»La Nueve« – die neunte Kompanie
Ein Comic von Paco Roca ehrt die spanischen Kämpfer der Anti-Hitler-Koalition
Viele Spanier haben gegen Hitler gekämpft, aber unser Opfer ist nie gewürdigt worden. Ich bin 94 Jahre alt und die meisten meiner Gefährten sind bereits gestorben, ohne jede Anerkennung.« Der das sagt ist ein erfundener Charakter, doch was er erzählt, ist eng an historische Ereignisse angelehnt – Ereignisse, die auch heute noch wichtig sind, von der Geschichtsschreibung aber bis vor relativ Kurzem eher unterschlagen wurden.
In seinem soeben erschienenen grafischen Roman »Die Heimatlosen« fährt der spanische Comic-Autor Paco Roca nach Frankreich, um einen alten Spanier auf seine Vergangenheit anzusprechen. Es geht um die Lebens- und Leidenswege republiktreuer spanischer Männer, die erfolglos gegen den Militärputsch von General Franco kämpften und dann über Umwege in einer französischen Panzerdivision landeten, die Teil der alliierten Streitkräfte gegen die Nazis war. Die leidenschaftlichen Antifaschisten waren Frontkämpfer und an der Befreiung von Paris beteiligt, das letzte Häuflein schaffte es sogar bis zu Hitlers Bunker – doch nach dem Sieg waren sie dem offiziellen Frankreich wieder ähnlich egal, wie vor dem Krieg; und ihr eigentliches Ziel, der Sturz der Franco-Diktatur, blieb ihnen verwehrt.
Aus diesem Stoff hat Paco Roca eine spannende und faktengesättigte Abenteuergeschichte gemacht. Er habe sich im Lauf der Arbeit an dem Buch zu einem faktenorientierten Ansatz entschieden, sagt er in einem Interview mit dem Comic-Magazin »Alfonz«. Zum Glück gibt es mittlerweile Material, das die spanischen Kämpfer in der vom späteren französischen Präsidenten Charles de Gaulle befohlenen Armee des »Freien Frankreichs« beleuchtet. Dazu gehört auch ein französischer Dokumentarfilm von 2004 über die Panzerkompanie Nummer neun, deren 160 Mitglieder fast alle Spanier waren und die deshalb bei ihrem spanischen Namen »La Nueve« genannt wurde. Der Film von Alberto Marquardt mit dem Titel »La Nueve, ou les oubliés de la victoire« ist auf Youtube ansehbar.
Ausgehend von der ersten Ehrung der spanischen Kämpfer in Paris im August 2004, also 60 Jahre nach der Befreiung Frankreichs von der Naziokkupation, als es nur noch zwei Überlebende jener Kompanie gibt, erzählt die Fernsehdoku die Ge- schichte dieser tragischen schisten.
Als 1939 Francos Sieg über die Republik feststeht, flüchten 500 000 Menschen über die Pyrenäen nach Frankreich, darunter 150 000 Soldaten der Madrider Volksfrontregierung. »Frankreich empfängt sie schlecht, weil sie den mit Hitler im Münchener Abkommen geschlossenen Frieden belasten.« Die vielerorts als »Rote« verschrienen Ankömmlinge vegetieren in Lagern, die sie selbst aufbauen mussten, vor sich hin; viele gehen irgendwann zurück in die Heimat und werden zum Teil vom Franco-Regime umgebracht. 10 000 Männer wählen die Fremdenlegion, andere gehen in Arbeitslager. Nachdem
Antifa- Frankreich 1940 schnell vor den Nazis kapituliert, verweigert es den spanischen Kämpfern den Kombattantenstatus, wodurch sie nicht als Kriegsgefangene gelten. Dem Dokumentarfilmer Marquardt zufolge sind die ersten Menschen, die aus Frankreich in ein Nazi-KZ deportiert werden, 7500 spanische Soldaten. 6000 von ihnen werden im deutschen KZ Mauthausen sterben. Gleichzeitig seien unter den 2000 Soldaten, die sich im Londoner Exil de Gaulle anschließen, 300 Spanier gewesen.
Als die Alliierten in Nordafrika aktiv werden und die dortigen französischen Kolonialbehörden sich auf ihre Seite schlagen, schließen sich viele Spanier und andere Antifa- schisten, die in der Fremdenlegion dienen oder in mörderischen Arbeitslagern schuften, der Armee des Generals Leclerc an. Er führt aus dem Tschad Truppen des »freien Frankreichs« zum Kampf gegen Rommels Afrika-Korps. Buch und Film halten fest, dass im französischen Gedenken nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur die europäischen Antifaschisten im Dienst des französischen Militärs aus dem Gedächtnis verschwindet, sondern auch das verdienstvolle Tschad-Korps, eine Befreiungsarmee der ersten Stunde. Es durfte gar nicht erst mit nach Europa, weil angeblich die Amerikaner keine Afrikaner bei der Befreiung dabeihaben wollen.
Die französische Panzerdivision mit den vielen europäischen Antifaschisten hingegen wird nach dem Sieg über die Nazis in Nordafrika nach England gebracht und dort endlich an zeitgemäßen Waffen ausgebildet, um dann am 4. August 1944 in Frankreich zu landen. Sie erhält von de Gaulle den Sonderbefehl, vor den Amerikanern in Paris zu sein. »La Nueve« wird als kampferprobte Truppe geschätzt, schließlich haben die Soldaten sowohl gegen Franco, als auch gegen Rommel Erfahrung gesammelt. Nach drei Wochen und etlichen Verlusten ist es dann tatsächlich eine Vorhut dieser Kompanie, die als erste beim Pariser Rathaus ankommt, das von Aufständischen gehalten wird. Der spanische Leutnant Granell landet auf dem Foto, das am nächsten Tag die triumphierenden Titelseiten der französischen Zeitungen schmückt. Bei der folgenden Parade auf der ChampsElysées sind hinter dem voranschreitenden de Gaulle die Schützenpanzer von »La Nueve« zu sehen, die diesen Ehrenplatz nicht zufällig zugeteilt bekommt.
All das zeichnet Paco Roca nach. Die Schauplätze und drastischen Situationen kommen dem Buch zugute. Andererseits sind bei einem Comic mit so einem realistischen Anspruch die Kampfszenen oft weniger fesselnd, da Bewegung eben schwer darzustellen ist und die Verbalisierung von Knallgeräuschen (»Peng, ratatatat ...«) nervt. »Die Heimatlosen« lebt also vor allem von der Spannung – und von eben jenem spürbaren historischen Anspruch.
Das Buch des in Spanien etablierten Autors ist nicht nur wichtig, weil es Kämpfern ihren Platz im kollektiven Gedächtnis sichern will, sondern auch, weil es an die Kumpanei der »Freien Welt« mit der Franco-Diktatur erinnert. Die spanischen Kämpfer hofften, dass nach Hitler Franco der Garaus gemacht würde. Sie marschierten kämpfend weiter bis nach Deutschland, statt, wie einige es zumindest im Roman wollen, sich gen Süden zu wenden und ihre Heimat vom Faschismus zu befreien. Einige sahen Spanien nie wieder, andere erst nach Francos Tod 1975. In Frankreich wurden sie aber nicht gewürdigt. Deshalb nennt Roca diese Männer »die Heimatlosen« – jene Soldaten, die, wie einer der beiden Überlebenden in der Doku sagt, nicht für eine Fahne kämpften, sondern für ein Ideal: die Freiheit. Paco Roca: Die Heimatlosen. Reprodukt Verlag, Berlin. 328 S., geb., 39 €.