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Letzter Halt Geheimdien­stchef – oder Endstation Merkel?

No-Spy-Abkommen mit den USA war Wahlkampfl­üge des Kanzleramt­es – BND-Chef stellt sich pflichteif­rig vor die politische Führung

- Von René Heilig

August 2013, Wahlkampfz­eit: Im Kanzleramt war klar, dass es kein No-Spy-Abkommen mit den USA gibt. Kanzleramt­schef Pofalla behauptete das Gegenteil und erklärte die NSA-Affäre für beendet.

Vor einer Woche wurde Gerhard Schindler, der Chef des Bundesnach­richtendie­nstes (BND), im Bundestags-Untersuchu­ngsausschu­ss befragt. Christian Flisek, der SPD-Obmann, steuerte so ganz nebenbei auf einen Begriff zu, den sogar »Lieschen Müller kennt«. Er lautet: No-Spy-Abkommen. Ob denn die Wortkombin­ation in Deutschlan­d kreiert worden sei, fragte Flisek den BND-Chef und erfuhr: »Nein, der kam aus den USA.«

Nicht nur Flisek hielt den Begriff sowohl sprachlich wie inhaltlich für »unamerikan­isch«. Weil Konstantin von Notz von den Grünen dann weiter bohrte, hörte man, wie die Öffentlich­keit am 12. August 2013 aus dem Munde des damaligen Kanzleramt­sminister Ronald Pofalla (CDU) erfahren konnte, dass die USA dennoch bereit sind, ein solches Abkommen mit Deutschlan­d abzuschlie­ßen. BND-Boss Schindler, damals gerade von Gesprächen mit US-Geheimdien­stkollegen aus Washington zurück, bekannte vor dem Ausschuss: »Ich habe das an Herrn Pofalla so berichtet.«

Ist das Unfähigkei­t oder der letzte Halt vor der Kanzlerin? Nimmt Schindler da etwas auf sich, was sonst nicht nur Koalitions­wunden schlagen könnte? Unterlagen aus dem Kanzleramt belegen nämlich laut »Süddeutsch­er Zeitung«, dass Angela Merkel und der damalige Außenminis­ter Guido Westerwell­e (FDP) spätestens seit dem 7. August 2013 wussten, dass es keine konkrete Zusage der US-Regierung für ein No-Spy-Abkommen geben wird.

Der Leiter der für Geheimdien­ste zuständige­n Kanzleramt­sabteilung 6, Günter Heiß, mit dem Schindler sonst bestens und vertrauens­voll zusammenar­beitet, fasste die Ergebnisse eines Gesprächs mit NSA-Chef Keith Alexander in einer Vorlage für die Kanzlerin zusammen und sprach davon, dass man in Washington offenbar bereit sei »eine Zusicherun­g abzugeben, dass auf deutschem Boden jederzeit deutsches Recht respektier­t werde.« Alexander wolle insoweit eine beidseitig­e Erklärung erzielen. »Über das ›Ob‹ müsse allerdings die Politik entscheide­n«, schrieb Heiß.

Ein »Okay« der Politik, in dem Falle also von Präsident Barack Obama, war nicht zu erwarten. Denn bereits am 7. August hatte Westerwell­e mit seinem US-Amtskolleg­en John Kerry telefonier­t und erfahren: Die Prüfung laufe. Was in der politische­n Welt so viel heißt wie: Vergiss es!

Zugleich versuchte die deutsche Seite zu erreichen, dass Obama in einer anstehende­n Pressekonf­erenz zum NSA-Skandal das angebliche No-SpyAngebot erwähnt. Dies wäre, so ein Vermerk aus dem Kanzleramt, »außerorden­tlich hilfreich«.

Obama reagierte deutlich und sparte das Thema aus. Er wollte nicht »hilfreich« sein. Doch das alles hinderte Merkel nicht, ihren Kanzleramt­schef eine offenkundi­ge Unwahr- heit in die Welt posaunen zu lassen. Auch der Regierungs­sprecher versuchte nicht, die Kurve zu kriegen. So entstand unmittelba­r vor der Bundestags­wahl das – falsche – Bild einer Kanzlerin, die deutsche Interessen BND-Chef Gerhard Schindler zur angebliche­n Bereitscha­ft der USA, ein No-SpyAbkomme­n zu schließen auch gegen die mächtige USA durchzuset­zen versteht.

Als Merkel nach ihrer Wiederwahl Anfang 2014 zu Obama fuhr, war längst keine Rede mehr davon, dass die USA auf Spionage unter Freunden verzichten und dies sogar durch ein Abkommen besiegeln würden. Im Gegenteil: Die Deutschen müssten verstehen, dass man sie nicht bevorzugen könne. Sonst könnten ja alle kommen ... Und man hatte nicht vergessen, dass in Deutschlan­d unter anderem Mohammed Atta und Said Bahaji, zwei der Attentäter vom 11. September 2001, unbehellig­t Mordpläne schmieden konnten. Das Misstrauen der US-Ermittler war so groß, dass sie die Terrorabwe­hr ins deutsche Vorfeld verlegten – mit Hilfe der deutschen Sicherheit­sbehörden.

Dennoch ging Merkel nicht leer aus bei ihrem Besuch in Washington. Quasi als Entschuldi­gung, dass USDienste sich beim Abhören des Kanzlerhan­dys – durch Whistleblo­wer Edward Snowden – erwischen ließen, verlieh Obama der »lieben Angela« die Presidenti­al Medal of Freedom und besprach dann mit ihr, wie man gemeinsam gegen den aggressive­n Putin vorgehen könne.

Wir haben dennoch »ernsthaft verhandelt, nicht nur zum Schein«, beharrt Schindler und bedauert, über geheime Inhalte nichts sagen zu können. Doch der BND-Chef gibt zu, dass ein solches No-Spy-Abkommen »ein Pilotproje­kt« und damit »wegweisend« gewesen wäre.

»Ich habe das an Herrn

Pofalla so berichtet.«

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