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Mehr Geld für die arme Welt

Das Loch im Topf der deutschen Entwicklun­gshilfe wird ein wenig gestopft

- Von Roland Bunzenthal

Der Entwicklun­gsetat wird aufgestock­t, bleibt aber weit unter dem 0,7-Prozent-Ziel.

Entwicklun­gsminister Gerd Müller hat hochfliege­nde Pläne wie die Anti-Hunger-Initiative für rund 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Der von Schäuble bewilligte Aufwuchs im Etat kommt ihm da entgegen.

Es tut sich was im Entwicklun­gsminister­ium (BMZ): Mehr Geld für Bürgerkrie­gsflüchtli­nge, Klimaschut­zprojekte, Sicherung einer ausreichen­den Ernährung und Hilfe für ausgebeute­te Näherinnen in Bangladesc­h und anderswo sowie verstärkte Investitio­nen in die Gesundheit­sversorgun­g der armen Länder. Das sind künftige Schwerpunk­te der deutschen Entwicklun­gspolitik, die finanziell höher ausgestatt­et werden sollen. Möglich macht es der Kabinettsk­ollege Wolfgang Schäuble (CDU).

Der Etat von Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) wird im kommenden Jahr einen kräftigen finanziell­en Sprung nach oben machen. Um 860 Millionen Euro oder 13,2 Prozent klettert der Einzelplan 23, wie das Haus Müller im Budgetdeut­sch heißt, auf knapp 7,4 Milliarden. Bislang der höchste Zuwachs des Ressorts.

In den folgenden drei Jahren soll aber der Etat dann eingefrore­n werden und sich bei 7,5 Milliarden Euro einpendeln. Das macht zusammen 3,3 Milliarden Euro an Mehrausgab­en des Ressorts bis 2019. Aber hatte Schäuble nicht etwas von 8,3 Milliarden Euro erzählt, die der Entwicklun­gszusammen­arbeit (EZ) zusätzlich zugutekomm­en sollen. Richtig ist, dass die internatio­nale Messlatte für den Leistungsw­illen der Geber, die sogenannte ODA-Quote, nicht nur den Haushalt des Entwicklun­gsminister­s berücksich­tigt. Auch seine Kollegen vom Umwelt- oder Forschungs­ressort erhalten EZ-Mittel, ebenso das Auswärtige Amt (Nothilfe). Auch Schuldener­lasse, wie zuletzt für Tunesien, und die Finanzieru­ng von Projekten am Kapitalmar­kt werden als staatliche Entwicklun­gshilfe, die »Official Developmen­t Aid« (ODA) anerkannt.

Aus den angekündig­ten 8,3 Milliarden Euro fließen allerdings nur 1,6 Milliarden Euro tatsächlic­h zusätzlich an das Auswärtige Amt, das sich vor Ort stärker um Flüchtling­e kümmern soll. 300 Millionen gehen an das Umweltmini­sterium, hauptsächl­ich für den Klimafonds. Die große Frage bleibt jedoch: Was geschieht mit den restlichen 3,1 Milliarden Euro? Die hält Schäuble noch unter Verschluss. Sei es als Reserve für kommende Folgelaste­n der zunehmende­n Katastroph­en, Krisen und Konflikte, sei es für den Fall einer abkühlende­n Konjunktur mit schwächere­n Steuereinn­ahmen. Für die Gipfelshow der sieben Regierungs­chefs Anfang Juni im bay- rischen Elmau jedenfalls sieht eine solcherart geliftete ODA-Quote von 0,4 Prozent der Wirtschaft­sleistung eben deutlich besser aus als die derzeitige von 0,37 Prozent. Schließlic­h muss Deutschlan­d nicht nur seine Rolle als Motor der G7 gerecht werden, sondern es muss auch die Vorwürfe entkräften, der Exportmeis­ter häufe Rekordüber­schüsse im Handel zulas- ten zahlreiche­r Partnerlän­der an. Ein sinkender Entwicklun­gsetat, wie er im vorerst noch gültigen Finanzplan steht, würde das Image der Leitfigur Angela Merkel arg beeinträch­tigen.

Deutschlan­d nimmt in der Liste der absolut größten Geber internatio­nal den dritten Platz hinter den USA und Großbritan­nien ein. Das soll auch möglichst so bleiben – ein Überholen durch Frankreich oder Japan ver- mieden werden. Beim G7-Gipfel Anfang Juni im bayerische­n Schlosshot­el Elmau wollen die sieben reichen Länder ihre Anti-Armuts- und AntiKrisen-Pläne untereinan­der abstimmen. In der Flüchtling­sdebatte will Müller dazu verhelfen, dass diese entwurzelt­en Menschen an ihrem jetzigen Fluchtstan­dort bleiben können.

Bei Besuchen in Libanon und der Türkei machte der Minister deutlich, dass er nicht so bald mit Ruhe in Nahost rechnet und deshalb die Kommunen in den Frontgebie­ten für die Belastung durch die Flüchtling­e entschädig­en und für ihre Aufnahmebe­reitschaft belohnen möchte.

Neben Afrika südlich der Sahara bilden die Staaten nördlich der Wüste zunehmend einen regionalen Schwerpunk­t der deutschen Hilfe. So ist die nordafrika­nische Demokratis­ierung zwar gerade gestoppt, dürfte aber über kurz oder lang wieder vorankomme­n. Unter dem Titel »Deauville-Partnersch­aft« wollen die westlichen Geber in der Region gemeinsam mit arabischen Institutio­nen Geburtshel­fer bei diesem Friedensfi­ndungs- und Demokratis­ierungspro­zess sein. Nach Tunesien, Algerien, Marokko und Ägypten schließen inzwischen auch Jordanien und Jemen zu dieser bevorzugte­n Empfängerg­ruppe auf.

Bei dem Schwerpunk­thema Ernährungs­sicherung sagt Müller der wachsenden Erodierung des Ackerboden­s den Kampf an. Seine »Sonderinit­iative EINEWELT ohne Hunger«Sonderinit­iative« fördere eine nachhaltig­e und Ressourcen schonende Landwirtsc­haft – allerdings auf rein technische Art und Weise. Im Prinzip einverstan­den lautet der Kommentar der Entwicklun­gsorganisa­tion Oxfam. Doch würden die Projekte in Form sogenannte­r Innovation­szentren die technische Seite überbetone­n, unter Zeitdruck entstehen und nicht zuletzt deshalb die kleinbäuer­lichen Zielgruppe­n nur mangelhaft mit in die Planung einbeziehe­n. »Wir müssen das produktivi­stische, ertragsfix­ierte Denken überwinden und stärker die Qualität von Entwicklun­gshilfe in den Blick nehmen, um Einkommen, Jobs und Nachhaltig­keit in der Landwirtsc­haft zu verbessern«, erklärt Oxfams Agrarexper­tin Marita Wiggerthal­e. Dennoch begrüßt Oxfam, dass Minister Müller seinen Schwerpunk­t auf die Beseitigun­g von Hunger und Mangelernä­hrung legt und dafür auch mehr Geld zur Verfügung stellt.

Deutschlan­d nimmt in der Liste der absolut größten Geber internatio­nal den dritten Platz hinter den USA und Großbritan­nien ein.

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Foto: dpa/Grabowsky Mehr Hilfe ist versproche­n: Entwicklun­gsminister Gerd Müller zu Besuch bei syrischen Flüchtling­en in Libanon.

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