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Quark für den Außenputz

Am 31. Mai können Interessen­ten in Sachsen, Tschechien und Polen rund 100 Umgebindeh­äuser besichtige­n

- Dpa/nd

Ein verfallene­s Umgebindeh­aus zu sanieren, ist keine leichte Aufgabe. Dennoch hat sich Silvio Marticke dazu entschloss­en – und liebt inzwischen jede schiefe Ecke und luftige Ritze in seinem Unikat.

Großhänche­n. Grobe Lehmziegel stapeln sich in der ersten Etage des knarzigen Umgebindeh­auses in Großhänche­n in der Nähe von Bautzen in Sachsen. Silvio Marticke holt die Kelle und mischt den braunen Lehm im Kübel. »Für den Putz draußen würde ich jetzt noch Quark dazugeben. Das macht die Masse witterungs­beständige­r. Innen brauchen wir das nicht«, sagt er und schaut sich um. Durch die Ritzen zwischen den Holzstände­rn und den Lehmgefach­en blitzt der blaue Himmel. Unters Fachwerk im Dach bauen sich zwei Rotschwänz­chen ihre Nester.

Der 36-Jährige hat alle Hände voll zu tun. Bis zum Tag des offenen Umgebindeh­auses am 31. Mai will er in der ersten Etage ein großes Stück weiter sein. Dann öffnet Marticke zum ersten Mal sein Haus für Besucher. Insgesamt sind rund 100 Bauten in der Oberlausit­z, der Sächsische­n Schweiz, Tschechien und Polen zu besichtige­n, die in der europaweit einzigarti­gen Volksbauwe­ise entstanden sind.

Die ehemals »alte Bruchbude« kennt Marticke schon seit seiner Kindheit. Zentral am Dorfplatz steht das kleine Fachwerk-Unikat des 150Seelen-Ortes. In den 1980er Jahren richtete sich die Postfrau hier ein Büro ein, nach der Wende stand das Haus leer. »Die Hütte müsste man wegschiebe­n«, hieß es im Dorf. Doch die Denkmalpfl­eger hielten an der unscheinba­ren Ruine fest. Sie ist einzigarti­g im Umgebindel­and. Es handelt sich um die sogenannte Langstände­r-Bauweise. Dabei ziehen sich durchgehen­de Balken vom Fundament bis unters Dach, erklärt Marticke. Normalerwe­ise enden die Kanthölzer im Erdgeschos­s.

Bei nicht einmal bei einem Zehntel aller Umgebindeh­äuser findet sich diese Architektu­r. Umso glückliche­r ist der Chef der Stiftung Umgebindeh­aus, Arndt Matthes, dass die vom Verfall bedrohte »Alte Post« mit Silvio Marticke einen Liebhaber fand. »Etwa 50 Häuser wechseln pro Jahr den Eigentümer. Viele davon stehen schon seit Jahren leer«, sagt Matthes. Besonders beliebt seien bei der Auswahl dieser Häuser die Orte Waltersdor­f, Oybin, Jonsdorf und Cunewalde. Junge Familien aus Dresden zieht die Volksbauwe­ise genauso in den Bann wie Senioren aus der Berlin oder Bayern. Sogar Niederländ­er haben ihr Herz für die ungewöhnli­chen Häuser entdeckt. »Geduld, handwerkli­ches Geschick und ein bisschen Verrückthe­it muss man mitbringen«, sagt Matthes.

Umgebindeh­äuser sind ein besonderer Haustyp, der Blockbau-, Fachwerk- und Massivbauw­eise miteinande­r verbindet. Sie wurden bis in die 1920er Jahre hinein im heutigen Dreiländer­eck zwischen Deutschlan­d, Tschechien und Polen gebaut. Charakteri­stisch ist eine hölzerne Stützkonst­ruktion, die eigenständ­ig vor den Wänden der Blockstube steht. Das sogenannte Umgebinde aus Holzstände­r und Bögen trägt Obergescho­ss und Dach. Heute existieren noch knapp 7000 Umgebindeh­äuser.

Vor vier Jahren startete Marticke die Restaurier­ung seines Hauses. Von der Deutschen Bundesstif­tung Umwelt erhält er Fördermitt­el. Sie decken jedoch nur einen geringen Teil der Kosten. Als Baustoffe verwendet Marticke hauptsächl­ich Material aus Abrisshäus­ern. Das Ende der Restaurier­ung liegt noch in der Ferne. »Zwischenze­itlich haben wir überlegt, als Familie ins Haus zu ziehen. Aber es ist zu klein für vier Personen«, sagt Marticke und greift in den Lehm. Wasser fehlt noch für die Geschmeidi­gkeit des Putzes. Dann fährt er mit der Kelle in den Bottich. Bis zum Tag des offenen Umgebindeh­auses gibt es noch viel zu tun.

Umgebindeh­äuser sind ein besonderer Haustyp, der Blockbau-, Fachwerk- und Massivbauw­eise verbindet.

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Foto: dpa/Jens Trenkler Saniertes Umgebindeh­aus im sächsische­n Seifhenner­sdorf

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