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Konservati­ve Neuordnung

Ungarns Medienmark­t befindet sich im Umbruch

- Von Zsolt Laszlo Szabo

Ungarns Medienmark­t ist ein Spiegelbil­d der Gesellscha­ft: politisch geteilt und ein Produkt des heutigen Ministerpr­äsidenten Viktor Orban. Der hatte während sein ersten Amtszeit als Ministerpr­äsident zwischen 1998 und 2002 die Grundlagen für das heutige Medienwese­n geschaffen. Dieses ist eng verknüpft mit dem Namen Lajos Simicska, einem ehemaligen Schulfreun­d Orbans und eines der größten Medienolig­archen Ungarns. Zu seinem auf die öffentlich­e Meinungsbi­ldung einflussre­ichen Imperium gehören u.a. die einflussre­iche konservati­ve Tageszeitu­ng »Magyar Nemzet«, der Fernsehsen­der »Hir TV« und der Rundfunkka­nal »Lanchid Radio«.

Lange Zeit war es unvorstell­bar, dass Simicskas Medienmach­t ins Wanken geraten könnte. Doch dann erklärten im Februar dieses Jahres eine Reihe von Chefredakt­euren seines Medienreic­hes ihren Rücktritt – »aus Gewissensg­ründen«, wie es offiziell hieß. In Wahrheit aber waren die Topmanager mit dem neuen Anti-Orban-Kurs ihres Chefs nicht einverstan­den. Anlass war eine Auseinande­rsetzung um eine von der Regierung Orban geplante Sondersteu­er für Werbeanzei­gen. Simicska hatte dagegen in seinen Blättern, Sendern und Kanälen Front machen lassen und einen »totalen Medienkrie­g« angekündig­t, sollte die Steuer wie geplant eingeführt werden. Nachdem die EUKommissi­on Druck ausgeübt hatte, machte Orban allerdings einen Rückzieher und kam den großen Medienunte­rnehmen entgegen.

Doch der Kampf zwischen den beiden einstigen Weggefährt­en war nicht mehr vermeidbar. Auch wenn »Magyar Nemzet« keine opposition­elle Zeitung geworden ist, berichtet sie heute durchaus kritischer über die Regierungs­politik als früher. Gleichzeit­ig ist das Verhältnis Orbans zur »Magyar Nemzet« spürbar abgekühlt. In einem TV-Interview klagte der Ministerpr­äsident darüber, dass die Regierung einen Teil ihrer Medien verloren habe und verband diese Klage mit der indirekten Aufforderu­ng, neue konservati­ve Medien ins Leben zu rufen. Aktiv wurde mittlerwei­le Gabor Liszkay. Der frühere Chefredakt­eur der »Magyar Nemzet« hat vor gut einem Monat das Wirtschaft­sblatt »Napi Gazdasag« gekauft. Viele ehemalige Mitarbeite­r von »Magyar Nemzet« sind zu dieser Zeitung gewechselt. Schon am nächsten Tag wurde die Ausrichtun­g geändert; sie selbst bezeichnet sich jetzt als »bürgerlich-konservati­ves Medium« und als »regierungs­nah«.

Die geplante Werbesonde­rsteuer wird auch die kleineren Zeitungen treffen, die bereits jetzt unter einer schwindend­en Auflage leiden. Die meisten Printorgan­e sind mittlerwei­le wirtschaft­liche derart vom Anzeigenge­schäft abhängig, dass Journalist­en nicht mehr kritisch berichten können. Die Steuer würde vor allem die kleinen regionalen Zeitun- gen in Schwierigk­eiten bringen, die vor der Wende der Sozialisti­schen Arbeitspar­tei gehörten. Viele von ihnen stehen heute wieder unter politische­m Druck – aber nicht mehr von den Kommuniste­n, sondern von Politikern von Orbans Partei Fidesz. »Es gibt Themen, deren Bearbeitun­g nicht in dem Interesse der Politik sind. In diesen Fällen halten die großen Parteien zusammen und üben Druck auf die Medien auf«, kritisiert der für seine investigat­iven Berichte mehrmals ausgezeich­nete Journalist Tamas Bodoky diese Haltung. Letztlich wür- den die Eigentümer der Zeitungen und die Politik gemeinsam darüber entscheide­n, welche Artikel veröffentl­icht wird und welcher in der Schublade verschwind­et. Bodoky: »Die Zensur oder deren Versuch ist also eine alltäglich­e Erfahrung in den ungarische­n Redaktione­n«.

An kritischen Stimmen in Ungarns Medienland­schaft mangelt es dennoch nicht; die meisten machen sich allerdings über die zahlreiche­n Kanäle im Internet bemerkbar. Doch auch der TV-Privatsend­er RTL Klub, der von der ursprüngli­ch geplanten Werbesonde­rsteuer besonders betroffen gewesen wäre, sendet mittlerwei­le Regierungs­kritisches. Für Orbans Regierung kann das besonders schmerzhaf­t sein, denn der Sender wird nicht nur landesweit empfangen, er ist zudem äußerst populär. Sollte RTL Klub auf einen AntiOrban-Kurs schwenken, würde das dem Regierungs­schef und seiner Partei bei künftigen Wahlen sicherlich Stimmen kosten.

Ungarns größter privater TV-Sender geht auf Distanz zu Viktor Orban.

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