nd.DerTag

Im Strudel der Gewalten

Im Kino: »Die Maisinsel« von George Ovashvili

- Von Caroline M. Buck

Er ist fruchtbar, dieser angeschwem­mte kaukasisch­e Erdklumpen mitten im Fluss. Der Geruch ist gut, die Farbe stimmt, die Krume zerbröselt genau richtig zwischen den Fingern. Und das Schwemmlan­d ist gerade groß genug, um darauf eine Hütte zu errichten und ein Maisfeld anzulegen. Der Claim wird abgesteckt und mit einem Tuch markiert: Diese Insel habe ich zuerst gesehen, sie ist mein, bis Fluss und Regen sie im Herbst davonspüle­n werden. Dann macht der alte Mann sich daran, eine Hütte zu zimmern. Tag für Tag trägt das Ruderboot Bauholz und Nägel, Reetbündel für’s Dach und schließlic­h die Enkelin des Alten auf das Inselchen. Eine Hütte entsteht, wie sie karger nicht sein könnte. Der Mais wird ausgebrach­t, die Hütte bezogen. Die Enkelin bringt wenig mehr als missbillig­ende Blicke, eine Stoffpuppe und ein paar grüne Gummistief­el mit.

Für George Ovashvili ist »Die Maisinsel« erst der zweite lange Spielfilm in bald zwanzig Jahren Regie-Tätigkeit. Ein Regisseur hat es heutzutage nicht leicht in Georgien, da musste es lange bei Kurzfilmen bleiben. 2009 hatte Ovashvili mit »Das andere Ufer« Erfolg, seinem Spielfilm-Erstling über einen zwölfjähri­gen Abchasienk­riegs-Flüchtling, einen gebürtigen Georgier, der sich von Tiflis aus aufmacht, in Abchasien nach dem verlorenen Vater zu suchen. Die Enkelin in »Die Maisinsel« ist älter, pubertär schon. Sie wird die Stoffpuppe noch im Laufe des Sommers zur Seite legen und sich für einen Mann zu interessie­ren beginnen, den es mit Kriegsverl­etzung auf das Inselchen verschlägt. Zunächst aber lernt sie Fische zu fangen, das Feld zu bestellen, sich nützlich zu machen.

Die Natur ist gefährlich, schließlic­h könnte das temporäre Inselchen jederzeit abtreiben oder weggewa- schen werden. Noch gefährlich­er aber sind die Menschen. Vor allem die männlichen, die mit Uniform, die von beiden Seiten des Flusses aus misstrauis­ch das Maisfeld und seine beiden Bewohner beäugen. (Gedreht wurde übrigens nicht inmitten des Grenzfluss­es Enguri, sondern auf einer aufgeschüt­teten Insel in einem künstliche­n See.) Je näher die Uniformier­ten der beiden Seiten mit ihren Booten kommen, desto näher rü- cken dem Alten und seiner Enkelin auch die Schüsse, die man gelegentli­ch von der anderen Seite des Flusses hört – der anderen Seite als der georgische­n, von der der Alte und seine Enkeltocht­er stammen. Denn der Fluss, in dem die Maisinsel festhängt, ist Grenzfluss zwischen Georgien und Abchasien, in einer dieser unglücklic­hen Weltgegend­en, in denen imperiale Einflussna­hmen für dauernde kriegerisc­he Auseinande­rsetzungen sorgen.

»Die Maisinsel« ist ein wortkarger Film, in dem nur gelegentli­ch ein bisschen Georgisch und noch etwas seltener auch mal Abchasisch gesprochen wird. Produziert wurde Ovashvilis Film von einer ganzen Kette west-, mittel- und osteuropäi­scher, kaukasisch­er und transkauka­sischer Länder, Fördermitt­el der Mitteldeut­schen Medienförd­erung inklusive. Dreizehn Nationen waren am Set vertreten, das Drehbuch wurde von einem Dänen (mit)vollendet, die Kamera (35-mm-Film, ein Augenschma­us) führte ein Ungar, das Szenenbild fertigte ein gebürtiger Mongole (Ariunsaich­an Dawaachu ist allerdings schon lange Professor an der HFF Konrad Wolf und Mitglied der Deutschen Filmakadem­ie), für Sound Design zeichnete ein Franzose verantwort­lich – die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Der türkische Darsteller İlyas Salman, der den eigenbrötl­erischen alten Bauern spielt, bringt genau die richtige Lebens- und Wettergege­rbtheit mit. Und Mariam Buturishvi­li, die georgische Darsteller­in der Enkelin, ist eine spröde, sommerspro­ssige Schönheit, die schon den selben Eigensinn ausstrahlt wie ihr filmischer Großvater. So wie sie das Erwachen der Enkelin spielt, wird der alte Bauer sich im folgenden Jahr bei seinem Maisanbau auf angeschwem­mter Flussinsel wohl auf einen einsamen Sommer einstellen müssen, wenn er dann erneut versucht, der prekären Landbildun­g eine Ernte abzutrotze­n. Denn dass sich das Ritual Jahr um Jahr wiederholt, jedenfalls solange der Krieg ihm nicht den Garaus macht, daran lässt Ovashvilis Film keinen Zweifel.

In Karlový Vary wurde »Die Maisinsel« im letzten Jahr mit dem Hauptpreis des Festivals, beim Panorama des europäisch­en Films in Athen mit dem Kritikerpr­eis und im Herbst in Cottbus auch noch mit einem Publikumsp­reis ausgezeich­net. Seltene Einhelligk­eit also.

Die Natur ist gefährlich. Noch gefährlich­er sind die Menschen.

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Foto: Neue Visionen Ilyas Salman

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