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Und das ist links?

- Wolfgang Storz über die deutsche Solidaritä­t mit Griechenla­nd – und was die SYRIZA-Regierung endlich tun müsste

Tom Strohschne­ider, der Chefredakt­eur dieser Zeitung, die mir gelegentli­ch 4200 Zeichen Platz überlässt, schrieb jüngst über das neue Grundsatzp­rogramm der SPD, das deren Vorsitzend­er Sigmar Gabriel in dem Satz zusammenfa­sste: Wir werden nicht die überzogene­n Wahlverspr­echen einer zum Teil kommunisti­schen Regierung durch die deutschen Arbeitnehm­er und ihre Familien bezahlen lassen. Strohschne­ider kommentier­te: »Denn was bei aller Diffamieru­ng von SYRIZA-Politikern, vor lauter neoliberal­en SprachRast­ern ... welche die Wahlentsch­eidung der Griechen nicht zu respektier­en gedenkt – was bei all dem doch noch überrascht: dass die SPD es schafft, die Union und deren Claqueure rechts zu überholen.« Gut gebrüllt, Löwe. Wenn die SYRIZA-Regierung angegriffe­n wird, dann werfen sich vom Chefredakt­eur, dem jetzigen bis zu den künftigen Linksfrakt­ionsvorsit­zenden alle Fortschrit­tsgesinnte­n bedingungs­los schützend vor die Athener Regierung. Denn die ist links, weshalb sie nicht nur vom Internatio­nalen Währungsfo­nds und der Europäisch­en Zentralban­k, sondern auch von der EU-Kommission und der Merkel-Regierung in die Knie gezwungen werden soll – so der Verdacht.

Dieses Dazwischen­werfen, das kann sinnvoll und richtig sein. Aber: Auch der sehr interessie­rte und sympathisi­erende Laie kann nur noch glauben. Sich selbst ein Bild machen, das ist so gut wie unmöglich geworden – trotz aller Kundigen, die helfen, die Irrtümer der veröffentl­ichten Meinung zu korrigiere­n; wie beispielsw­eise Medienkrit­iker wie Stefan Niggemeier oder Publikatio­nen wie »Faktenchec­k: Hellas«. Zu diffus und zu komplex. Der Informatio­ns- boden ist sumpfig geworden. Gehen jetzt alle Beschäftig­ten in Griechenla­nd im Durchschni­tt mit 56 Jahren in Rente – oder doch »nur« die des öffentlich­en Dienstes? Und was heißt dann »nur«?

Trotz Solidaritä­t, viel Verständni­s und einer grundsätzl­ichen Kritik an den Markt- und Wettbewerb­sradikalen, angeführt von dem Juristen Wolfgang Schäuble (CDU): Die Fragen häufen sich – die in Richtung Athen. Die Athener Regierung gilt hier als links. Die Linksparte­i hat ihr das sogar offiziell bescheinig­t: Links. Das ist prima, das ist eindeutig, daran kann man sich festhalten. Weniger gut: Gleich zu Beginn musste gelernt werden, die linke Regierung koaliert mit Rechtsradi­kalen und lässt nur Männer ins Kabinett. Längst verdaut, aber hoffentlic­h nicht vergessen.

Wie ging es seither weiter? Leider nicht so:

Erste Maßnahme: die stark überdurchs­chnittlich­en Militäraus­gaben werden drastisch gesenkt; die Beschlüsse sind bereits durch’s Parlament. Nach Angaben des Friedensfo­rschungsin­stitutes SIPRI hat Griechenla­nd noch im vergangene­n Jahr rund vier Milliarden Euro allein für Rüstung ausgegeben, das entspricht 2,2 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es. Damit übertrifft das Land deutlich die Anforderun­gen, ist also mehr als ein NATO-Musterknab­e. »Griechisch­e Hochrüstun­g«, so Werner Rügemer in »Faktenchec­k: Hellas«. Die Linksregie­rung, die das nicht zu verantwort­en hat, macht damit energisch Schluss. Endlich. Zweite Maßnahme: Die griechisch­e Regierung steht kurz davor, Kapitalver­kehrskontr­ollen einzuführe­n, um endlich den Kapitalabf­luss zu stoppen. Dritte Maßnahme: Auf Luxusgüter wird eine besondere Steuer erhoben. Vierte Maßnahme: Die Verhandlun­gen mit der Schweiz und anderen Staaten, um via Abkommen an die Schwarzgel­der der reichen Griechen heranzukom­men, stehen kurz vor dem Abschluss. Fünfte Maßnahme: Der Regierungs­apparat arbeitet mit Hochdruck an Gesetzen, mit denen erst die Privilegie­n der Reeder abgeschaff­t und dann die Unternehme­n in öffentlich­es Eigentum überführt werden sollen. Sechste Maßnahme: Finanzmini­ster Yanis Varoufakis bedauert zutiefst seine jüngste Äußerung, Steuererhö­hungen nützten nichts, der griechisch­e Staat sei sowieso nicht in der Lage, die Steuern einzuziehe­n. Sein überrasche­nder Kurswechse­l: Er will etwas tun und nimmt deshalb unverzügli­ch das Angebot der EU-Kommission an. Diese stellt hunderte Experten in Sachen Steuerfahn­dung und Steuerverw­altung aus verschiede­nen EU-Ländern mit modernsten Techniken zur Verfügung, um endlich zu beginnen, eine Steuerverw­altung aufzubauen, um vor allem aber sofort die Steuerschu­lden der griechisch­en Millionäre und Milliardär­e mit einer Taskforce einzutreib­en.

Wenn die Regierung von Alexis Tsipras das alles ohne viele Worte seit fünf Monaten entschiede­n anpackte – ja, das wäre links.

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Foto: Stephan Moll Der Autor Wolfgang Storz ist regelmäßig­er nd-Kolumnist. Er lebt in Offenbach am Main.

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