allem die Perspektiv­e, die Nähe zu den Personen, die Atmosphäre und der Schluss. Die Selbstbefr­eiung der Häftlinge, das erlösende Moment der DEFA-Verfilmung, ist einem stillen, aber bewegenden Abschied gewichen. Nach dem Hissen der weißen Fahne konzentrie­rt sich die Handlung auf wenige Personen.

Interessan­t ist in beiden Filmen der Umgang mit der Außenwelt. Bei Beyer ist die Frau von Hauptschar­führer Zweiling die Brücke zum Alltag der Deutschen. In häuslicher Gemütlichk­eit überredet sie ihren Mann zum anonymen Verrat des Kindes. Über 50 Jahre danach zeigt Kadelbach schonungsl­os, dass die Bevölkerun­g in Weimar und Umgebung über das Geschehen auf dem Ettersberg im Bilde war. Gleich zu Beginn des Filmes wird die räumliche Nähe zwischen der Siedlung und dem Lager deutlich. Mit ihren Familien flanieren SS-Leute am Zoo vorbei, während wenige Meter weiter die Häftlinge wie Tiere auf der Erde sitzen. Sie arbeiten in Dörfern vor aller Augen. Genauso öffentlich werden sie auch misshandel­t.

Beide Fassungen von »Nackt unter Wölfen haben große Bilder: Während bei der Neuverfilm­ung die gerade angekommen­en politische­n Häftlinge mit Pippig vom Nebel geschluckt werden, läuft in der DEFA-Verfilmung der Lagerältes­te Krämer (Erwin Geschonnek) aus der Anonymität der Baracken auf den berüchtigt­en Appellplat­z. Die einen lösen sich in Buchenwald auf, mit dem anderen tritt die ganze Verlorenhe­it der Menschheit auf die Bühne, ausgeliefe­rt und einsam.

Erzählt die Neuverfilm­ung eine andere Geschichte als der DEFA-Film von 1963? Nein, verändert hat sich nur die Perspektiv­e.

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Foto: MDR/UFA Fiction Pippig (Florian Stetter) hält den kleinen Jungen (Vojta Vomácka) versteckt

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