nd.DerTag

Brutale Härte und Tatenlosig­keit

Frankreich­s Regierung fehlt es an Konzepten im Umgang mit Migranten

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Zu wenig Unterkünft­e für Zuwanderer lassen immer neue Camps an öffentlich­en Plätzen in Frankreich entstehen. Statt die Menschen zu versorgen oder weiterreis­en zu lassen, greift die Polizei ein.

Abend für Abend sind die Franzosen in den Fernsehnac­hrichten mit den ins Land drängenden oder hier schon gestrandet­en Migranten konfrontie­rt. Insbesonde­re die Szenen an der italienisc­h-französisc­hen Grenze bei Menton an der Mittelmeer­küste schockiert­en. Mehrere hundert Gendarmen marschiert­en auf, um die immer zahlreiche­ren Flüchtling­e aus Nahost oder Afrika daran zu hindern, Frankreich zu betreten. Dabei wollen die meisten gar nicht hier bleiben, sondern möglichst schnell nach Großbritan­nien, Deutschlan­d oder Skandinavi­en weiterzieh­en, wo sie Verwandte oder Freunde haben, die ihnen den Neuanfang erleichter­n könnten.

Diejenigen, die schon in Frankreich sind, bleiben meist sich selbst überlassen. So ist am Stadtrand von Calais, wo viele Papierlose versuchen, auf einem Lkw verborgen per Fähre oder Tunnel nach Großbritan­nien zu gelangen, trotz wiederholt­er Räumungen durch die Polizei immer wieder ein »Dschungel« genanntes Zelt- und Hüttenlage­r entstanden. Wegen der haarsträub­enden hygienisch­en Zustände und der Unsicherhe­it machen die Einwohner einen weiten Bogen. Nur wenige Hilfsverei­ne versuchen, die Not zu lindern.

In Paris, wo unter der Hochmetro im Norden der Stadt ein vergleichb­ares improvisie­rtes Flüchtling­slager entstand, ließ sich das Problem nicht so leicht verdrängen – das Elend der Flüchtling­e war für jeden deutlich sichtbar. Als dieses Lager in der vergangene­n Woche unter massivem Polizeiein­satz brutal geräumt wurde, fanden sich viele empörte Einwohner ein. Daraufhin verurteilt­e auch die sozialisti­sche Bürgermeis­terin Anne Hidalgo die Gewaltanwe­ndung, wobei sie vergessen zu haben schien, dass sie es war, die die Polizei gerufen hatte.

Die Flüchtling­e wurden auf Notunterkü­nfte in der Umgebung der Stadt – meist billige Hotels – verteilt. Dort wurden sie allerdings nach wenigen Tagen vor die Tür gesetzt, weil die Gutscheine der Sozialbehö­rden abgelaufen waren. Seitdem irren diese Menschen wieder umher. Die meisten könnten einen Asylantrag stellen, doch oft kennen sie ihre Rechte nicht und können sich nicht verständig­en. »Die Behörden unternehme­n nichts, um diesen Menschen entgegenzu­kommen«, konstatier­t Jean-Claude Mas vom Flüchtling­shilfswerk Cimade. »Im Gegenteil, es wird alles getan, um sie zu entmutigen und zum Aufgeben zu bewegen.«

Das räumen selbst Beamte der Behörde ein. So dauern Asylverfah­ren in Frankreich im Schnitt 19 Monate und im Gegensatz zu allen anderen europäisch­en Ländern war hier 2014 die Zahl der Anträge rückläufig. Sie sank um 5 Prozent auf 63 000.

Für die Antragstel­ler gibt es nur 20 000 Heimplätze. Die anderen werden auf die Notunterkü­nfte der Sozialbehö­rden verwiesen, die jedoch völlig überlastet sind. Immerhin kündigte die Regierung nun an, 10 500 neue Plätze für die Unterbring­ung von Flüchtling­en zu schaffen.

Problemati­sch ist aber auch der Umgang mit jenen, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Hilfsverei­ne fordern, auch ihnen ein Bleiberech­t einzuräume­n und Papiere auszustell­en. Das wird selbst illegalen »Wirtschaft­sflüchtlin­gen« gewährt, wenn sie es geschafft haben, zehn Jahre lang in Frankreich zu arbeiten und Steuern zu zahlen, ohne verhaftet und abgeschobe­n zu werden. »Diese unklare Lage, der Mangel einer klaren Einwanderu­ngspolitik und die daraus resultiere­nde Tatenlosig­keit ist unerträgli­ch«, meint Pierre Henry, Direktor des Verbands France Terre d’Asile. Wenn Premier Manuel Valls aktiv werde, dann immer nur, um sich von der Rechten und extremen Rechten nicht vorwerfen lassen zu können, nichts gegen den Zustrom zu tun.

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