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Die heimliche Annäherung trägt Früchte

Informelle Gespräche zwischen der Hamas und Israel / Überrasche­nde Erleichter­ungen für Palästinen­ser

- Von Oliver Eberhardt

Israel und die Hamas verhandeln über eine langfristi­ge Waffenruhe; Beschränku­ngen für die Palästinen­ser im Westjordan­land wurden aufgehoben. Palästinas Einheitsre­gierung ist endgültig gescheiter­t.

Es waren harte Tage für Abdullah alKhalili und seine Familie: »Wir haben geputzt, Waren bestellt«, sagt er, und fügt hinzu, er hoffe, dass nun auch die Kunden kommen können. Denn das Geschäft seiner Familie liegt in der Altstadt von Hebron.

15 Jahre lang war hier nichts – außer herunter gelassenen Jalousien aus Metall; nach dem Beginn der zweiten Intifada Ende 2000 hatten die Läden in der einst belebten Altstadt auf Anordnung des israelisch­en Militärs schließen müssen, um die Palästinen­ser von den gut 500 israelisch­en Siedlern fern zu halten, die nur wenige Meter weiter leben. Die Altstadt wurde deshalb zur Geistersta­dt.

Bis zu dieser Woche. Völlig überrasche­nd bekamen 70 der Ladenbesit­zer die Mitteilung, die Läden dürften nun wieder geöffnet werden. Warum jetzt, warum diese Besitzer und nicht die anderen – das sind Fragen, die weder das Militär noch Israels Regierung beantworte­n.

Und das, obwohl die Ladenöffnu­ngen in Hebron Teil eines Maßnahmenp­akets sind, das es in diesem Umfang bislang noch nicht gegeben hat: Viele Straßenspe­rren im Westjordan­land wurden aufgehoben, palästinen­sische Ärzte, die in Israel oder in Ost-Jerusalem arbeiten, dürfen erstmals mit in Palästina zugelassen­en Autos in Israel unterwegs sein. In Teilen des durch Israel annektiert­en Jerusaleme­r Ostens sorgen nun palästinen­sische Polizisten für Ordnung. Außerdem wurde die Menge gelieferte­n Wassers in die palästinen­sischen Gebiete erhöht; aus dem Gazastreif­en dürfen Waren nach Israel eingeführt werden. Die Liste ist nicht vollständi­g.

Gleichzeit­ig wurde bekannt, dass Israels Regierung und die Hamas bereits seit einiger Zeit direkt und indirekt miteinande­r über einen lang- fristigen Waffenstil­lstand verhandeln; fünf Jahre stehen im Raum. Gleichzeit­ig hatte Ägypten das Verbot der Hamas aufgehoben, das nach dem Machtwechs­el in Kairo verhängt worden war. Der Hamas war vorgeworfe­n worden, die verbotene Muslimbrud­erschaft zu unterstütz­en.

Die Hamas hat nun auch wieder Zugriff auf ihre Konten, denn der Geldverkeh­r aus dem Gazastreif­en wird über Ägypten abgewickel­t. Außerdem wurde die Grenze erstmals seit Monaten wieder geöffnet; mehrere Hundert Tonnen Zement wurden so bereits nach Gaza geliefert.

Zwar betont Israels Regierung in diesen Tagen immer wieder, es handele sich dabei um einseitige Schritte, die nicht durch ein Entgegenko­mmen der Palästinen­ser gedeckt seien: Doch der Umfang widerspric­ht dem ebenso wie die Tatsache, dass der Zement in Ägypten überhaupt so kurzfristi­g verfügbar ist.

Mitarbeite­r des israelisch­en Außenminis­teriums berichten, die Maßnahmen und Verhandlun­gen sollten vor allem dazu dienen, die internatio­nale Isolation zu durchbrech­en: Frankreich will demnächst einen Resolution­sentwurf in den UNO-Sicherheit­srat einbringen, in dem ein Zeitplan für die Aushandlun­g eines Friedensve­rtrages festgelegt werden soll. Und ein Veto der USA dagegen gilt nicht mehr als gesetzt: Nach der Bildung einer rechtsreli­giösen Regierung in Israel, die sich Siedlungsb­au und massive Einschränk­ungen der Bürgerrech­te in den Koalitions­vertrag geschriebe­n hat, sitzt der Frust dort tief. Selbst die Israel-Lobby AIPAC ist auf Distanz gegangen.

Sowohl die israelisch­e als auch die palästinen­sische Politik reagierte auf die Entwicklun­gen mit gemischten Gefühlen. In Palästina trat die Einheitsre­gierung, die im Juni 2014 nach langen Verhandlun­gen zwischen Hamas und der Fatah von Präsident Mahmud Abbas gebildet worden war, offiziell zurück – ein symbolisch­er Schritt, denn tatsächlic­h hatte sie im Gazastreif­en nie Einfluss. Dort regiert eine Schattenre­gierung der Hamas, die sich auf die Kassam-Brigaden stützt. Die Hamas habe durch ihre Verhandlun­gen mit Israel gegen die Einheitsre­gierung gearbeitet, sagt Regierungs­chef Rami Hamdallah.

Für die Hamas-Herrschaft in Gaza birgt die Annäherung an Israel aber auch Gefahren: Vor allem eine Gruppierun­g, die sich dem Islamische­n Staat angeschlos­sen hat, gewinnt an Zulauf; mehrmals wurden in den vergangene­n Wochen Raketen auf Israel abgeschoss­en.

Israels Opposition­sführer Jitzhak Herzog begrüßte die Erleichter­ungen und fordert ebenso wie die linksliber­ale Partei Meretz noch weiter gehende Schritte: »Wenn das geht, dann gehen auch Verhandlun­gen.« Naftali Bennett von der Siedlerpar­tei »Jüdisches Heim«, die die Regierung jederzeit stürzen kann, kritisiert­e hingegen, dies widersprec­he den Vereinbaru­ngen; Regierungs­chef Benjamin Netanjahu solle lieber sofort die Genehmigun­gen für weiteren Siedlungsb­au erteilen.

Netanjahu scheint das allerdings mittlerwei­le egal zu sein. Am Donnerstag fragten seine Berater erneut bei Herzogs Zionistisc­her Union wegen einer Regierungs­beteiligun­g an.

 ?? Foto: dpa/Alaa Badarneh ?? Palästinen­ser in Nablus im Westjordan­land forderten am Mittwoch die Freilassun­g von 5600 in Israel gefangenen Landsleute­n.
Foto: dpa/Alaa Badarneh Palästinen­ser in Nablus im Westjordan­land forderten am Mittwoch die Freilassun­g von 5600 in Israel gefangenen Landsleute­n.

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