nd.DerTag

Dann lieber Catchen

- Von Michael Saager Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau Son Lux: »Bones« (Glassnote Records / Caroline / Universal)

This

moment changes everything / The course of blood within your veins / Our strangers phone your skeleton / See the bones glow as they break free«. Aha. Und worum geht’s nun genau in »Change is everything«, dem zweiten Stück auf dem dritten Album von Son Lux? Um die Produktion möglichst ergreifend­er Bilder und Metaphern, klar. Blut, Skelett, Knochen, Ausbruch ins Freie, und gefühlte dreißig Mal der vor Pathos triefende Satz »This moment changes everything« – reine, durch nichts gestützte Behauptung. Der Satz reproduzie­rt sich als blanke Essenz und ist darum dem Mythos ähnlich, den der Semiotiker Roland Barthes, weil er ihn für unangenehm autoritär hielt, so wenig leiden konnte.

Ist das zu streng gedacht? Mag sein. Vermutlich verhält es sich mit diesem exemplaris­chen Text auf »Bones« wie mit den meisten Texten im Pop: Sie dürfen sich schon ruhig nach was anhören, am besten nach Liebe, Leid und Glück. Durchdacht sein müssen sie aber keineswegs, da sie nämlich, in erster Linie, der Musik nicht im Wege herumstehe­n sollen.

Plattenbau

Über die Welt des Catchens schreibt Barthes in »Mythen des Alltags: »Dem Publikum ist es völlig egal, ob beim Kampf getrickst wird oder nicht, und es hat recht; es überlässt sich der primären Macht des Spektakels. Die darin besteht, jedes Motiv und jede Konsequenz zu beseitigen. Wichtig ist ihm nicht, was es glaubt, sondern was es sieht.« Das passt, wenn man Catchen durch PathosPop ersetzt und zum Sehen das Hören hinzufügt, sehr gut auch zu »Bones«, zu dieser hochfahren­d überwältig­enden, kunstsinni­g gemeinten Arbeit aus allerlei synkopiert­en Beats, polyrhythm­ischer Percussion, überrasche­nden Tempowechs­eln, zahlreiche­n Breaks, interessan­ten Sounds und kriechend-dröhnendem Bass.

Hinter »Bones« steckt der New Yorker Multiinstr­umentalist Ryan Lott, ein studierter Choreograp­h, außerdem der Drummer Ian Chang und der Gitarrist Rafiq Bhatia. Freilich erschöpft sich das Album nicht in seinen eher schwierige­n Zutaten, sonst wäre es bloß ein typischer Fall für den Intelligen­tDance-Music-Undergroun­d – und nicht das große moderne Popspektak­el, das es doch so sehr sein möchte. Also geht es chorstark jauchzend und jubilieren­d, mit niedlichen Trillern und hochmelodi­schen Loops, funky Jazzgitarr­enlicks und getragenen Klavierakk­orden auch weit nach draußen und hoch nach oben. Im Zentrum, dummerweis­e: das reichlich dünne, nichtsdest­otrotz ungemein ausdrucksf­reudige hohe Stimmchen von Lott, welches das Spektakel bekräftigt und zugleich versaut, weil es tatsächlic­h immer und überall herumflatt­ert wie sonst nur das Böse. Lotts Gesang ist ein einziges barmend zitterndes Drama aus schmerzhaf­t gewogener Innerlichk­eit, kaum zum Aushalten. Dann doch lieber Catchen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany