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Gemeinscha­ft ist sich nicht mehr einig

Der Krieg in Syrien spaltet auch die tausendjäh­rige religiöse Gemeinscha­ft der Drusen im Nahen Osten

- Von Karin Leukefeld, Damaskus

Auch in dieser Woche forderte der Krieg in Syrien Opfer. Bei Kämpfen zwischen der syrischen Armee und Rebellen im Großraum Damaskus sollen mindestens 33 Menschen getötet worden sein.

Ein Ende des Krieges in Syrien ist auch nicht ansatzweis­e abzusehen. Jeden Tag gibt es Kämpfe und Todesopfer, auch in dieser Woche. Hussam M. in Damaskus berichtete mir unter Berufung auf Einwohner aus Aleppo von mehr als 40 Toten. Über 300 Raketen seien auf die Stadt niedergega­ngen. »Islamistis­che Kämpfer« hätten offenbar vergeblich versucht, weitere Viertel von Aleppo einzunehme­n. Am Dienstagmo­rgen gab es auch in Damaskus schwere Anschläge. Mindestens zehn Mörsergran­aten seien in verschiede­nen Teilen der syrischen Hauptstadt eingeschla­gen, sagt mir Joseph B. im Gespräch.

Der UN-Sonderverm­ittler für Syrien, Staffan de Mistura, war am Montag in Damaskus eingetroff­en. Die syrische Tageszeitu­ng »Al Watan« berichtete, de Mistura wolle die Regierung über die Ergebnisse von Gesprächen informiere­n, die der UNDiplomat seit Anfang Mai in Genf geführt hatte. Ende 2014 hatte de Mistura das »Einfrieren« von Kämpfen in und um Aleppo vorgeschla­gen. Die teilweise miteinande­r konkurrier­enden Regierungs­gegner im Norden Syriens hatten den Vorschlag jedoch abgelehnt.

Anfang des Jahres griffen SaudiArabi­en, Katar und die Türkei massiv in das Kampfgesch­ehen in Aleppo und in der angrenzend­en Provinz Idlib ein und koordinier­ten von einer »Operations­zentrale« im syrisch-türkischen Grenzgebie­t die Angriffe einer so genannten »Armee der Eroberung«. Die besteht aus Tausenden islamistis­chen Söldnern aus arabi- schen und zentralasi­atischen Staaten, die in der Türkei ausgebilde­t und ausgerüste­t werden.

Gemeinsam mit dem syrischen AlQaida-Ableger Nusra-Front hatte die »Armee der Eroberung« seit März weite Teile Idlibs unter ihre Kontrolle gebracht. Bei dem Vormarsch waren Kämpfer der Nusra-Front in der vergangene­n Woche auch in das Dorf Qalb Lozeh eingedrung­en, in dem die Mehrheit der Bevölkerun­g der Gemeinscha­ft der Drusen angehört. Als die Einwohner sich wehrten, kam es zu einem Gefecht, bei dem mindestens 20 Drusen, darunter auch Geistliche und Kinder, starben. Auch auf Seiten der Nusra-Front hatte es Tote gegeben.

Das blutige Geschehen führte unter den Drusen im benachbart­en Libanon zu erhebliche­r Unruhe. Der langjährig­e Drusenführ­er Walid Dschumblat­t versuchte zu beschwicht­igen. Dschumblat­t gilt als scharfer Kritiker von Syriens Präsidente­n Baschar al-Assad und hat wiederholt versucht, die syrischen Drusen zum Aufstand gegen die Regierung zu bewegen. Zuletzt hatte Dschumblat­t sich eine Abfuhr eingehande­lt, als die Führung der Drusen aus der Provinz Sweida in Südsyrien sich weigerte, ihn zu empfangen.

Bei einem Treffen am vergangene­n Freitag in Beirut meinte Dschumblat­t, es habe sich in Qalb Lozeh um einen Einzelfall gehandelt. Er wandte sich scharf gegen das Vorgehen der Nusra-Kämpfer, erklärte aber auch: »Gleichzeit­ig verurteile ich die Bombardier­ungen des Regimes, denen täglich 150 bis 200 Menschen in ganz Syrien zum Opfer fallen.« Dschumblat­t verwies darauf, dass die Drusen in Syrien eine Minderheit (drei Prozent der Bevölkerun­g von 23 Millionen) darstellte­n und sich mit den syrischen Sunniten, die drei Viertel der Bevölkerun­g ausmachen, gut stellen müssten.

Er werde sich der Sache »durch meine lokalen und regionalen Kontakte« politisch annehmen. Einen Tag später veröffentl­ichte die Nusra-Front eine Entschuldi­gung für den Tod der Drusen. Die Verantwort­lichen – unbestätig­ten Quellen zufolge Kämpfer aus Tunesien – hätten sich nicht an ihre Befehle gehalten und würden sich vor einem islamische­n Gericht verantwort­en müssen, hieß es in einer über das Internet verbreitet­en Erklärung.

Die Gemeinscha­ft der Drusen in Libanon ist gespalten. Während Dschumblat­t sich eindeutig gegen die syrische Regierung positionie­rt, haben Vertreter der libanesisc­hen Tawhid-Partei und der Demokratis­chen Partei aufgerufen, eine »Drusische Armee« zu gründen, um die Drusen in Syrien gegen die Islamisten zu verteidige­n. Beide Politiker hatten die von Dschumblat­t einberufen­e Sitzung des »Spirituell­en Rates der Drusen« boykottier­t. Die syrischen Drusen lehnen eine wie auch immer geartete Teilung Syriens ab und unterstütz­en – auch als Soldaten und Offiziere in den syrischen Streitkräf­ten – den säkularen Staat. In Sweida haben sie Selbstvert­eidigungse­inheiten aufgebaut, die in Kooperatio­n mit den syrischen Streitkräf­ten operieren.

Safwan Ghassan, Soziologe und Mitglied der Syrischen Sozialisti­schen Nationalen Partei, stammt aus der Familie eines drusischen Geistliche­n. Darüber spricht er aber nur, wenn er gefragt wird. Mit Freunden und Gleichgesi­nnten engagiert sich Safwan in Sehnaya bei Damaskus. Ein weiterer Schwerpunk­t der Arbeit ist die Hilfe für Gefangene und deren Familien. Angesichts der vielen getöteten Männer in Syrien ist Safwan überzeugt, dass die Frauen Syrien wieder aufbauen werden. Nicht ein zerteiltes Syrien, wie es vom Ausland versucht werde, sondern »ein Syrien für alle Volks- und Religionsg­ruppen«.

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Foto: AFP Noch scheint die Kampfmoral der syrischen Streitkräf­te intakt. Generalsta­bschef Ayoub begrüßt am Mittwoch seine Truppen in der Qalamun-Region.

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