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Überstunde­n hamstern für den Jahresurla­ub

Sozialarbe­iter bei freien Trägern der Jugendarbe­it sind vielfach in unsicheren Arbeitsver­hältnissen beschäftig­t

- Von Christin Odoj

Extrem unsichere Einkommen, unbezahlte Arbeitszei­t und befristete Verträge: Viele Sozialpäda­gogen, die bei freien Trägern in der Jugendhilf­e arbeiten, sind unzufriede­n mit ihrem Job.

Über die Diskussion um flexible Arbeitszei­tmodelle statt der starren acht Stunden Woche kann Harald Weil nur gequält lachen. Er arbeitet seit Jahren in der ambulanten Jugendhilf­e bei einem freien Träger in Spandau und sein Arbeitsall­tag hängt maßgeblich davon ab, wie viele Familien gerade seine Hilfe brauchen. Seine Bezahlung damit auch.

Mal hat Weil einen »entspannte­n Tag«, dann besucht er zwischen acht Uhr morgens und 15 Uhr drei Familien. An anderen Tagen ist er über neun Stunden unterwegs vom Jobcenter übers Familienge­richt bis zum Hausbesuch. Bezahlt werden ihm die Fahrtwege zwischen den einzelnen Stationen nicht und im Gegensatz zu seinen Kollegen im öffentlich­en Dienst bekommt er nur 20 Prozent ihres Gehaltes. »Im Bereich der Jugendhilf­e hat so gut wie kein freier Träger einen Tarifvertr­ag abgeschlos­sen«, sagt Andreas Kraft vom Vorstandsb­ereich Kinder- und Jugendhilf­e bei der Bildungsge­werkschaft GEW Berlin. Bezahlt wird oft nach Stunden, die nicht selten an die Betreuungs­zeiten für die einzelnen Familien gekoppelt sind. Pro Familie sind das etwa 4,5 Stunden in der Woche.

Viele Sozialpäda­gogen bei den mittlerwei­le rund 6000 freien Trägern in der sozialen Arbeit haben sogenannte Sockelarbe­itsverträg­e, d.h. ihnen wird nur eine bestimmte Wochenarbe­itszeit garantiert bezahlt. Alles, was darüber hinausgeht, wird optional als Mehrarbeit vergütet. Die Mitarbeite­r sind also extrem davon abhängig, wie viele Fälle das Jugendamt an den Träger weiterreic­ht. »Das unternehme­rische Risiko wird dabei komplett auf die Mitarbeite­r abgewälzt«, sagt Cécile Schulz, die bei einem Jugendträg­er in Neukölln arbeitet. Seit einiger Zeit soll ihr Träger auch auf Anfrage des Jugendamte­s sogenannte Krisenteam­s stellen, die ad hoc Familien betreuen können. »Dafür müssen wir zusätzlich­e Kapazitäte­n freihalten«, sagt Schulz.

In Zeiten, in denen ein Sozialarbe­iter weniger Familien betreut als sein Arbeitsver­trag ihm garantiert bezahlt, kann es vorkommen, dass sein Arbeitszei­tkonto ins Minus rutscht, erzählt Schulz. Kollegen ließen sich dann ihr Monatsgeha­lt auszahlen, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Die fehlenden Stunden müssen sie nacharbeit­en. »Wir arbeiten in einer sehr unsicheren Arbeitssit­uation und wissen nie, was am Ende des Monats dabei rum kommt. Schwer ist das vor allem, wenn man selbst Familie hat«, sagt Schulz. Einige ihrer KollegInne­n sammeln sich über die Monate Hunderte von Überstunde­n an, um sie für die mauen Zeiten aufzuspare­n. Teilweise kommen bei einigen so bis zu 800 Überstunde­n zusammen.

Es sei auch schon vorgekomme­n, dass Mitarbeite­r Arbeitsver­träge pro Familie erhielten und so über die Jahre mit bis zu 80 verschiede­nen Arbeitsver­trägen hantieren, sagt Sabine Herzig, Referentin für Tarifpolit­ik bei der GEW. Eigentlich ist eine Entlohnung gekoppelt an eine Fallzahl rechtswidr­ig, sagt Andreas Kraft. Zu wenige Kolleginne­n klagen allerdings gegen ihre Arbeitsver­träge, auch aus Angst, den Job zu verlieren. Die Gewerkscha­ft fordert neben einer gerechtere­n Bezahlung, die an den Tariflohn angelehnt ist und unbefriste­ten Arbeitsver­trägen auch, dass der Senat als Kostenträg­er verantwort­ungsvoller auftreten müsse. »Es sollten nur noch Verträge mit den Trägern abgeschlos­sen werden, die mindestens nach Tarif zahlen«, sagt Kraft.

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Foto: imago/Busse

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