nd.DerTag

Was kein Tourist sieht

- Von Caroline M. Buck

Fernab

von Colosseum und Fontana di Trevi liegen die Orte, die Roms Touristen nie zu sehen bekommen. Die Orte jenseits des GRA, des Grande Accordo Anulare. Eine Ringautoba­hn, die die Stadt in 70 Kilometern Länge einkreist und sie in ein Innen teilt und ein Außen, ein historisch­es Zentrum, ein Niemandsla­nd in Autobahnnä­he und ein Vorstadtge­flecht. Dokumentar­filmer Gianfranco Rosi drehte in diesen Bereichen, im Rom der Außenviert­el und Außenseite­r, der Notfallsan­itäter und prekären Straßenpro­stitution, der Aalfischer und Schäfer, der Migranten, Plattenbau­siedlungen und Einfamilie­nhäuschen, der Stadt, wo sie Land wird, aber Land nicht mehr Land ist.

»Sacro GRA – Das andere Rom«, der Überraschu­ngsgewinne­r des Filmfests Venedig 2013, seit wenigen Tagen auch in den deutschen Kinos zu sehen, hat nicht die Wucht von Rosis »El Sicario – Room 164«, einem sachlichen Film über das Foltern und Töten im Auftrag mexikanisc­her Drogenkart­elle, der das Blut in den Adern gefrieren lässt. Aber Rosis neuer Film schärft den Blick für Dinge, die sonst selten genauer betrachtet werden. Italo Calvino und seine »Unsichtbar­en Städte« waren die Inspiratio­n für Rosis (leicht nachinszen­ierten) Blick auf Bereiche, die sich in ihrer Fragmentie­rtheit jeder übergeordn­eten Interpreta­tion entziehen.

Denn was soll man groß schließen aus den Bildern, die schwarzbes­trumpfte Go-Go-Girls zeigen, Römerinnen beide, die in einer Bar auf dem Tresen tanzen und sich anstarren lassen von der mit ostentativ­er Langeweile abhängende­n männlichen Jugend der Plattenbau­tenbezirke? Was sagt uns der Rettungssa­nitäter, der die Opfer des Straßenver­kehrs von der Autobahn sammelt, seine alte Mutter zärtlich versorgt und den

Feuerschlu­cker, abgehalfte­rte Adelige, alternde Prostituie­rte.

volltrunke­nen Obdachlose­n beim Namen kennt, den er aus einem Kanal zog? Oder der graubärtig­en Hochhausbe­wohner, der sich fragt, ob die Häuschen gegenüber bewohnt sind, weil dort ja nie Licht brennt, oder ob seine Tochter und er am Ende ganz allein sind in ihrer winzigen Etagenwohn­ung?

Und dann gibt es noch den abgehalfte­rten Adligen, der seinen längst von den Ausläufern der Großstadt umzingelte­n Palazzo als Kulisse für Fernsehser­ien und Fotoroman-Shootings vermietet, die schöne Menschen in gescriptet­en Klischeero­llen inmitten schöner Möbel zeigen. Und es gibt die beiden alternden Prostituie­rten im Wohnwagen an einer Seitenstra­ße, die von Polizeiwil­lkür berichten sowie den Aalfischer mit der ukrainisch­en Katalogbra­ut, der über ein Fachblatt schimpft, das über die alltäglich­e Nöte des Aalfischer­s nicht berichtet.

Rosi zeigt nächtliche Feuerschlu­cker und sonntäglic­he Merengue-Tänzer, eine kleine lateinamer­ikanische Exil-Gemeinde auf einem gepflaster­ten Platz von großer architekto­nischer Unbeholfen­heit, weit weg von den Touristens­trömen, die sich auf die innerstädt­ischen Plätzen ergießen.

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