Brutale Härte und Tatenlosigkeit
Frankreichs Regierung fehlt es an Konzepten im Umgang mit Migranten
Zu wenig Unterkünfte für Zuwanderer lassen immer neue Camps an öffentlichen Plätzen in Frankreich entstehen. Statt die Menschen zu versorgen oder weiterreisen zu lassen, greift die Polizei ein.
Abend für Abend sind die Franzosen in den Fernsehnachrichten mit den ins Land drängenden oder hier schon gestrandeten Migranten konfrontiert. Insbesondere die Szenen an der italienisch-französischen Grenze bei Menton an der Mittelmeerküste schockierten. Mehrere hundert Gendarmen marschierten auf, um die immer zahlreicheren Flüchtlinge aus Nahost oder Afrika daran zu hindern, Frankreich zu betreten. Dabei wollen die meisten gar nicht hier bleiben, sondern möglichst schnell nach Großbritannien, Deutschland oder Skandinavien weiterziehen, wo sie Verwandte oder Freunde haben, die ihnen den Neuanfang erleichtern könnten.
Diejenigen, die schon in Frankreich sind, bleiben meist sich selbst überlassen. So ist am Stadtrand von Calais, wo viele Papierlose versuchen, auf einem Lkw verborgen per Fähre oder Tunnel nach Großbritannien zu gelangen, trotz wiederholter Räumungen durch die Polizei immer wieder ein »Dschungel« genanntes Zelt- und Hüttenlager entstanden. Wegen der haarsträubenden hygienischen Zustände und der Unsicherheit machen die Einwohner einen weiten Bogen. Nur wenige Hilfsvereine versuchen, die Not zu lindern.
In Paris, wo unter der Hochmetro im Norden der Stadt ein vergleichbares improvisiertes Flüchtlingslager entstand, ließ sich das Problem nicht so leicht verdrängen – das Elend der Flüchtlinge war für jeden deutlich sichtbar. Als dieses Lager in der vergangenen Woche unter massivem Polizeieinsatz brutal geräumt wurde, fanden sich viele empörte Einwohner ein. Daraufhin verurteilte auch die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo die Gewaltanwendung, wobei sie vergessen zu haben schien, dass sie es war, die die Polizei gerufen hatte.
Die Flüchtlinge wurden auf Notunterkünfte in der Umgebung der Stadt – meist billige Hotels – verteilt. Dort wurden sie allerdings nach wenigen Tagen vor die Tür gesetzt, weil die Gutscheine der Sozialbehörden abgelaufen waren. Seitdem irren diese Menschen wieder umher. Die meisten könnten einen Asylantrag stellen, doch oft kennen sie ihre Rechte nicht und können sich nicht verständigen. »Die Behörden unternehmen nichts, um diesen Menschen entgegenzukommen«, konstatiert Jean-Claude Mas vom Flüchtlingshilfswerk Cimade. »Im Gegenteil, es wird alles getan, um sie zu entmutigen und zum Aufgeben zu bewegen.«
Das räumen selbst Beamte der Behörde ein. So dauern Asylverfahren in Frankreich im Schnitt 19 Monate und im Gegensatz zu allen anderen europäischen Ländern war hier 2014 die Zahl der Anträge rückläufig. Sie sank um 5 Prozent auf 63 000.
Für die Antragsteller gibt es nur 20 000 Heimplätze. Die anderen werden auf die Notunterkünfte der Sozialbehörden verwiesen, die jedoch völlig überlastet sind. Immerhin kündigte die Regierung nun an, 10 500 neue Plätze für die Unterbringung von Flüchtlingen zu schaffen.
Problematisch ist aber auch der Umgang mit jenen, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Hilfsvereine fordern, auch ihnen ein Bleiberecht einzuräumen und Papiere auszustellen. Das wird selbst illegalen »Wirtschaftsflüchtlingen« gewährt, wenn sie es geschafft haben, zehn Jahre lang in Frankreich zu arbeiten und Steuern zu zahlen, ohne verhaftet und abgeschoben zu werden. »Diese unklare Lage, der Mangel einer klaren Einwanderungspolitik und die daraus resultierende Tatenlosigkeit ist unerträglich«, meint Pierre Henry, Direktor des Verbands France Terre d’Asile. Wenn Premier Manuel Valls aktiv werde, dann immer nur, um sich von der Rechten und extremen Rechten nicht vorwerfen lassen zu können, nichts gegen den Zustrom zu tun.