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Die Kopftuchve­rbote verschwind­en

Länder reagieren auf BVG-Spruch – Niedersach­sen plant Staatsvert­rag mit Muslimen

- Von Hagen Jung

Nach Bremen will nun auch Niedersach­sen das Kopftuchve­rbot für muslimisch­e Lehrerinne­n abschaffen. Anlass ist das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts (BVG) zu einem Fall in Nordrhein-Westfalen.

»In Niedersach­sen wird es keine Lehrerinne­n mit Kopftuch im Unterricht geben«, hatte noch 2010 der damalige Kultusmini­ster Bernd Busemann (CDU) prophezeit, als Schwarz-Gelb das Land regierte. Die Verheißung des Unionspoli­tikers, mittlerwei­le Landtagspr­äsident, erfüllte sich nur für wenige Jahre, denn: Auch das zweitgrößt­e, mittlerwei­le rot-grün geführte Bundesland wird dem Urteilsspr­uch des Bundesverf­assungsger­ichts folgen, das im März entschiede­n hatte: Ein pauschales Kopftuchve­rbot für Lehrerinne­n im Unterricht ist rechtswidr­ig. Das Tuch sei ein religiöses Symbol, und wer ein solches verbiete, verstoße gegen die Religionsf­reiheit.

Noch im Jahr 2003 hatte es das Verfassung­sgericht den Bundesländ­ern frei gestellt, ob sie an ihren Schulen das Kopftuch erlauben. Acht Länder entschiede­n sich seinerzeit für ein Verbot, darunter auch Bremen und Niedersach­sen.

Am schnellste­n hatte Bremen auf die jüngste Entscheidu­ng aus Karls- ruhe reagiert. Knapp zehn Tage waren seit dem Richterspr­uch vergangen, da schrieb Bildungsse­natorin Eva Quante-Brandt (SPD) den Schulen: Ab sofort dürfen muslimisch­e Lehrerinne­n im Unterricht ein Kopftuch tragen. Ein einfacher Brief genügte, um das Verbot aufzuheben.

Das Bremer Schulgeset­z musste nicht geändert werden, denn das Kopftuch wird darin nicht wörtlich erwähnt, nur die Verpflicht­ung der Schulen zu religiöser Neutralitä­t. Bis zum Urteil der Verfassung­srichter leitete Bremen aus diesem Passus ein Nein zum Kopftuch ab. Nun wird der Paragraf eben – ruck, zuck – andersrum ausgelegt. In dem Sinne, dass das Tragen eines Kopftuchs nicht gegen die Neutralitä­t verstößt.

Niedersach­sen kann und wird wohl auch genau so verfahren. Der Sprecher des Kultusmini­steriums, Sebastian Schumacher, bestätigte dem »nd«: Das Land sei gehalten, die verfassung­sgerichtli­chen Vorgaben umzusetzen und fortan auch das Tragen einer Kopfbedeck­ung aus religiösen Gründen zuzulassen.

Zurzeit, so Schumacher, werde eine »Handreichu­ng« erarbeitet, »um die Schulen über die neue Handhabung zu informiere­n und sie dabei zu unterstütz­en«. Ob und in welcher Weise das Kopftuchth­ema in den seit geraumer Zeit geplanten Staatsvert­rag zwischen dem Land und den Muslimen einfließt? Das werde mit den muslimisch­en Verbänden erörtert, erklärte der Sprecher.

Was der Vertrag im Detail enthalten wird, steht noch nicht fest. Beispielsw­eise Regelungen zu muslimisch­en Feiertagen und zum Religionsu­nterricht sind denkbar. Alle Themen würden eingehend erörtert, noch sei nicht abzusehen, wann die Gespräche zum Abschluss kommen, heißt es aus Hannover.

Schon Monate vor dem Urteil der Bundesverf­assungsric­hter hatten muslimisch­e Verbände gefordert, die Aufhebung des Kopftuchve­rbots möge als wichtiger Punkt in den Staatsvert­rag mit Niedersach­sen aufgenomme­n werden. Dies hatte in den Reihen des Landtags zu Meinungsve­rschiedenh­eiten geführt. So gab es aus der SPD-Fraktion kritische Stimmen zu einer Erlaubnis, das Tuch zu tagen. Nach dem Spruch aus Karlsruhe, so war aus Regierungs­kreisen zu hören, werde es nun leichter fallen, die Kopftuchsa­che trotz des Gemurres einzelner Politiker in den Vertrag aufzunehme­n.

Befasst hatte sich das Verfassung­sgericht mit der Kopftuchfr­age wegen einer Klage, die zwei muslimisch­e Lehrerinne­n aus NordrheinW­estfalen eingereich­t hatten. Auch dort dürfte das Verbot bald kippen. Ein Gesetzentw­urf, der das Tragen des Tuches gestattet, ist laut Auskunft des Kultusmini­steriums bereits auf dem Weg ins Düsseldorf­er Landesparl­ament.

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