nd.DerTag

In jeder Familie ein krankes Kind

TV-Tipp: »Leiser Tod im Garten Eden. Die Folgen der Golfkriege­s« im Bayerische­n Fernsehen

- Von Roland Etzel

Nicht allein das große Karthago führte drei Kriege, auch die Republik Irak tat das; korrekter gesagt die Gruppe politische­r Abenteurer in der BaathParte­i des Landes um den Präsidente­n Saddam Hussein. Die ersten zwei Kriege 1980-88 gegen die Islamische Republik Iran und 1990/91 gegen das Emirat Kuwait brach der größenwahn­sinnige Saddam selbst vom Zaun, den dritten Waffengang allerdings im Jahre 2003 begannen, unter Zuhilfenah­me von Kriegslüge­n, die USA und Großbritan­nien, im Schlepptau eine »Koalition der Willigen« von Polen bis Usbekistan.

Karthago, so notierten die Geschichts­schreiber, wurde 146 v. u. Z. von Rom zerstört. Auf dass dies für immer so bleibe und in Karthago nie wieder etwas wachse, ließen die Sieger angeblich Salz auf die punische Stadt im heutigen Tunesien streuen...

Wie in der Antike ging auch mehr als 2000 Jahre später in Irak die Geschichte für die Unterlegen­en katastroph­al aus. Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Untergang der Saddam-Macht leiden Iraker heute an teuflische­n Erkrankung­en, deren Ursachen eigentlich ergründbar sind und behandelt werden könnten. Eigentlich.

Viele Dutzend Sendestund­en gab es allein im Vorjahr über das kriegerisc­he Geschehen in Irak, doch die ebenso erschütter­nden wie seltsamen Todesfälle speziell bei Kindern spielten kaum eine Rolle. Um so verdienstv­oller ist es, dass sich Karin Leukefeld und Markus Matzel der Opfer des stillen Todes abseits der Schlagzeil­en angenommen haben. Ihr Film »Leiser Tod im Garten Eden« über die weniger bekannten Folgen der Golfkriege, aufgenomme­n zu Beginn dieses Jahres, also sehr aktuell, beschäftig­t sich mit den zahlreiche­n Sterbefäll­en von Kindern speziell im irakischen Süden.

Dort, wo die Heilige Schrift das Paradies verortete, im »Garten Eden« also, geografisc­h ausgedrück­t in der Region um Basra, haben sich die Autoren umgetan, um dem Phänomen auf die Spur zu kommen. Und es war offenbar so schwer nicht, wenn man es denn wissen will.

Leukefeld, nd-Lesern als jahrelange Nah- und Mittelostk­orresponde­nten unserer Zeitung bekannt, und ihr Kollege Matzel erzählen unaufgereg­t und dennoch beklemmend, warum hier, am Einfallsto­r der US- amerikanis­chen Invasionsa­rmee von 2003, heute besonders viele Kinder sterben; bei manchen Familien, wie Augenzeuge­n berichten, »alle fünf«.

Die US Army hat hier seit den 90er Jahren im Wortsinne schmutzige Krieg geführt: mit abgereiche­rter Uranmuniti­on, mit weißem Phosphor und anderen geächteten Kampfstoff­en; und weil dies zwar nachweisba­r ist, aber dennoch nicht offiziell zugegeben wird, gibt es auch keine Sanktionen, nicht einmal seriöse Nachfragen. Auch die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) verweigert offenbar Einsichten und da- mit Faktenaner­kenntnis, warum zum Beispiel in Nassiriya, einer 250 000Einwohn­er-Stadt, in praktisch jeder Familie ein krankes Kind lebt. Dazu kommen eine katastroph­ale Umweltvers­chmutzung, weil der Kriegsschr­ott jeglicher Art das Trinkwasse­r kontaminie­rt, und andere Missstände. Aber die WHO will darin keine signifikan­ten Auffälligk­eiten sehen und hält »weitere Maßnahmen für nicht erforderli­ch«.

Dr. Jabbar Said-Falyh, Facharzt für Kinder- und Jugendmedi­zin aus Frankfurt am Main, weiß nicht, warum die WHO so handelt. Er hilft einfach. Said-Falyh, der aus Nassiriya stammt, mit 16 Jahren das Land verließ und heute deutscher Staatsbürg­er ist, fährt einmal im Jahr, bepackt mit Medikament­en, in seine Heimatstad­t. Die Eltern mit kranken Kindern erwarten ihn schon. In vielen Fällen kann er allerdings gar nicht helfen, weil ihm die Medizintec­hnik fehlt oder weil es schlicht aussichtsl­os ist; wie bei dem kleinen Jungen, der an Leukämie leidet. Einige der schwersten »Fälle« nimmt Said-Falyh mit nach Hause. Für die Eltern ist der kleine bescheiden­e Doktor oft die letzte Hoffnung.

Von der Bundesregi­erung gibt es keine Unterstütz­ung, erfährt man. Einige Landesregi­erungen und Universitä­ten helfen. Es könnten und sollten aber doch mehr sein. Gewiss, Irak ist auf Grund seiner Ölreserven potenziell eines der reichsten Länder der Erde. Und es war, ehe Saddams unheilvoll­e Kriege es um einen ganze Epoche zurückwarf­en, das höchstentw­ickelte Land des Mittleren Ostens. Doch wie auch immer die Schuldfrag­e bewertet wird – die Kinder in Iraks Süden kann niemand dafür bestrafen wollen. Sie brauchen Hilfe, und dafür ist dieser Film ein unaufdring­liches Plädoyer.

Der Film von Karin Leukefeld und Markus Matzel ist ein unaufdring­liches Plädoyer für mehr Menschlich­keit.

BR, 1.4., 19 Uhr in der Reihe »stationen.Dokumentat­ion«

 ?? Foto: BR/Markus Matzel ?? Im Krieg von 1990/91 wurde von der US-Armee auch mit Uran angereiche­rte Munition verschosse­n. Die Folge: noch heute sind Teile des Landes verseucht.
Foto: BR/Markus Matzel Im Krieg von 1990/91 wurde von der US-Armee auch mit Uran angereiche­rte Munition verschosse­n. Die Folge: noch heute sind Teile des Landes verseucht.

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