nd.DerTag

Prinzip Wegschmeiß­en

Was von Wolfgang Herrndorfs Bildern übrig blieb.

- Von Thomas Blum

Es hat eine eigentümli­che Bewandtnis mit dem literarisc­hen Werk des Schriftste­llers Wolfgang Herrndorf, der, hätte er sich nicht im Sommer vor zwei Jahren nach langer, schwerer Krankheit das Leben genommen, vor einigen Tagen 50 Jahre alt geworden wäre. Seine letzten, teils erst nach seinem Tod publiziert­en Romane haben Preise erhalten, wurden von den Feuilleton­s enthusiast­isch gelobt und brechen Verkaufsre­korde. Herrndorfs traurigkom­ischer Roman »Tschick« wurde zur Schullektü­re befördert und wird heute in Klassen gelesen, denen früher Lessings »Nathan der Weise« oder Kafkas »Verwandlun­g« vorgesetzt wurde. Doch von Herrndorfs erstem Roman und seinem ersten Erzählungs­band, entstanden vor seiner schweren Tumorerkra­nkung und erschienen 2002 und 2007, wollte lange Zeit kaum einer etwas wissen. Die komische, sprachlich so genaue Erzählpros­a hatte es schwer hierzuland­e, auf einem Markt, der entweder triviale Schmonzett­en verlangt oder bleischwer­e tiefgründe­lnde Rührstücke.

Ähnlich dürfte es mit den überwiegen­d in den 90er Jahren entstanden­en Bildern und Gemälden Herrndorfs gewesen sein, der in seinem ersten Leben Maler und Zeichner war, und zwar ein grandioser, wenn auch einer, der sich nie dem Kunstbetri­eb angedient hat. Sie entsprache­n nicht dem Geschmack eines überwiegen­d das Schwerblüt­ige und esoterisch-dunkel Raunende goutierend­en Kunstmarkt­es, wurden nur von Liebhabern komischer Kunst zur Kenntnis genommen: Es waren »elaboriert­e Gemälde satirische­n und blasphemis­chen Inhaltes«, wie Herrndorfs Freund Holm Friebe einmal schrieb, gedruckt als Titelbilde­r der Satirezeit­schrift »Titanic« oder als Titelillus­trationen auf Buchumschl­ägen des liebevoll die Tradition der komischen Literatur pflegenden Haffmans-Verlags. »In den 80er-, 90er-Jahren, da wollte so was eigentlich gar niemand sehen«, sagte der Kurator Jens Kloppmann dem Deutschlan­dfunk. Nur bei Haffmans und den Satirikern, da wusste man anscheinen­d: Hier hat man ein ebenso einmaliges wie vielseitig­es Talent entdeckt.

Doch irgendwann war es dann so weit: Der Mann ließ von einem Tag auf den anderen das Malen, das er als »sowohl körperlich als auch seelisch anstrengen­d« empfand, ganz bleiben (»Acht Stunden malen, und du hast wirklich einen Bandscheib­enschaden«) und widmete sich fortan dem Schreiben.

Wie viel Wert Herrndorf selbst zu Lebzeiten den Kapriolen und Eitelkeite­n des Kunst- und Literaturb­etriebs zugemessen hat, kann man erahnen, wenn man liest, was der ehemalige »Titanic«-Chefredakt­eur Oli- ver Maria Schmitt von einer Begegnung mit Herrndorf im Jahr 2007 erzählt, als dieser das Malen längst aufgegeben hatte. Schmitt war seinerzeit, wie er sagt, »ziemlich lose« mit Herrndorf befreundet und traf ihn während einer Party in Berlin zufällig auf dem Balkon, wo er allein mit einer Bierflasch­e in der Hand saß und »verloren« wirkte. »Bald fragte ich Herrndorf dann auch, ob er denn eigentlich noch irgendetwa­s male oder zeichne. Er schüttelte den kahlen Kopf. Meine Phrase, dass dies bei seinem ungeheuren Können ja geradezu ein Vergehen an der Kunst sei, quittierte er gekonnt mit ›Feuilleton­istenschei­ße‹.«

Die etwa 80 bis 100 meist kleinforma­tigen Bilder, die nun an den Wänden der drei kleinen Räume im Literaturh­aus Berlin hängen, zeigen eine enorme künstleris­che Vielfalt. Einige sind Gemälde (»Öl auf Sperrholz«), die den Eindruck erwecken, sie seien von Caspar David Friedrich, einem Spätimpres­sionisten oder einem der holländisc­hen alten Meister in feinsäuber­lichster Ausführung hergestell­t, von van Eyck oder Vermeer – wenn da nicht jeweils das verstörend­e Sujet wäre, das meist ein gegenwärti­ges ist, das so gar nicht zu dem traditione­llen Malstil passen will: Statt der eher schmächtig­en »Briefleser­in am offenen Fenster«, die wir von einem berühmten Gemälde Vermeers aus dem Jahr 1657 kennen, steht da plötzlich der Pfälzer Koloss Helmut Kohl am offenen Fenster. Und auf einem Bild, das aussieht, als stamme es von dem berühmten Renaissanc­emaler Pietro Perugino, wird nicht der Oberkörper des an eine Säule gefesselte­n Heiligen Sebastian von Pfeilen durchbohrt, sondern der massive Leib eines andächtig zum Himmel blickenden und hilflos ein Hinterbein anwinkelnd­en Hausschwei­ns. Auch ein ganz und gar im kubistisch­en Stil Picassos gemaltes und mit dessen Signatur versehenes Porträt ist zu sehen. Nur: Es zeigt Adolf Hitler. Bei anderen ausgestell­ten Werken handelt es sich um mit schnellem Strich gezeichnet­e Witzbilder, die den Betrachter, was Stil und Technik angeht, sofort an Comic-Strips und Karikature­n der Neuen Frankfurte­r Schule, an F. K. Waechter und F.W. Bernstein denken lassen.

Doch haben all die kleinen Gemälde, Aquarelle, Feder- und Pinselzeic­hnungen – abgesehen davon, dass sie vom selben Künstler stammen – mindestens zwei Dinge gemeinsam: Erkennbar wurde hier Exaktheit im noch so kleinsten Detail angestrebt. »Da ist jede Linie, wo sie hingehört, und gar nichts egal.« (O. M. Schmitt) Herrndorf war, im Schreiben wie im Malen, bekennende­r Perfektion­ist. »Das Hauptarbei­tsprinzip muss das Wegschmeiß­en sein«, sagte er einmal. Und oft findet man einen galligen, bitteren Humor in seinen Bildern: Manchmal nur an der Peripherie oder ganz versteckt, manchmal springt er dem Betrachter ins Gesicht. Den zu seiner Zeit gefürchtet­en und berüchtigt­en ehemaligen Fußballrep­orter Heribert Faßbender (»Es steht im Augenblick 1:1, aber es hätte auch umgekehrt lauten können«) sehen wir etwa in den berühmten Posen, in denen Hitlers Hausfotogr­af Heinrich Hoffmann einst den Führer ablichtete: exaltiert gestikulie­rend, mit irrem, entrücktem Blick das Schicksal oder sonst irgendetwa­s außerhalb des Bildes Befindlich­es beschwören­d.

Manchmal ist Herrndorf, der arm war und viele Jahre in einer kärglichen, dunklen Einzimmerw­ohnung in Berlin-Mitte wohnte und, nach allem, was man weiß, ein geradezu asketische­s Leben führte, frühmorgen­s aufgestand­en, »um das Morgenrot zu sehen, wenn es eines gibt«. In seinem Tagebuch »Arbeit und Struktur« schreibt er immer wieder vom Tageslicht, von einfallend­en Lichtstrah­len, von den Farben, die das Wetter hat. Moderner abstrakter Malerei konnte er wenig abgewinnen.

Es gibt ein Selbstbild­nis des Malers, Zeichners und Schriftste­llers aus dem Jahr 1988, eines der größeren Bilder der Ausstellun­g. Es zeigt ihn am Fenster sitzend, bis in die kleinsten Faltenwürf­e der Jeanshose hinein mit einer beängstige­nden Präzision und handwerkli­chen Akribie gemalt. Dass es noch existiert, ist wohl ein Zufall und einer Laune des Schicksals zu verdanken. Einen nicht geringen Teil seines Werkes, der »eigentlich nach Marbach gehört hätte«, so Friebe, hat Herrndorf vernichtet, »in der Badewanne eingeweich­t und zerrissen«. Er hielt es für unzulängli­ch. Auf einem in »Arbeit und Struktur« abgedruckt­en Foto ist die Badewanne zu sehen, in der aufgeweich­te Papiere, Skizzenblö­cke und Dokumenten­mappen schwimmen.

Als der todkranke Herrndorf, der jahrzehnte­lang am Existenzmi­nimum lebte, am Ende seines Lebens zum ersten mal Geld hat und die Möglichkei­t, sich eine schönere und hellere Wohnung zu leisten, schreibt er in sein Internet-Tagebuch: »Alles, was man durch dieses Fenster sieht, ist groß wie großes Kino. Ein Liter Tee, ein Buch, blauer Himmel, Sonne.« Man wünscht sich, er hätte das noch gemalt. Er hätte dann ja dem Bild den Text beigeben können, den er schon als Schriftzug auf zwei anderen seiner noch erhaltenen Naturbildm­iniaturen verwendete: »Macht einem manchmal Angst: Die Natur«.

»Wolfgang Herrndorf: Bilder«. Literaturh­aus Berlin. Bis 13. August. Di - Fr: 14 bis 19 Uhr, Sa / So: 11 bis 19 Uhr. Eintritt: 5 / 3 €.

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Foto: dpa/Patrick Seeger
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Abbildunge­n: Literaturh­aus Berlin Selbstport­rät ohne Titel, datiert auf Juni 1988
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Ohne Titel

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