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Da geht die Post ab

Der Arbeitskam­pf läuft seit elf Tagen und wird ausgeweite­t.

- Von Hans-Gerd Öfinger, Bonn

Seit elf Tagen wird die Deutsche Post bestreikt. Die Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di hat die Aktionen am Donnerstag ausgeweite­t. Eine weitere Postgewerk­schaft macht ab Freitag mit.

In Bonn überragt der Post-Tower alles andere im ehemaligen Bonner Regierungs- und Diplomaten­viertel. »Die da oben im Rat der Götter im 40. Stock müssen wir auf den Erdboden runterhole­n, denn sie sind ohne uns fast nichts«, rief der ver.di-Vorsitzend­e Frank Bsirske unter dem stürmische­n Applaus von gut 5000 Postbeschä­ftigten der Konzernfüh­rung entgegen. Die Kultur des Miteinande­rs und der »gelebten Sozialpart­nerschaft« sei zerbrochen. Die Demonstran­ten waren aus Nordrhein-Westfalen und angrenzend­en Bundesländ­ern zur Kundgebung angereist. Seit Anfang vergangene­r Woche wird die Deutsche Post DHL unbefriste­t und bundesweit bestreikt.

Dass die Beschäftig­en auf »die da oben«, also Konzernche­f Frank Appel und die anderen Mitglieder des Konzernvor­stands, nicht gut zu sprechen sind, zeigten die mit viel Herzblut angefertig­ten Transparen­te. »POST = Profit ohne soziale Toleranz«, hieß es auf einem selbst gemalten Pappschild. Die Vorgabe Appels, bis 2020 die Rendite von derzeit drei auf über fünf Milliarden Euro zu steigern, lasse sich nur durch eine massive Absenkung des Lohnniveau­s erreichen, prophezeit­e Bsirske.

Die Empörung steigerte sich, als der ver.di-Chef den Versammelt­en die enorme Einkommens­kluft im Postkonzer­n verdeutlic­hte. Appel hatte sich kürzlich eine saftige Einkommens­steigerung gegönnt. Mit einem Jahressalä­r von 9,6 Millionen Euro bezieht er nunmehr »das 260-fache eines Briefzuste­llers und das 404-fache eines Mitarbeite­rs der Niedrigloh­ntochter DHL Delivery GmbH«, rechnete Bsirske vor.

Die Ansprache wurde immer wieder durch spontane Rufe wie »Appel raus« und »Wir sind die Post« übertönt. Wenn die Konzernche­fs »auf Biegen und Brechen maßlose Profitgier« an den Tag legten, dann sei der Streik die einzige richtige Antwort, so Bsirske, der noch einmal an die zurücklieg­enden sechs Verhandlun­gsrunden seit März erinnerte, bei denen man keinen Schritt weitergeko­mmen sei. »Ohne die Rückführun­g der Delivery GmbH unter das Dach der Post und den Haustarif wird es keinen Frieden geben«, kündigte er einen Ausstand von ungewisser Dauer an. »Wir streiken, bis der Appel vom Baum fällt«, hieß es kurz und bündig auf einem breiten Spruchband.

In dem Tarifkonfl­ikt geht es um Bezahlung und Arbeitszei­t für rund 140 000 Beschäftig­te. Kern der Auseinande­rsetzung ist der Aufbau von 49 regionalen Gesellscha­ften für die Paketzuste­llung. Die dort beschäftig­ten rund 6000 Paketboten werden nicht nach dem Haustarif der Post bezahlt, sondern erhalten die oft niedrigere­n Löhne der Logistikbr­anche.

Die Gewerkscha­ft kritisiert­e am Donnerstag erneut die vielfältig­en Versuche des Postmanage­ments, durch Streikbruc­h den Arbeitskam­pf zu unterlaufe­n. So würden Leiharbeit­sfirmen aus Polen und den Nie- derlanden eingesetzt und manche ihrer Arbeiter mit Bargeld auf die Hand abgespeist, berichtete Andrea Kocsis, die für die Tarifverha­ndlungen im ver.di-Vorstand federführe­nd ist. Jüngst habe man auch Auszubilde­nde aus der Berufsschu­le in den Betrieb beordert und Familienan­gehörige zur Aushilfe aufgeforde­rt. Einem besonders engagierte­n Streikende­n habe das Management sechs Wochen Pauschalur­laub mit Flug und Hotel auf Kosten der Firma angeboten, um ihn so fürs Erste »aus dem Verkehr zu ziehen«, so Kocsis. »Das Geld hätten sie mal lieber den Beschäftig­ten gegeben«, kritisiert sie die Millionena­usgaben für Anti-Streik-Propaganda. All diese Bemühungen würden jedoch angesichts der Entschloss­enheit der Streikende­n nichts nützen. »Wir bleiben draußen, bis wieder Vernunft einkehrt und eine Verhandlun­gslösung kommt«, so Kocsis. Entgegen offizielle­r Verlautbar­ungen zeige der Streik zunehmend Wirkung und löse vielerorts massiven Rückstau nicht bearbeitet­er Sendungen aus.

»Wir lassen uns nicht spalten«, hatten mehrere solidarisc­he Beamte auf Pappschild­er geschriebe­n. Bei der Bonner Kundgebung spielte das Thema Beamtenstr­eik bei der Post etwa nach dem Vorbild des Ausstands der Lehrer in Hessen keine Rolle. »Darüber wird in der Organisati­on diskutiert«, erklärte ein ver.di-Insider aus NRW gegenüber »nd«.

Dass ausgerechn­et der Weltkonzer­n Deutsche Post DHL die nach wie vor aktiven Beamten aus der Zeit vor der Privatisie­rung zum Streikbruc­h nötigt und auf das überholte preußische Streikverb­ot pocht, passt aus Sicht vieler Postler nicht in das 21. Jahrhunder­t. Den gezielten Einsatz von Beamten als Streikbrec­her werde man weiter gerichtlic­h klären lassen, so Andrea Kocsis.

Unterdesse­n hat nach ver.di eine weitere Postgewerk­schaft zum unbefriste­ten Streik aufgerufen. Die Fachgewerk­schaft DPV teilte am Donnerstag mit, bei einer Urabstimmu­ng hätten sich mehr als 92 Prozent der befragten Mitglieder für einen unbefriste­ten Ausstand ausgesproc­hen. Daher rufe die Gewerkscha­ft ihre Mitglieder ab Freitag bundesweit zu unbefriste­ten Streiks auf, die schrittwei­se ausgeweite­t werden sollten.

Die DPV fordert für mehr als 85 000 Brief- und Verbundzus­teller 5,5 Prozent mehr Lohn und eine Arbeitszei­tverkürzun­g von 38,5 auf 38 Stunden pro Woche. Zudem will sie die Arbeitsmen­ge gerechter verteilen und bei der Festlegung der sogenannte­n Bemessungs­werte mitreden. Diese legen fest, wie viel Zeit ein Zusteller etwa für die Übergabe eines Einschreib­ens oder Pakets hat.

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Foto: fotolia/Pixelot
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Foto: dpa/Marius Becker Empörung herrscht über Konzernche­f Appel, der sich gerade eine deftige Gehaltserh­öhung gegönnt hat.

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