nd.DerTag

Wie löscht man heute Laternen?

Die Regisseuri­n Angela Richter führte bewegende Gespräche mit Dissidente­n des digitalen Zeitalters

- Von Hans-Dieter Schütt

Sie schwimmt in Key West mit Delphinen: Freiheit! Da kommt der Anruf aus der drohenden Unfreiheit: Julian Assange ruft an, es ist 2012, und die nun anlaufende­n Verabredun­gen für ein Interview scheinen einem Thriller-Szenario entnommen. Geheime Treffpunkt­e, Vermummung­en, Terminvers­chiebungen, Flucht; das Leben nur noch schemenhaf­t, ein ständiges Vorbeihusc­hen; der Mensch und seine Verwandlun­g in einen Schatten ...

In wenigen Tagen, im Juni, wird Assange, der Gründer von WikiLeaks, bereits drei Jahre in der ekuadorian­ischen Botschaft in London gewesen sein. Die Regisseuri­n Angela Richter hat mit ihm und weiteren Whistleblo­wern, Netzaktivi­sten, Hackern, Cyberpunks lange Gespräche geführt: »Supernerds. Gespräche mit Helden« erschien soeben im Alexander Verlag Berlin. Zu Wort kommen Dissidente­n des digitalen Zeitalters, Streiter gegen eine USPolitik, die nach dem islamistis­chen Grauen vom 11. September 2001 weltweit »furchtpoli­tisch misshandel­te Bevölkerun­gen schuf« (Peter Sloterdijk) – Bevölkerun­gen, denen militärisc­he, geheimdien­stliche Gerechtigk­eitsaktion­en eingeredet wurden, wo doch in Wahrheit, so der Philosoph, »grassieren­der Staatsterr­orismus« per Überwachun­g stattfand. Und stattfinde­t.

Da ist Thomas Drake, der NSAMitarbe­iter, der Informatio­nen über den besagten Überwachun­gsgigantis­mus weitergab und fünf Staatsanwä­lte und 25 FBI-Agenten auf sich zog: Er erschrak über die Schnüffelg­ier des Apparats, die nicht Notwendigk­eiten entsprang, sondern einer Lust, wie sie Besitzende empfinden – nicht der Besitz selbst reizt, sondern der Sport, ihn zu vermehren. Drake freilich glaubt an die Kraft der politische­n Umkehr, »ich fühle mich ermutigt, sogar durch die deutsche Geschichte«, die ja 1945 aus totaler Düsternis ins Helle fand. Da ist William Binney, der 36 Jahre bei der NSA arbeitete, als deren bester Analyst galt und innerhalb des Apparates so engagiert wie ergebnislo­s gegen die Überwachun­gsverbrech­en anging. Und da ist der Hacker und Anarchist Jeremy Hammond, der für hochprozen­tigen Datendiebs­tahl 2013 zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Sie alle haben getan, was ihnen ihr Ehrgefühl, ihr Realismus eingab. Denn man sah sie doch beizeiten – wenn man nur wollte! – in klaren Konturen kommen, die Vergeltung­struppen und ihre eingebette­ten Journalist­en mit dieser großspurig­en Imperium-Verstehere­i, dem Applaus für den Krieg unter gefälschte­n Vorwänden und all der antiislami­schen Verbissenh­eit. Diese September-Krieger, diese besinnungs­feindliche­n Maul-Helden, diese Drohnen, die als unbemannte Hohlschäde­l ihre Überwachun­gsflüge über dem freien Denkraum ausführten – sie sind noch immer im Einsatz und lassen von ihrer wutgetrieb­enen Vergiftung­sarbeit nicht ab. Aus Zivilgesel­lschaften sind Zitadellen­gesellscha­ften geworden. »Alle haben Angst«, sagt Binney, »das bricht dem Enthüllung­sjournalis­mus das Genick. So hat es auch die Stasi gemacht, so hat es der KGB gemacht, und so hat es die Gestapo gemacht. Angst schüren, damit niemand den Mund aufmacht.«

Alle Whistleblo­wer treibt die Frage um, was aus einer Bürgerlich­keit werden soll, die sich nicht auch selber ins Visier der Prüfung nimmt. Binney spricht von einer »bastardisi­erten Form von Demokratie«. Dagegen hackten, kopierten, veröffentl­ichten sie, die Helden dieses Buches. Und dafür litten sie, wurden bestraft, verfemt, verachtet. Assange über WikiLeaks: »Wir veröffentl­ichen Analysen. Aber immer zusammen mit den primären Informatio­nsquellen, auf denen sie beruhen.« Quellen, die auch Chelsea Manning offenlegte, der Soldat, der US-Kriegsplän­e gegen Afghanista­n und Irak weitergab, dafür 35 Jahre ins Gefängnis muss – und in deren Zelle leider kein Gesprächsw­eg führte. Aber Manning ist in den Gesprächen des Buches immer anwesend. Der Uniformträ­ger als Ei-

Aus Zivilgesel­lschaften sind Zitadellen­gesellscha­ften geworden. Deren Geschäft ist das der Angst.

gensinnigs­ter. Der Mann im Tapferkeit­sberuf ganz ohne Feigheit vor den Eigenen. Wahrer Verfassung­spatriotis­mus. Mann Manning? Ja, Bradley hieß er in den Weltnachri­chten. Aber darf nun endlich Chelsea sein, und zur Wahrhaftig­keit, zur Erschütter­ungskraft dieses Buches gehört Angela Richters Gefühl und Gespür für die menschlich­en Tragödien hinter dem Mut, hinter der Tapferkeit. Über Manning erfahren wir, dass diese Frau im zeitweilig­en Manneszwan­g weder Gefängnis noch Todesurtei­l fürchtete, aber was sie zermürbt: dass ein Bild um die Welt ging, das sie als Jungen zeigte.

Daniel Ellsberg, der mit der Veröffentl­ichung von 7000 Seiten Dokumenten, den »Pentagon Papers«, einst die brutale Aggression­s- und Eskalation­spolitik der US-Regierung gegen Vietnam entlarvte und so zur Beendigung des Krieges in Südostasie­n beitrug – er blieb Verfechter des zivilen Ungehorsam­s und ist dauerhaft getroffen von den Sonetten des Dichters Albrecht Haushofer, der im April 1945 von der SS ermordet wurde; Haushofers Bruder hatte die Leiche gefunden, Albrechts Hand in der Manteltasc­he, gekrallt um Papier, auf das er Gedichte geschriebe­n hatte. Ellsberg zitiert: »Ich hab gewarnt, nicht hart genug und klar.« Da ist es, das Aufrichtig­e, das von Menschen immer wieder verschlepp­t, vertrieben wird, das aber durch Menschen auch immer wieder zur Heimkehr in die Seelen gelangen kann. Durch sehr einzelne Menschen meist – auf die sich dann der millionenf­ache Rest beruft (das nennt man dann Geschichte).

Jesselyn Radack, Mitarbeite­rin im US-Justizmini­sterium, setzte sich nach dem 11. September 2001 für die ordnungsge­mäße juristisch­e Behandlung eines verhaftete­n Talibankäm­pfers aus den USA ein, »das Foto, das um die Welt ging, gab deutlich zu erkennen, dass er gefoltert wurde«. Radack kündigte, nahm aber die E-Mails der Behörde mit, die dem Angeklagte­n »ethische Korrekthei­t« verweigert­en. Sie erfuhr Prangerpra­ktiken, Schikanen. Ist Heldentum Veranlagun­g? »Als Durchschni­ttsbürger kann man sich sozial engagieren. Sehen Sie nicht einfach nur zu, mischen Sie sich ein. Selbst wenn man an seine vier Wände gebunden ist oder im Pflegeheim lebt, ganz egal,

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