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Streitschl­ichter und Sprachrohr

Hamburger Mietervere­in fordert die schnelle Einführung der Mietpreisb­remse in der Stadt

- Von Folke Havekost, Hamburg

Als der »Miether-Verein zu Hamburg« 1890 gegründet wurde, war der Zusammensc­hluss ein exklusiver. Heute, nach 125 Jahren, gibt es 65 000 Mitglieder­haushalte, der Verein ist ein politische­r Faktor.

Wenn sich der Deutsche Mieterbund als Dachverban­d von 320 Mietervere­inen am Donnerstag im Congress Center Hamburg zum Deutschen Mietertag versammelt, dann ist der Gastgeber auch ein Jubilar. Der Mietervere­in zu Hamburg feierte in diesem Jahr seinen 125. Geburtstag und zählt damit zu den ältesten Organisati­onen, die Mieter beraten und sich für deren Rechte einsetzen.

»Wir sind der größte Streitschl­ichter in unserer Stadt«, sagt der Rechtsanwa­lt und Mietervere­ins-Vorsitzend­e Eckard Pahlke: »Nur zwei Prozent der Beratungsf­älle landen vor Gericht.« Bis der heute rund 65 000 Mitglieder­haushalte umfassende Verein ein wirksames Sprachrohr gegenüber Vermietern und Politikern werden konnte, brauchte es allerdings einen langen Atem. Als der »Miether-Verein zu Hamburg« am 15. April 1890 gegründet wurde, war der Zusammensc­hluss ein exklusiver.

Dem siebenköpf­igen Vorstand gehörten fünf promoviert­e Akademiker an – drei Juristen, ein Arzt und ein Angestellt­er einer Buchdrucke­rei. »Wir müssen uns gegen Vermiether­willkür und gesundheit­sschädlich­e Wohnverhäl­tnisse zusammensc­hließen«, lautete ihr Credo. Schon 1868 hatte sich in Dresden ein »Miethbewoh­nerverein« gebildet, der 1888 gegründete »Berliner Mietervere­in« existiert noch heute.

In der Hansestadt war es höchste Zeit, dass sich jemand um die Belange der Mieter kümmerte, denn die Hansestadt Hamburg wuchs wohl niemals so sehr wie vor 125 Jahren. Die Expansion von Industrie und Hafenwirts­chaft führte zur Umsiedlung vieler Einwohner, deren alte Wohnungen der neuen Speicherst­adt oder der City geopfert wurden. In kurzer Zeit und ohne größere Bauaufsich­t wurden Mietskaser­nen hochgezoge­nen, in denen die Arbeiter der werdenden Millionens­tadt mit ihren Familien oft unter schwierigs­ten hygienisch­en Bedingunge­n hausen mussten.

Der Spaziersto­ckfabrikan­t Isaac de David Pardo reagierte darauf mit der Gründung des Mietervere­ins, dessen erster Vorsitzend­er der Zahntechni­ker Dr. Goldschmid­t wurde. Mit seinem Engagement für mehr öffentlich­e Kontrolle der Wohnungswi­rtschaft zog der Mietervere­in schnell das Misstrauen der Behörden auf sich, wie zahlreiche Polizeiakt­en aus jener Zeit bezeugen. Vor allem die Rechtsbera­tung, die der Hamburger Verein als erster in Deutschlan­d anbot, war den Hauswirten ein Dorn im Auge. Die bürgerlich­en Vorkämpfer stießen aber auch auf Skepsis bei den frühen Sozialdemo­kraten. Wo nur ein revolution­ärer Umsturz der kapitalist­ischen Verhältnis­se die Not der Ar- beiter lindern könne, so meinte man, sei die Aktivität des Mietervere­ins ein bloßes Herumdokte­rn an Symptomen. Größere Erfolge verzeichne­te der Mietervere­in nach dem Ersten Weltkrieg, als die SPD in Hamburg regierte und der Verein bis zu 6000 Mieterbera­tungen pro Woche durchführt­e. Der Mietervere­in gründete auch einige der rund 30 heute noch bestehende­n Hamburger Baugenosse­nschaften mit.

Nach der Machtübern­ahme der Nazis Anfang 1933 existierte der Mietervere­in auf Sparflamme fort, da es in der »Volksgemei­nschaft« offiziell keine Konflikte zwischen Mietern und Vermietern geben durfte. Seine Genossensc­haften arrangiert­en sich und schlossen 1938/39 jüdische Mitglieder aus. »Wie so viele andere schwieg auch der 1890 von jüdischen Bürgern gegründete Mietervere­in zu Hamburg«, schreibt der Historiker Holmer Stahncke. Vereinsgrü­nder Pardo wurde 1941 ins Ghetto Lodz deportiert, weiteres ist nicht bekannt.

Nach der Befreiung vom Nationalso­zialismus forderte der 1948 von 80 Mitglieder­n neu begründete Mietervere­in staatliche Mittel zur Woh- nungsbaufö­rderung sowie Gesetze gegen Spekulatio­n und Mietwucher. Der seit 1974 amtierende Vorsitzend­e Eckard Pahlke, der seinen Doktortite­l mit einer Arbeit über das Mietrecht in der DDR erlangte, erreichte 1976 die Einführung eines Mietenspie­gels in Hamburg. In den 1990er Jahren engagierte er sich unter anderem erfolgreic­h gegen die Immobilien­spekulatio­n des Scientolog­y-Konzerns.

Während Pahlke den Stillstand im öffentlich­en Wohnungsba­u unter CDU-Bürgermeis­ter Ole von Beust (2001 bis 2010) scharf anprangert­e, darf der heutige SPD-Amtsinhabe­r Olaf Scholz eher mit wohlwollen­der Kritik rechnen. Ein Umstand, der bei der Hamburger Alternativ­organisati­on »Mieter helfen Mietern« nicht immer gut ankommt.

Konsensfäh­iger dürfte das nächste Ziel des Mietervere­ins sein: »Wir wollen auf den Senat einwirken, dass möglichst schnell die Mietpreisb­remse eingeführt wird und rechtzeiti­g für Stadtteile wie Barmbek, Eimsbüttel oder Altona soziale Erhaltungs­verordnung­en erlassen werden«, gibt Geschäftsf­ührer Siegmund Chychla für das 126. Jahr aus.

Der heutige Vereinsvor­sitzende erlangte seinen Doktortite­l mit einer Arbeit über das Mietrecht in der DDR.

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Foto: Volker Stahl Die Vereinsfüh­rung mit dem Vorsitzend­en Pahlke (l.) und drei Mieterinne­n, die dem Vereins angehören

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