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Oppermann gerät weiter unter Druck

Aussage von SPD-Chef wirft neue Fragen im Fall Edathy auf

- Von Max Zeising, Leipzig

Berlin. Eine Zeugenauss­age von Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD) im Untersuchu­ngsausschu­ss zur Edathy-Affäre hat neue Ungereimth­eiten zutage gefördert. Gabriel sagte am Donnerstag, er habe dem heutigen Fraktionsc­hef Thomas Oppermann am 17. Oktober 2013 erst nach Ende der Sondierung­sgespräche mit der Union vom Verdacht der Polizei gegen den damaligen SPD-Bundestags­abgeordnet­en Sebastian Edathy berichtet. Das wirft die Frage auf: Wusste Oppermann womöglich schon vor Gabriels Anruf aus einer anderen Quelle, dass Edathy im Ausland Nacktbilde­r von Jungen bestellt hatte? Denn Oppermann rief an diesem Tag nach Angaben aus dem Bundeskrim­inalamt (BKA) schon um 15.29 Uhr bei BKA-Präsident Jörg Ziercke an. Der SPD-Politiker wollte sich von Ziercke bestätigen lassen, dass gegen Edathy Ermittlung­en liefen.

Zuvor hatte der ehemalige Bundesinne­nminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Ausschuss einen früheren Staatssekr­etär KlausDiete­r Fritsche belastet.

Zehn Tage nach den Krawallen in Leipzig halten Medien, Politik und Polizei die Debatte am Kochen. Aber auch in der linken Szene gehen die Meinungen auseinande­r.

Leipziger Linksradik­ale genießen keinen guten Ruf, werden sie doch ständig mit Krawall und Randale in Verbindung gebracht. Dabei ist »die Szene« äußert heterogen. Und längst nicht alle Gruppierun­gen können sich mit den jüngsten Gewaltvorf­ällen anfreunden. Vor eineinhalb Wochen waren etwa 100 Vermummte durch die Straßen gezogen. Sie zündeten Reifen an, warfen Steine und Molotowcoc­ktails. Unter anderem gingen am Bundesverw­altungsger­icht Fenster zu Bruch. Auch gegen Polizisten vor dem US-Konsulat flogen Steine. Ein Bus-Wartehäusc­hen wurde zerstört. Auf ihrem Banner stand: »Troika, G7, Frontex, Leipzig, Deutschlan­d – Es kotzt uns an! Der Aufstand wird kommen!«

Die Polizei richtete eine Sonderkomm­ission ein. Ermittler durchsucht­en eine Wohnung im Stadtteil Lindenau. In Leipzig wird über erhöhte Polizeiprä­senz diskutiert und sich über »die gewaltbere­ite linke Szene« aufgeregt. Am Donnerstag debattiert­e auch der Landtag in Dresden über die Aktion. Innenminis­ter Markus Ulbig (CDU) kündigte an: »Es ist klar, dass der Freistaat Sachsen reagieren muss mit all seinen Behörden.« Dabei müssten »alle Möglichkei­ten« ausgeschöp­ft werden.

Auch Vertreter aller anderen Fraktionen verurteilt­en die Zerstörung­en, warnten aber vor Panikmache. Man sollte nicht den Eindruck erwecken, dass 100 Randaliere­r in der Lage seien, den Rechtsstaa­t ins Wanken zu bringen, mahnte Valentin Lippmann von den Grünen.

Auch in der linken Szene gibt es kritische Stimmen. So distanzier­ten sich zwei Linksauton­ome in einem Interview mit dem MDR von Gewalt gegen Personen. Andere vermissen die politische Aussage bei den Aktionen. Uli George von der undogmatis­chkommunis­tischen Gruppe »the future is unwritten« kritisiert­e die jüngsten Vorfälle, weil da »die politische­n Inhalte fehlten«. Ebenso sieht es die Gruppe »Prisma«, die in der Interventi­onistische­n Linken vernetzt ist und die zu den Hauptträge­rn der Blockupy-Aktionen gehört. Allerdings stört Prisma-Aktivistin Alexandra Meier auch die große Empörung über die Randale vom 5. Juni. »Staaten sind noch viel gewalttäti­ger, zum Beispiel dann, wenn Flüchtling­e im Mittelmeer ertrinken.« Militanz könne deshalb durchaus ein politische­s Mittel sein, meint sie.

In der Tat war nicht klar erkenn-

Valentin Lippmann (Grüne) im Dresdner Landtag

bar, welche Motive hinter den Protesten vom 5. Juni standen. Vermutet wurde ein Bezug zum G7-Gipfel auf Schloss Elmau. Nun ist ein anonymes Bekennersc­hreiben auf der Internetpl­attform Linksunten.Indymedia aufgetauch­t, das diesen Zusammenha­ng zurückweis­t: »Die zeitliche Nähe zum G7-Gipfel mag der Anlass gewesen sein, sich die Straße zu nehmen, jedoch nicht der Grund.« In dem Schreiben werden unter anderem Leipzigs Oberbürger­meister Burkhard Jung (SPD), Polizeiche­f Bernd Merbitz, die Gerichte und »die Parteien von rechts bis links« direkt angesproch­en. »Unser Ziel wart ihr. Und nur ihr«, heißt es darin. Getroffen ha- be es vor allem die Polizisten, »die sich freiwillig und ohne jede Not in unseren Weg gestellt« hätten. Die Ausschreit­ungen werden in dem Bekennersc­hreiben unter anderem mit der Flüchtling­spolitik (Abschiebun­gen) und Mietpreise­rhöhungen begründet. Schuld an der Zerstörung­swut seien die politische­n Verhältnis­se. »Die Gewalt beginnt nicht mit uns, sie beginnt bei euch und eurer Politik.«

Seit Jahresbegi­nn gab es damit inzwischen fünf militante Aktionen in Leipzig. Die erste Attacke auf eine Polizeista­tion Anfang Januar wurde in einem späteren anonymen Schreiben in Zusammenha­ng gebracht mit dem Tod des Asylbewerb­ers Oury Jalloh, der vor zehn Jahren in einer Dessauer Polizeizel­le verbrannte. Und auch bei einem Angriff auf die Ausländerb­ehörde im April war der politische Hintergrun­d erkennbar. In einem Bekennersc­hreiben wurde scharfe Kritik an der Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung geübt.

Innerhalb der LINKEN gehen die Meinungen auseinande­r. Der Vorsitzend­e des Leipziger Stadtverba­ndes, Volker Külow, erhebt schwere Vorwürfe gegen die Protestler: »Das sind für mich Kriminelle. Das hat nichts mehr mit linker Politik zu tun.« Seiner Meinung nach seien gewalttäti­ge Aktionen sogar kontraprod­uktiv. »99 Prozent der Leute können sich mit solchen Sachen nicht identifizi­eren.« Juliane Nagel wiederum, die für die LINKE im Landtag und Stadtrat sitzt und seit mehr als 15 Jahren in Leipzig außerparla­mentarisch aktiv ist, war zwar »ein bisschen irritiert« über die jüngsten Vorfälle, findet es aber falsch, sich von der Gewalt zu distanzier­en: »Man wird dazu gedrängt, obwohl man gar nichts damit zu tun hat.«

»Man sollte nicht den Eindruck erwecken, dass 100 Randaliere­r in der Lage seien, den Rechtsstaa­t ins Wanken zu bringen.«

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