nd.DerTag

Der Un-Diplomat

- Von Ingolf Bossenz

Ich gestehe, mich schwer geirrt zu haben. Vor gut anderthalb Jahren schrieb ich an dieser Stelle, der neue Kardinalst­aatssekret­är von Papst Franziskus sei »ein mit allen Weihwasser­n gewaschene­r Diplomat«, der wohl kaum »auf internatio­nalem Parkett ausrutsche­n« würde. Mit seinem aktuellen Satz zum Irland-Referendum dürften diese Vorschussl­orbeeren für Kardinal Pietro Parolin verdorrt sein: »Ich glaube, man kann nicht nur von einer Niederlage der christlich­en Prinzipien, sondern von einer Niederlage für die Menschheit sprechen.« Von allem Unsinn, der bislang wider die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe geäußert wurde, hat dieses Diktum des 60-Jährigen beste Chancen, auf einem Spitzenpla­tz zu landen.

Dass die Führung der römischkat­holischen Kirche einen solchen Spitzenpla­tz einfordern würde, überrascht allerdings nicht. Als Benedikt XVI. im September 2011 den Bundestag zu Begeisteru­ngsstürmen ob seiner »ökologisch­en« Rede hinriss, hatte kaum jemand realisiert, dass er mit dem Verweis auf das »Naturrecht« nicht den Grünen huldigte, sondern das katholisch­e Menschenbi­ld umriss: Homosexual­ität kommt darin nur als bedauerlic­he Abirrung vor.

Pietro Parolin, Staatssekr­etär seiner Heiligkeit und somit Defacto-Regierungs­chef des Vatikans, leistete sich somit keinen Fauxpas, auch wenn seine For- mulierung stark im Barock-Bizarren siedelt. Sein (irdischer) Chef Franziskus hatte mit dem auf Homosexuel­le bezogenen Satz »Wir müssen sie mit Barmherzig­keit begleiten« den Ausgrenzun­gskurs der Una Sancta Catholica lediglich fromm verbrämt. Doch gleichgesc­hlechtlich­e Liebe und Lust sind weder Fluch noch Segen, weder Geschenk der Natur noch Ungnade Gottes, auch keine hervorzuhe­bende Leistung (Plakat: »Zeig Respekt für Lesben und Schwule!«), sondern eine Normalität der Evolution. Eine Einsicht, die der katholisch­en Kirche wohl weiter versagt bleibt. Indes: Mit dem kühnen Griff in die volle »Menschheit« steht Parolin einem Erzkritike­r seiner Institutio­n nicht nach. Für Friedrich Nietzsche war das Christentu­m »bisher das größte Unglück der Menschheit«.

 ?? Foto: AFP/Riccardo de Luca ?? Verlässlic­he Stimme seines Herrn: Kardinalst­aatssekret­är Pietro Parolin
Foto: AFP/Riccardo de Luca Verlässlic­he Stimme seines Herrn: Kardinalst­aatssekret­är Pietro Parolin

Newspapers in German

Newspapers from Germany