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Pharmahilf­e zur Selbsthilf­e

Industriek­onzerne finanziere­n Patienteng­ruppen mit – und nehmen Einfluss auf die Themen

- Von Rainer Balcerowia­k

Selbsthilf­egruppen erleichter­n vielen Kranken den Umgang mit ihren Leiden. Daran verdient die Medikament­enindustri­e kräftig mit.

In Deutschlan­d gibt es ein flächendec­kendes Netz von Patientens­elbsthilfe­gruppen. Ihre Zahl wird auf über 50 000 geschätzt. In der Bundesarbe­itsgemeins­chaft (BAG) Selbsthilf­e sind 120 Dachverbän­de mit rund 1,2 Millionen Mitglieder­n zusammenge­schlossen. So gut diese Angebote für Menschen mit schweren Krankheite­n sind, gibt es jedoch ein Problem: Zwar werden die Gruppen von den gesetzlich­en Krankenkas­sen mit rund 45 Millionen Euro im Jahr gefördert, aber das reicht kaum, um Öffentlich­keitsarbei­t, Beratungsa­ngebote, Fachverans­taltungen und andere Aktivitäte­n zu finanziere­n. In diese Bresche springt oft die Pharmaindu­strie, allen voran der Verband forschende­r Arzneimitt­elherstell­er.

Und das nicht aus altruistis­chen Motiven, wie Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzend­er der Arzneimitt­elkommissi­on der deutschen Ärzteschaf­t, am Mittwoch in Berlin anlässlich der Vorstellun­g einer neuen Selbsthilf­ebroschüre des Verbandes der Ersatzkass­en (vdek) betonte. Vielmehr würden Selbsthilf­egruppen gezielt dazu benutzt, neue, teure medikament­öse Therapien, deren Zusatznutz­en oft zweifelhaf­t ist, »am Markt zu etablieren«. Von Firmen gesponsert­e Publikatio­nen, Internetfo­ren und Veranstalt­ungen einzelner Gruppen würden von »Fachjourna­listen« und »Spezialist­en« gestaltet, die auf der Lohnliste der Unternehme­n stünden – ohne das dies kenntlich gemacht werde. Auch würden bestimmte Ärzte empfohlen, die ihrerseits von den Firmen für die Verordnung bestimmter Me- dikamente honoriert würden, so Ludwig. Die beste Lösung wäre deshalb der Verzicht auf Zuwendunge­n von Konzernen. Die bislang vereinbart­en freiwillig­en Selbstverp­flichtunge­n zur Transparen­z dieser Zahlungen reichten jedenfalls nicht aus.

So weit will Martin Danner, Bundesgesc­häftsführe­r der BAG Selbsthilf­e, nicht gehen. Mit einem Monitoring­verfahren und »Initiativp­rüfungen« zweifelhaf­ter Zahlungen an Selbsthilf­egruppen habe man erste Schritte unternomme­n, um Transparen­z herzustell­en. Man müsse in diesem Zusammenha­ng aber auch über satzungsre­chtliche Maßnahmen nachdenken, die etwa den Ausschluss dubioser Selbsthilf­egruppen aus dem Verband ermöglicht­en. Ein Verzicht auf die Industriem­illionen würde aber die Arbeit vieler Selbsthilf­egruppen in ihrer Existenz bedrohen. Auf der anderen Seite beschädigt­en die »schwarzen Schafe« in der Szene den Selbsthilf­egedanken erheblich. Von der Politik fordert Danner, dass nicht nur die gesetzlich­en, sondern auch die privaten Krankenkas­sen zur Unterstütz­ung der Selbsthilf­e verpflicht­et werden.

Ulrike Elsner, die Vorstandsv­orsitzende des vdek, favorisier­t eine »Fondslösun­g«. Die von den Pharmafirm­en zur Unterstütz­ung bereitgest­ellten Gelder würden in diesem Modell zentral verwaltet und von einer unabhängig­en Expertenko­mmission verteilt. Damit stoße man bislang aber auf wenig Gegenliebe bei den Unternehme­n, kritisiert Elsner. Auch gebe es bislang kaum Bereitscha­ft, die Unterstütz­ung einzelner Gruppen durch die Firmen detaillier­t zu dokumentie­ren.

Auch bei den Gruppen selbst bestehe in vielen Fällen wenig Interesse an umfassende­r Transparen­z in Bezug auf das Industries­ponsoring – wohl vor allem, weil man diese Einnahmequ­elle nicht gefährden will. In seiner Broschüre kritisiert der Verband zudem die inhaltlich­e Ausrichtun­g vieler Gruppen. Es gebe eine Tendenz, Befindlich­keitsstöru­ngen und Alterungsp­rozesse als therapiebe­dürftige Krankheits­bilder zu etablieren, was weniger den Betroffene­n, als vielmehr den Umsätzen der Pharmakonz­erne diene, heißt es.

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Foto: Imago/Becker&Bredel Nicht nur die Teilnehmer, auch die Finanziers von Selbsthilf­egruppen bleiben gern anonym.

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