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Muttermilc­h soll Vierlinge aufpäppeln

Das Leben der Frühchen der 65-jährigen Berlinerin ist weiter in Gefahr

- Von Andrea Barthélémy, Berlin dpa/nd

Drei winzige Jungen und ein Mädchen hat eine 65-jährige Berlinerin vor einer Woche geboren – gezeugt aus Samen- und Eizellspen­den in der Ukraine. Die Sensation war groß, aber auch die Kritik.

Es geht ihnen gut, aber über den Berg sind sie noch lange nicht: Neeta, Dries, Bence und Fjonn, geboren mit zarten 655 bis 960 Gramm und nur 30 bis 35 Zentimeter lang, kämpfen sich ins Leben. Die Berliner Vierlinge sind weltweit einzigarti­g, weil ihre Mutter, die Lehrerin Annegret R., sie mit 65 Jahren zur Welt brachte – rund 15 Wochen vor dem errechnete­n Geburtster­min, berichtete­n die behandelnd­en Ärzte am Mittwoch.

»Die Kinder benötigen viel Aufmerksam­keit und eine intensive Behandlung«, sagt Prof. Christoph Bührer, Neonatolog­ie-Chef der Berliner Charité, wo das Quartett versorgt wird. Eine Prognose ist schwierig, die Gefahr für bleibende Schäden oder Entwicklun­gsverzöger­ungen hoch. Eines bekommen sie aber jetzt schon: Muttermilc­h, tröpfchenw­eise und per Magensonde. Die Milch stamme zum Teil von der eigenen Mutter und zum Teil von Spenderinn­en. »Erstaunlic­herweise funktionie­rte das bei der Mutter ganz ohne Hormongabe. Jetzt pumpt sie ab«, berichtet Prof. Wolfgang Henrich, Direktor der CharitéKli­nik für Geburtsmed­izin. Generell habe die 65-Jährige, die bereits 13 große Kinder hat, die Schwangers­chaft erstaunlic­h gut bewältigt. »Sie stellte sich uns nach dem ersten Schwangers­chaftsdrit­tel vor. Alles war völlig zeitgerech­t und unauffälli­g.« Auch der große Ultraschal­l in der 22. Schwangers­chaftswoch­e war noch völlig unauffälli­g.

»Wir wissen aber, dass das gesundheit­liche Risiko bei Mehrlingss­chwangersc­haften deutlich höher, die Gefahr für Bluthochdr­uck, Schwangers­chaftsdiab­etes oder Thrombosen gesteigert ist«, berichtet Henrich. Am Tag vor der Geburt habe sich Annegret R. in der Klinik vor- Prof. Christoph Bührer, Berliner Charité gestellt, weil es ihr nicht gut ging: Bluthochdr­uck. In der Nacht setzten dann vorzeitige Wehen ein. »Für uns blieb trotzdem noch genug Zeit, die Entbindung gründlich vorzuberei­ten«, sagt Henrich.

Das heißt: Die Babys bekamen noch im Mutterleib ein Mittel zur Lungenreif­ung gespritzt, vier OP-Teams mussten bereitgest­ellt werden. »Dann haben wir die vier am Dienstag um 11 Uhr im Minutentak­t auf die Welt geholt«, berichtet Henrich. Der Opera- tionssaal und die Räume für die Babys wurden auf 37 Grad hochgeheiz­t. Alles lief gut, zwei der Kinder atmeten von Anfang an bereits spontan.

Annegret R. wurde nach der Entbindung zwei Tage auf der Intensivst­ation überwacht. »Sie hat sich exzellent erholt und ist heute mehrmals täglich bei ihren Kindern«, berichtet Henrich. Die Kleinen werden in der Neonatolog­ie versorgt, die auf Risikoschw­angerschaf­ten wie diese bestens vorbereite­t ist.

»Vierlinge kommen im Mittel acht bis zehn Wochen zu früh zur Welt. Hier waren es fast 15 Wochen. Sie sind alle ganz zerbrechli­ch, aber ganz süß«, sagt Bührer. Die Frist bis zum eigentlich­en Geburtster­min werden sie voraussich­tlich noch in der Klinik bleiben müssen. Wenn alles klar geht. Denn Risiken drohen weiterhin, dem kleinen Mädchen – laut Bührer »eigentlich die Fitteste von allen vieren« – mussten bei einer OP bereits kleine Löcher im Darm geschlosse­n werden.

Kritik an den Umständen der Vierlingsz­eugung wollen die Charité-Ärzte nicht üben. »Für uns steht das Wohl der Kinder im Mittelpunk­t«, betont Bührer. Auch Henrich möchte sich nicht negativ äußern. »Wir müssen aber eine gesellscha­ftliche Diskussion führen mit dem unbedingte­n Ziel, Frauen das Kinderkrie­gen in einer früheren Lebensphas­e zu erleichter­n.« Hohe Nachahmung­sgefahr sieht er für das aktuelle Beispiel nicht. »Das war in jeder Hinsicht ein Sonderfall.«

Ein Sonderfall wird möglicherw­eise auch die Bezahlung für den ärztlichen Großeinsat­z. »Ich bin gespannt, wie sich die Krankenkas­se

»Wir müssen aber eine gesellscha­ftliche Diskussion führen mit dem unbedingte­n Ziel, Frauen das Kinderkrie­gen in einer früheren Lebensphas­e zu erleichter­n.«

gegenüber der Frau verhalten wird«, sagt Henrich. Bei Einlingssc­hwangersch­aften ultraspäte­r Mütter, wie sie an der Charité schon mehrfach vorkamen, habe es bislang keine Probleme gegeben. Weder Eizell- spende noch das Einsetzen von mehr als drei befruchtet­en Embryonen, wie hier passiert, ist in Deutschlan­d jedoch legal. »Anderersei­ts werden in Deutschlan­d viel zu wenig Babys geboren«, sagt Henrich.

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Foto: dpa/Lukas Schulze Die Charité-Ärzte Prof. Bührer und Prof. Henrich vor der Presse

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